Die Kunst des Krieges - Psychologie der Massen - Wege zu sich selbst - Der Fürst. Sunzi

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Die Kunst des Krieges - Psychologie der Massen - Wege zu sich selbst - Der Fürst - Sunzi

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unter dem Einfluss gewisser heftiger Gemütsbewegungen, etwa eines großen nationalen Ereignisses, die Kennzeichen einer psychologischen Masse annehmen. Irgendein Zufall, der sie vereinigt, genügt dann, dass ihre Handlungen sogleich die besondere Form der Massenhandlungen annehmen. In gewissen historischen Augenblicken kann ein halbes Dutzend Menschen eine psychologische Masse ausmachen, während hunderte zufällig vereinigte Menschen sie nicht bilden können. Andererseits kann bisweilen ein ganzes Volk ohne sichtbare Zusammenscharung unter dem Druck gewisser Einflüsse zur Masse werden.

      Hat sich eine psychologische Masse gebildet, so erwirbt sie vorläufige, aber bestimmbare allgemeine Merkmale. Diesen allgemeinen Merkmalen gesellen sich besondere Kennzeichen veränderlicher Art hinzu, je nach den Elementen, aus denen die Masse sich zusammensetzt und durch die ihre geistige Struktur zu verändern ist.

      Die psychologischen Massen lassen sich also einteilen. Das Studium dieser Einteilung wird uns zeigen, dass eine heterogene, d. h. aus ungleichartigen Elementen zusammengesetzte Masse mit homogenen, d. h. aus mehr oder minder ähnlichen Elementen zusammengesetzten Massen (Sekten, Kasten, Klassen) allgemeine Kennzeichen gemein hat und außerdem noch Besonderheiten aufweist, durch die sie sich voneinander unterscheiden lassen.

      Bevor wir uns aber mit den verschiedenen Arten der Masse befassen, müssen wir zuerst die allgemeinen Kennzeichen untersuchen. Wir werden gleich dem Naturforscher vorgehen, der mit der Beschreibung der allgemeinen Merkmale der Mitglieder einer Familie beginnt, bevor er sich mit den besonderen Merkmalen befasst, welche die Unterscheidung der Gattungen und Arten dieser Familie ermöglichen.

      Die genaue Schilderung der Massenseele ist nicht leicht, weil ihre Organisation nicht bloß nach Rasse und Zusammensetzung der Gesamtheit, sondern auch nach der Natur und dem Grade der Anreize schwankt, denen diese Gesamtheit unterliegt. Aber dieselbe Schwierigkeit besteht für das psychologische Studium jedes beliebigen Wesens. Nur in Romanen, aber nicht im wirklichen Leben, haben die Einzelnen einen beständigen Charakter aufzuweisen. Allein die Gleichförmigkeit der Umgebung schafft die sichtbare Gleichartigkeit der Charaktere. Ich habe anderwärts gezeigt, dass alle geistigen Beschaffenheiten Charaktermöglichkeiten enthalten, die sich unter dem Einfluss eines jähen Umgebungswechsels offenbaren können. So befanden sich unter den wildesten, grausamsten Konventmitgliedern gutmütige Bürger, die unter normalen Verhältnissen friedliche Notare oder ehrsame Beamte geworden wären. Als der Sturm vorüber war, nahmen sie ihren Normalcharakter als friedliche Bürger wieder an. Unter ihnen fand Napoleon seine willigsten Diener.

      Da wir hier nicht alle Stufen der Massenbildung studieren können, werden wir sie besonders in dem Zustand ihrer vollendeten Organisation ins Auge fassen. Wir werden auf diese Weise sehen, was sie werden können, aber nicht, was sie immer sind. Allein in diesem fortgeschrittenen Organisationszustand bauen sich auf dem unveränderlichen und vorherrschenden Rassenuntergrunde gewisse neue und besondere Merkmale auf, und es vollzieht sich die Wendung aller Gefühle und Gedanken der Gesamtheit nach einer übereinstimmenden Richtung. So allein offenbart sich, was ich oben das psychologische Gesetz der seelischen Einheit der Massen genannt habe.

      Verschiedene psychische Kennzeichen der Massen haben sie gemein mit alleinstehenden Individuen, während andere im Gegenteil nur bei Gesamtheiten anzutreffen sind. Wir wollen zunächst die besonderen Merkmale studieren, um ihre Bedeutung recht aufzuzeigen.

      Das Überraschendste an einer psychologischen Masse ist: Welcher Art auch die Einzelnen sein mögen, die sie bilden, wie ähnlich oder unähnlich ihre Lebensweise, Beschäftigungen, ihr Charakter oder ihre Intelligenz ist, durch den bloßen Umstand ihrer Umformung zu Masse besitzen sie eine Art Gemeinschaftsseele, vermöge deren sie in ganz anderer Weise fühlen, denken und handeln, als jedes von ihnen für sich fühlen, denken und handeln würde. Es gibt gewisse Ideen und Gefühle, die nur bei den zu Massen verbundenen Einzelnen auftreten oder sich in Handlungen umsetzen. Die psychologische Masse ist ein unbestimmtes Wesen, das aus ungleichartigen Bestandteilen besteht, die sich für einen Augenblick miteinander verbunden haben, genau so wie die Zellen des Organismus durch ihre Vereinigung ein neues Wesen mit ganz anderen Eigenschaften als denen der einzelnen Zellen bilden.

      In Widerspruch zu einer Anschauung, die sich befremdlicherweise bei einem so scharfsinnigen Philosophen wie Herbert Spencer findet, gibt es in dem Haufen, der eine Masse bildet, keineswegs eine Summe und einen Durchschnitt der Bestandteile, sondern Zusammenfassung und Bildung neuer Bestandteile, genau so wie in der Chemie sich bestimmte Elemente, wie z. B. die Basen und Säuren, bei ihrem Zustandekommen zur Bildung eines neuen Körpers verbinden, dessen Eigenschaften von denen der Körper, die an seinem Zustandekommen beteiligt waren, völlig verschieden sind.

      Es ist leicht festzustellen, inwieweit sich der Einzelne in einer Masse vom alleinstehenden Einzelnen unterscheidet, weniger leicht aber ist die Aufdeckung der Ursachen dieser Verschiedenheit.

      Um diesen Ursachen wenigstens einigermaßen näher zu kommen, muss man sich zunächst an die Feststellung der modernen Psychologie erInneren, dass nicht nur im organischen Leben, sondern auch in den Vorgängen des Verstandes die unbewussten Erscheinungen eine ausschlaggebende Rolle spielen. Das bewusste Geistesleben bildet nur einen sehr geringen Teil im Vergleich zum unbewussten Seelenleben. Der geschickteste Analytiker, der schärfste Beobachter kann nur eine sehr kleine Anzahl bewusster Triebfedern, die ihn führen­, entdecken. Unsere bewussten Handlungen entspringen einer unbewussten Grundlage, die namentlich durch Vererbungseinflüsse geschaffen wird. Diese­ Grundlage enthält die zahllosen Ahnenspuren, aus denen sich die Rassenseele aufbaut. Hinter den eingestandenen Ursachen unserer Handlungen gibt es zweifellos geheime Gründe, die wir nicht eingestehen; hinter diesen aber liegen noch geheimere, die wir nicht einmal kennen. Die Mehrzahl unserer täglichen Handlungen ist nur die Wirkung verborgener Triebkräfte, die sich unserer Kenntnis entziehen.

      Durch die unbewussten Bestandteile, die der Rassenseele zugrunde liegen, ähneln sich alle Einzelnen dieser Rasse, durch ihre bewussten Anlagen dagegen – Früchte der Erziehung, vor allem aber einer besonderen Erblichkeit – unterscheiden sie sich voneinander. Menschen von verschiedenartigster Intelligenz haben äußerst ähnliche Triebe, Leidenschaften und Gefühle. In allem, was Gegenstand des Gefühls ist: Religion, Politik, Moral, Sympathien und Antipathien usw. überragen die ausgezeichnetsten Menschen nur selten das Niveau der gewöhnlichen Einzelnen. Zwischen einem großen Mathematiker und seinem Schuster kann verstandesmäßig ein Abgrund klaffen, aber hinsichtlich des Charakters ist der Unterschied oft nichtig oder sehr gering.

      Eben diese allgemeinen Charaktereigenschaften, die vom Unbewussten beherrscht werden und der Mehrzahl der normalen Angehörigen einer Rasse ziemlich gleichmäßig eigen sind, werden in den Massen vergemeinschaftlicht. In der Gemeinschaftsseele verwischen sich die Verstandesfähigkeiten und damit auch die Persönlichkeit der Einzelnen. Das Ungleichartige versinkt im Gleichartigen, und die unbewussten Eigenschaften überwiegen.

      Eben die Vergemeinschaftlichung der gewöhnlichen Eigenschaften erklärt uns, warum die Massen niemals Handlungen ausführen können, die eine besondere Intelligenz beanspruchen. Die Entscheidungen von allgemeinem Interesse, die von einer Versammlung hervorragender, aber verschiedenartiger Leute getroffen werden, sind jenen, welche eine Versammlung von Dummköpfen treffen würde, nicht merklich überlegen. Sie können in der Tat nur die mittelmäßigen Allerweltseigenschaften vergemeinschaftlichen. Die Masse nimmt nicht den Geist, sondern nur die Mittelmäßigkeit in sich auf. Es hat nicht, wie man so oft wiederholt, die »ganze Welt mehr Geist als Voltaire«, sondern Voltaire hat zweifellos mehr Geist als die »ganze Welt«, wenn man unter dieser die Massen versteht.

      Beschränkten sich aber die Individuen der Masse auf Verschmelzung ihrer allgemeinen Eigenschaften, so ergäbe sich daraus nur ein Durchschnitt, aber nicht, wie wir sagten, eine Schöpfung neuer Eigentümlichkeiten. Wie bilden sich diese neuen Eigentümlichkeiten? Das haben wir jetzt zu untersuchen.

      Das Auftreten besonderer Charaktereigentümlichkeiten der Masse wird durch verschiedene Ursachen bestimmt. Die erste dieser Ursachen

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