Die Kunst des Krieges - Psychologie der Massen - Wege zu sich selbst - Der Fürst. Sunzi

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Die Kunst des Krieges - Psychologie der Massen - Wege zu sich selbst - Der Fürst - Sunzi

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schlecht beobachteter Ereignisse nebst nachträglich ersonnenen Erklärungen. Hätte uns die Vergangenheit nicht ihre Literaturdenkmäler, ihre Kunst- und Bauwerke hinterlassen, so wüssten wir nicht die geringste Tatsache von ihr. Kennen wir ein einziges wahres Wort über das Leben der großen Männer, die in der Menschheit eine hervorragende Rolle spielten? Höchstwahrscheinlich nicht. Imgrunde hat übrigens ihr tatsächliches Leben recht wenig Interesse für uns. Die legendären Helden, nicht die wirklichen Helden haben Eindruck auf die Massen gemacht. Leider sind die Legenden selbst nicht von Dauer. Die Fantasie der Massen formt sie je nach den Zeiten und den Rassen um. Vom grausamen Jehova der Bibel bis zum Gott der Liebe der heiligen Therese ist ein großer Schritt, und der in China verehrte Buddha hat mit dem in Indien angebeteten keinen Zug gemein.

      Es bedarf nicht des Ablaufs von Jahrhunderten, damit sich die Heldenlegende in der Fantasie der Massen wandelt; diese Wandlung erfolgt oft innerhalb weniger Jahre. Wir haben in unseren Tagen erlebt, wie sich die Legende eines der größten Helden der Geschichte in weniger als 50 Jahren wiederholt verändert hat. Unter den Bourbonen wurde Napoleon zu einer idyllischen, menschenfreundlichen und freisinnigen Persönlichkeit, einem Freunde der Armen, die, wie der Dichter sagt, sein Andenken in ihrer Hütte für lange Zeit bewahren würden. 30 Jahre später war der gutmütige Held zu einem grausamen Despoten geworden, zu einem Usurpator von Macht und Freiheit, der 3.000.000 Menschen nur zur Befriedigung seines Ehrgeizes geopfert hatte. Gerade jetzt wandelt sich die Legende wieder. Wenn einige Dutzend Jahrhunderte darüber hingegangen sind, werden die zukünftigen Forscher angesichts dieser widersprechenden Berichte vielleicht das Dasein des Helden bezweifeln, wie wir bisweilen das Dasein Buddhas bezweifeln, und werden dann in ihm nur einen Sonnenmythus oder eine Fortentwicklung der Herkulessage erblicken. Zweifellos werden sie sich über diese Ungewissheit leicht trösten, denn da sie eine bessere psychologische Erkenntnis haben werden als wir heutzutage, so werden sie wissen, dass die Geschichte nur Mythen zu verewigen vermag.

       III. Überschwang (exagération) und Einseitigkeit (simplisme) der Massengefühle

      Alle Gefühle, gute und schlechte, die eine Masse äußert, haben zwei Eigentümlichkeiten; sie sind sehr einfach und sehr überschwänglich. Wie in so vielen anderen, nähert sich auch in dieser Beziehung der Einzelne, der einer Masse angehört, den primitiven Wesen. Gefühlsabstufungen nicht zugänglich, sieht er die Dinge grob und kennt keine Übergänge. Der Überschwang der Gefühle in der Masse wird noch dadurch verstärkt, dass er sich durch Suggestion und Übertragung sehr rasch ausbreitet und dass Anerkennung, die er erfährt, seinen Spannungsgrad erheblich steigert.

      Die Einseitigkeit und Überschwänglichkeit der Gefühle der Massen bewahren sie vor Zweifel und Ungewissheit. Den Frauen gleich gehen sie sofort bis zum Äußersten. Ein ausgesprochener Verdacht wird sogleich zu unumstößlicher Gewissheit. Ein Keim von Abneigung und Missbilligung, den der Einzelne kaum beachten würde, wächst beim Einzelwesen der Masse sofort zu wildem Hass.

      Die Heftigkeit der Gefühle der Massen wird besonders bei den ungleichartigen Massen durch das Fehlen jeder Verantwortlichkeit noch gesteigert. Die Gewissheit der Straflosigkeit, die mit der Größe der Menge zunimmt, und das Bewusstsein einer bedeutenden augenblicklichen Gewalt, bedingt durch die Masse, ermöglichen der Gesamtheit Gefühle und Handlungen, die dem Einzelnen unmöglich sind. In den Massen verlieren die Dummen, Ungebildeten und Neidischen das Gefühl ihrer Nichtigkeit und Ohnmacht; an seine Stelle tritt das Bewusstsein einer rohen, zwar vergänglichen, aber ungeheuren Kraft.

      Unglücklicherweise ruft der Überschwang schlechter Gefühle bei den Massen den vererbten Rest der Instinkte des Urmenschen herauf, die beim alleinstehenden und verantwortlichen Einzelnen durch die Furcht vor Strafe gezügelt werden. So erklärt sich die Neigung der Massen zu schlimmen Ausschreitungen.

      Wenn die Massen geschickt beeinflusst werden, können sie heldenhaft und opferwillig sein. Sie sind es sogar in viel höherem Maße als der Einzelne. Wir werden beim Studium der Massenmoral bald Gelegenheit haben, auf diesen Punkt zurückzukommen.

      Da die Masse nur durch übermäßige Empfindungen erregt wird, muss der Redner, der sie hinreißen will, starke Ausdrücke gebrauchen. Zu den gewöhnlichen Beweismitteln der Redner in Volksversammlungen gehört Schreien, Beteuern, Wiederholen, und niemals darf er den Versuch machen einen Beweis zu erbringen.

      Die gleiche Übertreibung der Gefühle verlangt die Masse von ihren Helden. Ihre Eigenschaften und hervorragenden Tugenden müssen stets vergrößert werden. Im Theater fordert die Masse von dem Helden des Dramas Tugenden, einen Mut und eine Moral, wie sie im Leben niemals vorkommen.

      Man spricht mit Recht von der besonderen Optik des Theaters. Zweifellos ist sie vorhanden, aber ihre Gesetze haben nichts mit dem gesunden Menschenverstand und der Logik zu tun. Die Kunst zur Masse zu sprechen, ist von untergeordnetem Rang, erfordert jedoch ganz besondere Fähigkeiten. Beim Lesen gewisser Stücke kann man sich ihren Erfolg oft nicht erklären. Im Allgemeinen sind die Theaterdirektoren selbst über den Erfolg sehr im Ungewissen, wenn ihnen die Stücke eingereicht werden, denn um urteilen zu können, müssten sie sich in eine Masse verwandeln7. Wenn wir uns mit Einzelheiten befassen könnten, wäre es leicht, auch noch den bedeutenden Einfluss der Rasse aufzuzeigen. Das Drama, das in dem einen Lande die Masse begeistert, hat oft in einem anderen keinen oder nur einen durchschnittlichen Achtungserfolg, weil es nicht die Kräfte spielen lässt, die das neue Publikum bewegen könnten.

      Ich brauche nicht besonders zu betonen, dass der Überschwang der Massen sich nur auf die Gefühle und in keiner Weise auf den Verstand erstreckt. Die Tatsache der bloßen Zugehörigkeit des Einzelnen zur Masse bewirkt, wie ich bereits zeigte, eine beträchtliche Senkung der Voraussetzungen seines Verstandes. In seinen Untersuchungen über die Massenverbrechen hat Tarde das gleichfalls festgestellt.

       IV. Unduldsamkeit, Herrschsucht (autoritarisme) und Konservatismus der Massen

      Die Massen kennen nur einfache und übertriebene Gefühle. Meinungen, Ideen, Glaubenssätze, die man ihnen einflößt, werden daher nur in Bausch und Bogen von ihnen angenommen oder verworfen und als unbedingte Wahrheiten oder ebenso unbedingte Irrtümer betrachtet. So geht es stets mit Überzeugungen, die auf dem Wege der Beeinflussung, nicht durch Nachdenken erworben wurden. Jedermann weiß, wie unduldsam die religiösen Glaubenssätze sind und welche Gewaltherrschaft sie über die Seelen ausüben.

      Da die Masse in das, was sie für Wahrheit oder Irrtum hält, keinen Zweifel setzt, andererseits ein klares Bewusstsein ihrer Kraft besitzt, so ist sie ebenso eigenmächtig wie unduldsam. Der Einzelne kann Widerspruch und Auseinandersetzung anerkennen, die Masse duldet sie niemals. In den öffentlichen Versammlungen wird der leiseste Widerspruch eines Redners sofort mit Wutgeschrei und groben Schmähungen beantwortet, und wenn der Redner beharrlich ist, folgen leicht Tätlichkeiten, und der Redner wird hinausgeworfen. Ohne die einschüchternde Anwesenheit der Sicherheitsbehörde würde man oft den Gegner lynchen.

      Herrschsucht und Unduldsamkeit finden sich bei allen Arten der Massen, aber in ganz verschiedenen Graden, und hier kommt wieder der Grundbegriff der Rasse zur Geltung, die alles Fühlen und Denken der Menschen beherrscht. Herrschsucht und Unduldsamkeit sind besonders bei den lateinischen Massen ausgebildet, und zwar in solchem Maße, dass es ihnen fast gelungen ist, das Gefühl der persönlichen Unabhängigkeit, das bei den Angelsachsen so mächtig ist, bei ihnen völlig zu vernichten. Die lateinischen Massen haben nur Gefühl für die Gesamt-Unabhängigkeit ihrer Sekte, und bezeichnend für diese Unabhängigkeit ist das Bedürfnis, alle Andersgläubigen sofort und gewaltsam für ihren eigenen Glauben zu gewinnen. Von der Inquisition angefangen, konnten sich bei den lateinischen Völkern die Jakobiner aller Zeiten niemals zu einem anderen Freiheitsbegriff aufschwingen.

      Herrschsucht und Unduldsamkeit sind für die Massen sehr klare Gefühle, die sie ebenso leicht ertragen, wie sie sie in die Tat umsetzen. Die Massen erkennen die Macht an und werden durch Güte, die sie leicht für eine Art Schwäche

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