Liebesbrief an Unbekannt. Thomas Brezina
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Ein schmaler Spiegel an der Wand sollte den kleinen Raum größer erscheinen lassen. Emma betrachtete sich kurz und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Waschen, machte sie eine mentale Notiz. Sie war verstrubbelt, hatte dunkle Schatten unter den Augen und mochte sich an diesem Morgen gar nicht.
Vor dem Haus hörte sie das Brummen eines großen Wagens. Sie blickte durch das Fenster und sah das untere Drittel eines Müllautos.
Jetzt aber schnell, sonst blieb sie auf ihrem Mist noch länger sitzen, und es würde hier drinnen zu stinken beginnen. Sie raffte die drei Müllsäcke zusammen und lief damit ins Erdgeschoß. Auf dem Weg zur Eingangstür fiel ihr Blick in das kleine Arbeitszimmer und auf den übervollen Papierkorb. Er musste auch endlich ausgeleert werden. Sie trat die Papierbälle mit dem bloßen Fuß hinein und schnappte den ganzen Korb. Es war keine Zeit mehr, den Abfall in einen der Plastiksäcke umzufüllen.
Auf der Straße schlug ihr gleich der Wind vom Meer entgegen. Er wehte ihren Bademantel ein wenig hoch, und Emma versuchte ihn mit den Ellbogen wieder hinunterzuschieben.
Der Müllwagen war schon weiter nach oben Richtung St. James’s Street gefahren.
»Warten Sie bitte!«, rief Emma und rannte hinterher. Die Müllsäcke schlugen gegen ihre Beine, der Papierkorb geriet gefährlich ins Rutschen.
Zwei Männer sammelten die Müllsäcke von den Zaunstangen der Häuser ein. Einer war klein mit muskulösen Armen, der andere hatte etwas Aristokratisches an sich. Die Männer drehten sich zu ihr, und der Kleine kam wortlos auf sie zu und nahm ihr die Säcke ab. Der andere deutete auf den Papierkorb. »Das nehmen wir nicht.«
»Jaja, verstehe«, Emma nickte schuldbewusst. Für Papier und Karton gab es einen Container am anderen Ende des Platzes, an der Ecke des Parks.
Als der Müllwagen mit einem Ruck weiterrollte, kam jemand um die Ecke. Zuerst sah Emma nur einen kleinen Hund, weiß mit braunen Flecken, der heftig an der Leine zog. Ihm folgte -
Sie erkannte ihn sofort. Es war der Mann aus dem Pub, dem sie das Bier über den Pulli gegossen hatte. Er trug einen dunklen Anzug, weißes Hemd mit Schlips und schwarze Lederschuhe.
»Langsam, Jamie, nicht so ziehen«, befahl er dem Hund, für den das aber nur eine Aufforderung zu sein schien, noch mehr Gas zu geben.
Emma fiel der graue Bademantel ein und das ausgeleierte T-Shirt, das sie darunter trug. Sie musste verwahrlost aussehen und es war ihr peinlich, wenn der Mann sie so sah. Sie griff an den Kragen und hielt mit einer Hand den Mantel am Hals zu. Ein neuer Windstoß schlug ihr vom Meer entgegen und wehte unter den Bademantel. Sie fühlte, wie der Saum hochgehoben wurde und drückte ihn mit der Hand energisch nach unten. Dabei kippte der Papierkorb und ein paar der Papierbälle fielen auf die Straße.
»Nein«, hörte sich Emma rufen. Der Wind trieb die Papierbälle vor sich her, und Emma nahm die Verfolgung auf. Sie schaffte es, einen einzufangen, als der kleine Hund neben ihr auftauchte. Er fand, dass die Jagd ein lustiges Spiel war und entriss ihr, was sie gerade eingesammelt hatte. »Gib das her!«, schrie sie ihn an.
»Aus, Jamie, aus!« Der Mann kam Emma zu Hilfe, hockte sich neben sie und versuchte, seinem Hund die Beute zu entwenden. Emma kroch auf allen Vieren herum und schlug nach den weißen Bällen. Sie bekam einige zu fassen und beförderte sie in den Papierkorb zurück, den sie unter den linken Arm geklemmt hielt.
»Hier!« Der Mann streckte ihr die Hand hin. Emma wollte ihm abnehmen, was er für sie eingefangen hatte. Da er sich gleichzeitig zu ihr vorbeugte, schlug sie ihm aber voll auf die Wange.
»Verzeihung, ich wollte Ihnen nur helfen!« Er stand auf und hob abwehrend die Hände.
»Entschuldigung, entschuldigen Sie vielmals!« Emma wäre am liebsten im Boden versunken. Sie spürte den musternden Blick des Mannes.
»Kann das sein, sind Sie die Dame, die mir gestern das Bier…?«
»Ja, ich bin das. Entschuldigung noch einmal.« Emma nahm ihm die Papierkugeln ab und stopfte sie in den Korb. »Schönen Tag noch.«
Was war der Superlativ von peinlich, dachte sie. Oberpeinlich. Oder unerträglich peinlich? Sie drehte sich einmal im Kreis um zu sehen, ob ihr ein Papier entgangen war, konnte aber keines mehr entdecken.
Jamie wedelte und blickte hechelnd zu ihr. Den Blick seines Herrchens konnte sie nicht deuten, wahrscheinlich hielt er sie für geistesgestört, und sie konnte es ihm nicht verdenken.
»Ja, Entschuldigung dann noch einmal«, stammelte sie, und das verlegene Grinsen in ihrem Gesicht verursachte ihr Gänsehaut. Sie stolperte am Park entlang hinunter zu dem großen grünen Container. Er besaß ein rechteckiges Einwurfloch an der Oberseite, durch das sie den Papierkorb entleerte. Sie schüttelte ihn ein paar Mal, damit auch wirklich alles aus ihm rausfiel. Danach stellte sie sich auf die Zehenspitzen und sah durch die Öffnung.
Ihre hilflosen Briefversuche hatten es sich schon in der Tiefe des Containers zwischen alten Zeitungen und Kartons mit dem Amazon Logo gemütlich gemacht.
Als sie zu ihrem Haus zurückeilte, waren der Mann und Jamie nicht mehr zu sehen. Sie konnte ihnen nicht verübeln, vielleicht auf der anderen Seite des Platzes zu gehen, um einen Bogen um diese Wahnsinnige zu machen, die aussah, wie gerade aus einer Anstalt entkommen.
Oh, Emma, dachte sie und schlug die Tür hinter sich zu.
6
Tut mir leid, aber dieses Briefeschreiben kommt mir einfach nur verrückt vor.« Emma seufzte. Es war Abend, und sie hatte eine Einladung zum Abendessen bei ihrer Freundin Patricia angenommen.
»Emma.« Patricia setzte sich ihr gegenüber an den Esstisch. Sie war noch immer von ihrer Arbeit geschminkt: dunkel umrahmte Augen, violetter Lippenstift, silberfarbener Lidschatten, der ein wenig glitzerte. Mit einem geschickten Griff öffnete sie ihre Haare, die hinten auf dem Kopf zusammengesteckt waren. Die dicken Locken der Kraushaarmähne wippten auseinander wie Sprungfedern. Patricias Gesicht erinnerte Emma immer an einen kleinen Mond, der aus der Nacht der dunklen Mähne schien.
»Ich weiß, du hast es mir erklärt, und ich…«
Patricia legte ihre Hand auf die von Emma. Die Fingernägel waren mitternachtsblau lackiert und mit kleinen Goldsternchen beklebt. »Das Business braucht diese Verkleidung. Ich könnte meine Vorhersagen auch im Bikini machen, aber das nehmen die Leute nicht so ernst«, hatte Patricia einmal ihren Aufzug erläutert.
»Emma, du hörst mir jetzt noch einmal genau zu, solange wir nüchtern sind. Danach werden wir zur Feier des Tages, weil du es endlich verstanden hast, eine Flasche Sauvignon Blanc köpfen und leeren. Und wenn uns danach ist, auch noch eine zweite. Damit überschreiten wir das erlaubte Tageslimit an Alkohol, erweisen uns als völlig unvernünftige und alkoholgefährdete Frauen, aber das ist mir egal. Ich hoffe, dir auch.«
Gehorsam nickte Emma, denn etwas anderes hätte Patricia nicht geduldet.
»Ich sage es dir noch einmal.« Patricia redete in ihrer ruhigen, etwas rauchigen Stimme, in der sie manchen Leuten Vorhersagen für ihr Leben machte, die in Wirklichkeit eine Art Hypnose waren, wie sie ebenfalls einmal verraten hatte. »Außerdem kannst du es auf meiner Homepage nachlesen.« Sie griff nach ihrem Laptop, klappte ihn auf, tippte und drehte Emma den Bildschirm hin.