Erziehung durch Beziehung. Rolf Arnold

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Erziehung durch Beziehung - Rolf Arnold

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mir bieten lassen?« Sondern: »Wie kann ich die Erprobung, Suche und Reifung der nachwachsenden Generation unterstützen?«

      Wer nervt?

      Eine verzweifelte Mutter berichtete in einem Erziehungsseminar:

      »Also, ich muss echt sagen, meine Tochter ist mir richtig unsympathisch geworden. Sie steht so ziemlich für alles, was mir zuwider ist. Das geht schon damit los, wie sie sich seit einiger Zeit kleidet: Hosen mit Löchern und Rissen! Und dann erst die Freundinnen und Freunde, mit denen sie tagein, tagaus ›abhängt‹, wie die das nennen. Wie oft habe ich sie schon zur Rede gestellt, gedroht, bestochen und getobt – alles ohne Erfolg. Jetzt bin ich dabei, zu resignieren!« Zahlreiche Mütter und Väter nickten verständnisvoll. Auch sie kannten diese Wirkungslosigkeit aus ihrem Alltag. Viele schüttelten deshalb auch den Kopf, als eine ältere Dame sich mit den Worten meldete: »Ich verstehe deine Tochter irgendwie! Sie spürt doch täglich, dass du sie nicht wirklich bedingungslos liebst! Dagegen rebelliert sie. Schließlich möchte sie sich so angenommen, geborgen und geliebt fühlen, wie sie ist – nicht nur, wenn sie so ist, wie du es gerne hättest!«

      Solche überraschenden Äußerungen führen meist zu erregten Wortgefechten, nicht so in diesem Fall. Betroffen schwieg die Mutter, sodass die ältere Dame fortfuhr:

       »Ich bin hier, weil ich meine Enkel nicht verstehe, aber sie gerne verstehen würde. Und ich liebe die beiden, das kann ich euch sagen. Wenn sie mir so richtig auf die Nerven gehen oder immer genau das machen, womit ich gar nicht rechne, dann denke ich an die wenigen Jahre, die mir noch bleiben, und versuche, zu verstehen. Dies gelingt mir aber nur, wenn ich meine eigenen Kommentare zurückhalten kann. Meine Erfahrung ist: Wenn ich sie beurteile oder gar verurteile, dann verliert sich unsere Beziehung. Und ohne Beziehung gelingt keine Erziehung!«

      Diese Äußerung erntete nicht bloß Zustimmung, sondern auch Widerspruch, wie: »Wo kommen wir denn da hin, wenn man sich zurückhalten soll!« oder »Das genau ist doch das Problem, dass viele Eltern sich gar nicht mehr trauen, zu sagen, was geht und was nicht!« Solche Entgegnungen sind zu erwarten. Wir sind, indem wir in dieser Form emotional oder gar wütend reagieren, nicht bei der Frage, wie sich komplizierte Erziehungsfragen wirksam lösen lassen. Sind wir doch mal ehrlich: Wir wissen doch, zu welchen Reaktionen wütende Klarstellungen beim Gegenüber führen. Dieses fühlt sich im vertrauten Film und reagiert genauso, wie wir es gerade verändern möchten: durch innerliche Distanzierung, Sich-unverstanden-Fühlen und Abwendung. Nicht selten fühlen wir uns eine kurze Zeit lang gut, weil wir für Klarheit gesorgt haben, müssen aber enttäuscht beobachten, wie uns unser Kind, die Schülerin oder der Schüler, für die wir verantwortlich sind, mehr und mehr entgleiten. Ungewollt und in bester Absicht haben wir wieder einmal gegen eine weitere Lektion einer wirksamen Erziehungspraxis verstoßen, die da lautet:

      Handeln Sie stets so, dass Sie die Beziehung zum Kind oder der bzw. dem Jugendlichen aktiv aufrechterhalten. Lernen Sie und üben Sie dafür Ihre Erziehungs-Sprachkompetenz!

      Doch was bedeutet es, als Erziehungsverantwortlicher aktiv die Beziehung aufrechtzuerhalten? Wissen und berücksichtigen wir in unserer Erziehung die Tatsache, dass eine enge Beziehung nur in der Begegnung möglich ist? Begegnen wir den Kindern und Jugendlichen, für die wir Verantwortung tragen, tatsächlich? Greifen wir dabei zu den angemessenen Formen? Oder reden wir einfach so drauf los:

      •ermahnend, weil uns danach ist,

      •belehrend, weil wir sicher zu wissen glauben, was unsere Kinder benötigen,

      •kontrollierend verhörend, weil wir misstrauisch sind,

      •laut schimpfend, weil wir glauben, so besser Gehör zu finden, oder

      •verständnisvoll nachfragend, weil wir ein echtes Interesse an den Gefühlen und Gedanken unseres Gegenübers haben?

      Nur im letzten Fall wächst die Chance, dass wir die Kinder und Jugendlichen tatsächlich erreichen. Keine Wirkung haben wir, wenn diese rasch bemerken, dass wir sie wieder einmal durch die Defizitbrille beobachten. Dabei blicken wir meist durch unsere Erfahrungen auf ihr Verhalten und interpretieren dieses unmittelbar, d. h., bevor wir es verstanden haben. Wir reden dann von »schwierigen Schülern oder Schülerinnen«, von »Ungezogenheit« oder »Auffälligkeit« und zeigen bereits durch diese Wortwahl, dass wir sicher zu wissen meinen, was los ist. Dabei arbeiten wir aber lediglich mit unseren eigenen inneren Bildern, die nicht deshalb richtig sind, weil wir sie haben. Mit diesen legen wir unsere Kinder fest und verlieren allmählich den Kontakt zu ihnen.

      Konrad – ein nachdenklicher Vater – berichtete:

       »Irgendwie hat sich das mit meinem Sohn nicht gut entwickelt. Manchmal meine ich, wir hatten einen schlechten Start, und ich wünsche mir eine Art Reset-Taste. Alles begann mit meiner Erschöpfung: Wenn ich abends nach Hause kam, drehte mein Sohn erst richtig auf und versuchte mit allen möglichen Aktionen, mich in Trab zu halten. Irgendwie nervte mich dies enorm, und ich ermahnte und strafte ihn, wo es doch nur darum gegangen wäre, Klarheit herzustellen – vor allem Klarheit in meinem eigenen Kopf. Da ich dies nicht konnte, reagierte ich einfach so, wie ich mich fühlte – mit dem Erfolg, dass mein Sohn mir nur als Störenfried begegnete.«

      Um solche Entfremdungen zu vermeiden, ist es hilfreich, sich die unterschiedlichen Stufen der erzieherischen Beziehungsarbeit klar vor Augen zu führen und die Erziehungssprache zu üben.

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      Die »Treppe der Beziehungssprachen« zeigt:

      •Es gibt drei Arten des erzieherischen Sprechens: die Sprache der Zuwendung, den Dialog und die Sprache der Konfrontation.

      •Erziehung kann nur wirksam werden, wenn Klärung gelingt, nicht wenn ohne Resonanz aneinander vorbeigeredet wird.

      •Meist ist es sinnvoll, zunächst über die Sprache der Zuwendung einen Kontakt zum Gegenüber herzustellen und über das Trösten und Nachfragen seine Sicht der Dinge zum Ausdruck kommen zu lassen, ohne sogleich von der fünften Stufe herunterzustürmen.

      •Grenzen müssen erklärt werden. Dabei sind Ich-Botschaften hilfreich, mit denen man dem Kind mitteilt, wie es um einen steht bzw. welche Folgen sein Verhalten für einen selbst hat.

      Nachdem Konrad die fünf Arten des erzieherischen Sprechens kennengelernt hatte, stellte er betroffen fest:

      »Ich habe meinen Jungen nicht abgeholt, sondern ihn gleich mit meinen Grenzen konfrontiert – im wahrsten Sinne des Wortes ›von oben herab‹, und noch nicht einmal das habe ich richtig gemacht. Dadurch habe ich ihn zurückgewiesen. Heute weiß ich, dass sein Verhalten nicht schwierig, sondern verständlich gewesen ist. Er wollte mit mir zusammen sein. Ich hätte ihn zunächst trösten können, ihm aber auch gleich mitteilen können, dass ich ein Problem habe, wenn ich müde nach Hause komme und mich zunächst einmal nicht auspendeln kann. Dann hätte ich eine Art Absprache mit ihm erzielen können, dass ich z. B. nach einer Stunde mit ihm spielen würde – ganz ohne Vorwurf oder in einer Form, in der ich meine Erschöpfung einfach so nach außen lasse. Mir ist nun klar: Die meisten Erziehungsprobleme sind solche des unangemessenen Sprechens. Da begrenzen wir, wo Trösten ansteht, oder wir erklären, wo Nachfragen anstünden – alles ein Riesendurcheinander. Und warum? In meinem Fall ist es so, dass ich selbst weder die Sprache der Zuwendung noch die Form des Dialogs wirklich beherrsche. Glücklicherweise ist mir dies aufgefallen, und ich frage mich heute immer:

      •Wer

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