Maximen und Reflexionen. Johann Wolfgang Goethe

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Maximen und Reflexionen - Johann Wolfgang Goethe Reclams Universal-Bibliothek

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      Johann Wolfgang Goethe

      Maximen und Reflexionen

      Herausgegeben und kommentiert von Benedikt Jeßing

      Reclam

      2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

      Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Made in Germany 2021

      RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

      ISBN 978-3-15-961885-2

      ISBN der Buchausgabe 978-3-15-018698-5

       www.reclam.de

      [5]Maximen und Reflexionen

      [7]Aus den Wahlverwandtschaften.

      1809.

      (Ottiliens Tagebuch.)

      1. Wir blicken so gern in die Zukunft, weil wir das Ungefähre, was sich in ihr hin und her bewegt, durch stille Wünsche so gern zu unsern Gunsten heranleiten möchten.

      2. Wir befinden uns nicht leicht in großer Gesellschaft, ohne zu denken, der Zufall, der so viele zusammenbringt, solle uns auch unsre Freunde herbeiführen.

      3. Man mag noch so eingezogen leben, so wird man, ehe man sich’s versieht, ein Schuldner oder ein Gläubiger.

      4. Begegnet uns jemand, der uns Dank schuldig ist, gleich fällt es uns ein. Wie oft können wir jemand begegnen, dem wir Dank schuldig sind, ohne daran zu denken.

      5. Sich mitzutheilen ist Natur; Mitgetheiltes aufzunehmen, wie es gegeben wird, ist Bildung.

      6. Niemand würde viel in Gesellschaften sprechen, wenn er sich bewußt wäre, wie oft er die andern mißversteht.

      7. Man verändert fremde Reden bei’m Wiederholen wohl nur darum so sehr, weil man sie nicht verstanden hat.

      8. Wer vor andern lange allein spricht, ohne den Zuhörern zu schmeicheln, erregt Widerwillen.

      9. Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn.

      10. Widerspruch und Schmeichelei machen beide ein schlechtes Gespräch.

      11. Die angenehmsten Gesellschaften sind die, in welchen eine heitere Ehrerbietung der Glieder gegen einander obwaltet.

      [8]12. Durch nichts bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter als durch das, was sie lächerlich finden.

      13. Das Lächerliche entspringt aus einem sittlichen Contrast, der auf eine unschädliche Weise für die Sinne in Verbindung gebracht wird.

      14. Der sinnliche Mensch lacht oft, wo nichts zu lachen ist. Was ihn auch anregt, sein inneres Behagen kommt zum Vorschein.

      15. Der Verständige findet fast alles lächerlich, der Vernünftige fast nichts.

      16. Einem bejahrten Manne verdachte man, daß er sich noch um junge Frauenzimmer bemühte. »Es ist das einzige Mittel«, versetzte er, »sich zu verjüngen, und das will doch jedermann.«

      17. Man läßt sich seine Mängel vorhalten, man läßt sich strafen, man leidet manches um ihrer willen mit Geduld; aber ungeduldig wird man, wenn man sie ablegen soll.

      18. Gewisse Mängel sind nothwendig zum Dasein des Einzelnen. Es würde uns unangenehm sein, wenn alte Freunde gewisse Eigenheiten ablegten.

      19. Man sagt: »Er stirbt bald«, wenn einer etwas gegen seine Art und Weise thut.

      20. Was für Mängel dürfen wir behalten, ja an uns cultiviren? Solche, die den andern eher schmeicheln als sie verletzen.

      21. Die Leidenschaften sind Mängel oder Tugenden, nur gesteigerte.

      22. Unsre Leidenschaften sind wahre Phönixe. Wie der alte verbrennt, steigt der neue sogleich wieder aus der Asche hervor.

      [9]23. Große Leidenschaften sind Krankheiten ohne Hoffnung. Was sie heilen könnte, macht sie erst recht gefährlich.

      24. Die Leidenschaft erhöht und mildert sich durch’s Bekennen. In nichts wäre die Mittelstraße vielleicht wünschenswerther als im Vertrauen und Verschweigen gegen die, die wir lieben.

      25. Man nimmt in der Welt jeden, wofür er sich gibt; aber er muß sich auch für etwas geben. Man erträgt die Unbequemen lieber, als man die Unbedeutenden duldet.

      26. Man kann der Gesellschaft alles aufdringen, nur nicht, was eine Folge hat.

      27. Wir lernen die Menschen nicht kennen, wenn sie zu uns kommen; wir müssen zu ihnen gehen, um zu erfahren, wie es mit ihnen steht.

      28. Ich finde es beinahe natürlich, daß wir an Besuchenden mancherlei auszusetzen haben, daß wir sogleich, wenn sie weg sind, über sie nicht zum liebevollsten urtheilen; denn wir haben so zu sagen ein Recht, sie nach unserm Maßstabe zu messen. Selbst verständige und billige Menschen enthalten sich in solchen Fällen kaum einer scharfen Censur.

      29. Wenn man dagegen bei andern gewesen ist und hat sie mit ihren Umgebungen, Gewohnheiten, in ihren nothwendigen unausweichlichen Zuständen gesehen, wie sie um sich wirken oder wie sie sich fügen, so gehört schon Unverstand und böser Wille dazu, um das lächerlich zu finden, was uns in mehr als Einem Sinne ehrwürdig scheinen müßte.

      30. Durch das, was wir Betragen und gute Sitten nennen, soll das erreicht werden, was außerdem nur durch [10]Gewalt, oder auch nicht einmal durch Gewalt zu erreichen ist.

      31. Der Umgang mit Frauen ist das Element guter Sitten.

      32. Wie kann der Charakter, die Eigenthümlichkeit des Menschen mit der Lebensart bestehen?

      33. Das Eigenthümliche müßte durch die Lebensart erst recht hervorgehoben werden. Das Bedeutende will jedermann, nur soll es nicht unbequem sein.

      34. Die größten Vortheile im Leben überhaupt wie in der Gesellschaft hat ein gebildeter Soldat.

      35. Rohe Kriegsleute gehen wenigstens nicht aus ihrem Charakter, und weil doch meist hinter der Stärke eine Gutmüthigkeit verborgen liegt, so ist im Nothfall auch mit ihnen auszukommen.

      36. Niemand ist lästiger als ein täppischer Mensch vom Civilstande. Von ihm könnte man die Feinheit fordern, da er sich mit nichts Rohem zu beschäftigen hat.

      37. Zutraulichkeit an der Stelle der Ehrfurcht ist immer lächerlich. Es würde niemand den Hut ablegen, nachdem er kaum das Compliment gemacht hat, wenn er wüßte, wie komisch das aussieht.

      38. Es gibt kein äußeres Zeichen der Höflichkeit, das nicht einen tiefen sittlichen Grund hätte. Die rechte Erziehung wäre, welche dieses Zeichen und den Grund zugleich überlieferte.

      39.

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