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Kleinigkeit, die jeder einem Neurochirurgen gerne verzeiht. Schließlich leidet er nur selbst darunter. Schwerwiegender für das System ist es da schon, dass sie es durch ihren Stil bei der Nachbesetzung frei werdender Jobs schwächen. Grundprinzip: Flaschen sind ihnen immer willkommen, besonders dann, wenn sie mit deren Bestellung jemandem einen Gefallen tun, der ihnen später auch mal helfen kann. Gute Leute hingegen rennen sich den Kopf an. Die Neurochirurgen können nicht mit denen, die gefühlt die sind, die ihnen in der Sandkiste eine reingehauen, beim Fußball die Tore geschossen und die Mädchen gekriegt haben. Sie brauchen keine Menschen, die lernen und sich verbessern wollen oder die schon richtig gut sind, sie brauchen artige Sklaven, die über einen Piepser für sie jederzeit für die niedrigsten Dienste abrufbar sind.

      „Erzählen Sie uns für den Anfang bitte einmal, warum Sie Neurochirurgin werden wollen“, sagte einer meiner Chefs einmal bei einem Hearing, bei dem ich ebenfalls zugegen war.

      Die Kandidatin wirkte kompetent und engagiert. Wäre eine neurochirurgische Abteilung ein eigentümergeführter Betrieb, in dem es um Leistung und Servicequalität für Kunden, in unserem Fall für Patienten, geht, hätte sie den Job gekriegt. Selbstbewusst und sehr gut vorbereitet hatte sie mit dem Computer unter dem Arm den Raum betreten. Sie wollte Assistenzärztin werden und würde bestimmt eine gute abgeben.

      Bei einem Neurochirurgen, also auch bei meinem damaligen Chef, kommt so etwas gar nicht gut an. Sie hören nur die eine Botschaft, vor der sie am allermeisten Angst haben: „Ich werde gut sein, vielleicht bald mal besser als du.”

      Mein Chef entschied sich für die Strategie, ihr den Job, den sie so gern wollte, madig zu machen. Ehe sie zu Wort kam, machte er ihr durch die Blume klar, dass sie damit rechnen müsse, als bessere Krankenschwester eingesetzt zu werden. „Sie wissen ja, dass Sie bei uns nur einen ganz kleinen Bereich der Neurochirurgie kennenlernen werden“, sagte er.

      Derlei greift aber bei potenziellen Leistungsträgern nicht. Die gehen davon aus, dass sie alles über Leistung so ändern können, dass es für sie passt.

      „Das macht nichts“, sagte sie.

      „Sie wissen auch, dass die Gehälter der Assistenzärzte gerade empfindlich gekürzt wurden.“

      Auch kein guter Versuch. Welchem künftigen Leistungsträger geht es schon um Geld? Das Geld, so etwas wissen diese Menschen, kommt irgendwann von selbst.

      „Das weiß ich“, sagte sie.

      Also nahm er ihr die Zukunftsperspektive. „Wir können Sie nach Abschluss Ihrer Ausbildung nicht verlängern.“

      Das ist einer zukünftigen Leistungsträgerin auch egal. Bei mir wird alles anders sein, denkt sie.

      „Das stört mich nicht“, sagte sie.

      Sie erinnerte sie mich in dem Moment an mich selbst, als ich angefangen hatte. Ich hatte auch gedacht, durch grenzenloses Engagement würde ich die Welt niederreißen und alles schaffen können. Gott, was war ich naiv. Die Bewerberin kam auch weiterhin nicht dazu, zu erklären, warum sie eigentlich unbedingt Neurochirurgin werden wollte. Denn leicht verzweifelt wandte er sich an mich. „Frau Kollegin“, sagte er, „möchten Sie als Frau der Kollegin etwas sagen?“

      Ich hatte keine Lust auf sein dummes Spiel. Die Bewerberin hatte sowieso keine Chance. Die meisten neurochirurgischen Abteilungen suchen Bewerber ohne Charakter und ohne Willen zum selbstständigen Denken, weil sie das manipulierbar macht. Sie sollen nichts hinterfragen und fleißig arbeiten. Vorkenntnisse sind nicht gerne gesehen. Es gab zwei Flaschen mit Beziehungen, die gab es immer, und eine würde das Rennen machen.

      „Ich möchte etwas fragen“, sagte ich. „Es interessiert mich, warum jemand mit Potenzial eine neurochirurgische Ausbildung machen möchte, wenn er A nichts dabei lernt, B wenig verdient, C hinterher gekündigt und D mit seiner schlechten Ausbildung auf den Arbeitsmarkt entlassen wird.“

      Die Bewerberin war konsterniert und mein Chef bat mich bei Bewerbungen nie wieder um einen Kommentar.

      Die nächste Bewerberin empfing er mit einem Lächeln. Kein Laptop unter dem Arm, mädchenhaft, leicht geduckte Körperhaltung, schlecht sitzendes Kostüm, die Haare straßenköterblond. Nickelbrille. Eine, die in der Vorlesung immer in der ersten Reihe gesessen war. Von der Haltung her eine Dienerin. Ich wusste es nicht genau, aber ich vermutete, dass sie eine der beiden Flaschen auf seiner Shortlist war.

      „Warum wollen Sie Neurochirurgin werden?“, fragte er sie.

      „Wissen Sie, ich habe bis jetzt im Labor gearbeitet und ich stelle es mir so schön vor, mit Patienten zu arbeiten.“

      Ich hielt sie für komplett bescheuert, aber sie bekam den Job.

      Ich erinnere mich auch genau an die Situation, als mein zweiter Mann einmal an der Klinik einen der Oberärzte traf. Es war ein heißer Sommertag, und mein Mann war am Weg ins Schwimmbad. Er war braungebrannt, muskulös, groß und trug coole Shorts mit Riesen-Ananas. Als der Neurochirurg ihn sah, zuckte er zunächst richtig zusammen, als ob er ein Gespenst gesehen hätte. Den Blick, den er aber dann aufzog, werde ich nie vergessen, so viel abgrundtiefen Hass sieht man selten. Denn das war genau so einer, der ihn, den kleinen fetten Streber, früher ordentlich verarscht hatte.

      Seither weiß ich, dass es nicht nur Liebe auf den ersten Blick, sondern auch Hass auf den ersten Blick gibt. Da der Neurochirurg wusste, dass mein Mann Medizin studierte, konnte er sich nicht einmal damit trösten, dass er ihm intellektuell überlegen war. Aber eines ist ganz klar, auch wenn er ein Diplom von Harvard oder Yale und zwanzig Publikationen gehabt hätte, hätte mein Mann niemals eine Stelle an einer Neurochirurgie bekommen. Denn solche Leute wären eine ständige Traumatisierung und eine wandelnde Provokation für die erwachsen gewordenen Looser der Kindheit. Wieso die Neurochirurgie der stärkste Magnet für Narzissten ist, habe ich schon beschrieben. In einem Gesundheitswesen, das Ärzte auf eine Stufe mit Gott stellt und das Typen anzieht, die diese Stellung brauchen, ist in der allgemeinen Wahrnehmung das Fach Neurochirurgie das göttlichste.

      Es gibt sie auch in allen anderen Fächern, unter den Internisten, unter den Gynäkologen, unter den plastischen Chirurgen und sogar unter den Zahnärzten. Aber vor allem gibt es sie bei den Neurochirurgen. Denn der Neurochirurg übt seine Macht noch universeller aus, als die Mediziner aller anderen Fachrichtungen. Er öffnet einen Schädel und tut etwas damit. Es ist für ihn der ultimative Kick. Die Wirkung von Kokain ist ein Dreck dagegen.

      Zusammengefasst heißt das, will ein Neurochirurg Sie operieren, dann nehmen Sie Ihren Infusionsständer und rennen Sie, solange Sie noch können. Und da haben wir erst von den Charaktermerkmalen der Neurochirurgen gesprochen, und noch gar nicht von ihrer Ausbildung, ihrer Überlastung, ihren Drogenproblemen und all den anderen Dingen. Das kommt noch.

      Je länger ich dabei war, desto mehr wurde ich zu einem Störfaktor in diesem System. Jemand, der nicht dazu passt.

      Zwei Sätze, die gut klingen, wenn ich sie so hinschreibe, und die meinem Ego schmeicheln, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie auch stimmen. Meine Psychiaterin meint, ich habe sicher auch narzisstische Anteile, aber das muss ja nicht immer negativ sein. Im positiven Sinne sind das Leute, die es einfach angemessen finden, einen guten Job, schöne Kleidung, eine tolle Wohnung und ein ausgeglichenes Privatleben zu haben. Die finden, dass ihnen das auf jeden Fall zusteht, vielleicht noch mehr als anderen. Der Übergang zum pathologischen Narzissmus ist dann allerdings fließend und nicht immer erkennbar.

      Ich gebe zu, dass auch mein erster Gedanke

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