Maximen und Reflexionen. Johann Wolfgang Goethe

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Maximen und Reflexionen - Johann Wolfgang Goethe страница 4

Maximen und Reflexionen - Johann Wolfgang Goethe Reclams Universal-Bibliothek

Скачать книгу

Der Mensch wäre nicht der Vornehmste auf der Erde, wenn er nicht zu vornehm für sie wäre.

      123. Das längst Gefundene wird wieder verscharrt; wie bemühte sich Tycho, die Cometen zu regelmäßigen Körpern zu machen, wofür sie Seneca längst anerkannt!

      [22]124. Wie lange hat man über die Antipoden hin und her gestritten!

      125. Gewissen Geistern muß man ihre Idiotismen lassen.

      126. Es werden jetzt Productionen möglich, die Null sind, ohne schlecht zu sein, Null, weil sie keinen Gehalt haben, nicht schlecht, weil eine allgemeine Form guter Muster den Verfassern vorschwebt.

      127. Der Schnee ist eine erlogene Reinlichkeit.

      128. Wer sich vor der Idee scheut, hat auch zuletzt den Begriff nicht mehr.

      129. Unsere Meister nennen wir billig die, von denen wir immer lernen. Nicht ein jeder, von dem wir lernen, verdient diesen Titel.

      130. Alles Lyrische muß im Ganzen sehr vernünftig, im Einzelnen ein bißchen unvernünftig sein.

      131. Es hat mit euch eine Beschaffenheit wie mit dem Meer, dem man unterschiedentliche Namen gibt, und es ist doch endlich alles gesalzen Wasser.

      132. Man sagt: »Eitles Eigenlob stinket«. Das mag sein; was aber fremder und ungerechter Tadel für einen Geruch habe, dafür hat das Publicum keine Nase.

      133. Der Roman ist eine subjective Epopee, in welcher der Verfasser sich die Erlaubniß ausbittet, die Welt nach seiner Weise zu behandeln. Es fragt sich also nur, ob er eine Weise habe; das andere wird sich schon finden.

      134. Es gibt problematische Naturen, die keiner Lage gewachsen sind, in der sie sich befinden, und denen keine genug thut. Daraus entsteht der ungeheure Widerstreit, der das Leben ohne Genuß verzehrt.

      135. Das eigentlich wahrhaft Gute, was wir thun, geschieht größtentheils clam, vi et precario.

      [23]136. Ein lustiger Gefährte ist ein Rollwagen auf der Wanderschaft.

      137. Der Schmutz ist glänzend, wenn die Sonne scheinen mag.

      138. Der Müller denkt, es wachse kein Weizen, als damit seine Mühle gehe.

      139. Es ist schwer, gegen den Augenblick gerecht sein: der gleichgültige macht uns lange Weile, am guten hat man zu tragen und am bösen zu schleppen.

      140. Der ist der glücklichste Mensch, der das Ende seines Lebens mit dem Anfang in Verbindung setzen kann.

      141. So eigensinnig widersprechend ist der Mensch: zu seinem Vortheil will er keine Nöthigung, zu seinem Schaden leidet er jeden Zwang.

      142. Die Vorsicht ist einfach, die Hinterdreinsicht vielfach.

      143. Ein Zustand, der alle Tage neuen Verdruß zuzieht, ist nicht der rechte.

      144. Bei Unvorsichtigkeiten ist nichts gewöhnlicher, als Aussichten auf die Möglichkeit eines Auswegs zu suchen.

      145. Die Hindus der Wüste geloben, keine Fische zu essen.

      146. Ein unzulängliches Wahre wirkt eine Zeitlang fort, statt völliger Aufklärung aber tritt auf einmal ein blendendes Falsche herein; das genügt der Welt, und so sind Jahrhunderte bethört.

      147. In den Wissenschaften ist es höchst verdienstlich, das unzulängliche Wahre, was die Alten schon besessen, aufzusuchen und weiter zu führen.

      148. Es ist mit Meinungen, die man wagt, wie mit Steinen, die man voran im Brette bewegt: sie können [24]geschlagen werden, aber sie haben ein Spiel eingeleitet, das gewonnen wird.

      149. Es ist so gewiß als wunderbar, daß Wahrheit und Irrthum aus Einer Quelle entstehen; deßwegen man oft dem Irrthum nicht schaden darf, weil man zugleich der Wahrheit schadet.

      150. Die Wahrheit gehört dem Menschen, der Irrthum der Zeit an. Deßwegen sagte man von einem außerordentlichen Manne: »Le malheur des temps a causé son erreur, mais la force de son âme l’en a fait sortir avec gloire«.

      151. Jedermann hat seine Eigenheiten und kann sie nicht los werden; und doch geht mancher an seinen Eigenheiten, oft an den unschuldigsten, zu Grunde.

      152. Wer sich nicht zu viel dünkt, ist viel mehr, als er glaubt.

      153. In Kunst und Wissenschaft so wie im Thun und Handeln kommt alles darauf an, daß die Objecte rein aufgefaßt und ihrer Natur gemäß behandelt werden.

      154. Wenn verständige sinnige Personen im Alter die Wissenschaft gering schätzen, so kommt es nur daher, daß sie von ihr und von sich zu viel gefordert haben.

      155. Ich bedauere die Menschen, welche von der Vergänglichkeit der Dinge viel Wesens machen und sich in Betrachtung irdischer Nichtigkeit verlieren. Sind wir ja eben deßhalb da, um das Vergängliche unvergänglich zu machen; das kann ja nur dadurch geschehen, wenn man beides zu schätzen weiß.

      156. Ein Phänomen, Ein Versuch kann nichts beweisen, es ist das Glied einer großen Kette, das erst im Zusammenhange gilt. Wer eine Perlenschnur verdecken und nur die schönste einzelne vorzeigen wollte, verlangend, wir sollten [25]ihm glauben, die übrigen seien alle so: schwerlich würde sich jemand auf den Handel einlassen.

      157. Abbildungen, Wortbeschreibung, Maß, Zahl und Zeichen stellen noch immer kein Phänomen dar. Darum bloß konnte sich die Newtonische Lehre so lange halten, daß der Irrthum in dem Quartbande der lateinischen Übersetzung für ein paar Jahrhunderte einbalsamirt war.

      158. Man muß sein Glaubensbekenntniß von Zeit zu Zeit wiederholen, aussprechen, was man billigt, was man verdammt; der Gegentheil läßt’s ja auch nicht daran fehlen.

      159. In der jetzigen Zeit soll niemand schweigen oder nachgeben; man muß reden und sich rühren, nicht um zu überwinden, sondern sich auf seinem Posten zu erhalten; ob bei der Majorität oder Minorität, ist ganz gleichgültig.

      160. Was die Franzosen tournure nennen, ist eine zur Anmuth gemilderte Anmaßung. Man sieht daraus, daß die Deutschen keine tournure haben können; ihre Anmaßung ist hart und herb, ihre Anmuth mild und demüthig, das eine schließt das andere aus und sind nicht zu verbinden.

      161. Einen Regenbogen, der eine Viertelstunde steht, sieht man nicht mehr an.

      162. Es begegnete und geschieht mir noch, daß ein Werk bildender Kunst mir bei’m ersten Anblick mißfällt, weil ich ihm nicht gewachsen bin; ahnd’ ich aber ein Verdienst daran, so such’ ich ihm beizukommen, und dann fehlt es nicht an den erfreulichsten Entdeckungen: an den Dingen werd’ ich neue Eigenschaften und an mir neue Fähigkeiten gewahr.

      163. Der Glaube ist ein häuslich heimlich Capital, wie es öffentliche Spar- und Hülfscassen gibt, woraus man in [26]Tagen der Noth einzelnen ihr Bedürfniß reicht; hier nimmt der Gläubige sich seine Zinsen im Stillen selbst.

      164. Das Leben, so gemein es aussieht, so leicht es sich mit dem Gewöhnlichen, Alltäglichen zu befriedigen scheint, hegt und pflegt doch immer gewisse höhere Forderungen im Stillen fort und sieht sich nach Mitteln um, sie zu befriedigen.

      165. Der eigentliche Obscurantismus ist nicht, daß man die Ausbreitung des Wahren, Klaren, Nützlichen hindert, sondern

Скачать книгу