Maximen und Reflexionen. Johann Wolfgang Goethe

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Maximen und Reflexionen - Johann Wolfgang Goethe Reclams Universal-Bibliothek

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di me.

      212. Leichtsinnige leidenschaftliche Begünstigung problematischer Talente war ein Fehler meiner frühern Jahre, den ich niemals ganz ablegen konnte.

      213. Ich möchte gern ehrlich mit dir sein, ohne daß wir uns entzweiten; das geht aber nicht. Du benimmst dich falsch und setzest dich zwischen zwei Stühle, Anhänger gewinnst du nicht und verlierst deine Freunde. Was soll daraus werden!

      214. Es ist ganz einerlei, vornehm oder gering sein: das Menschliche muß man immer ausbaden.

      215. Die liberalen Schriftsteller spielen jetzt ein gutes Spiel, sie haben das ganze Publicum zu Suppleanten.

      216. Wenn ich von liberalen Ideen reden höre, so verwundere ich mich immer, wie die Menschen sich gern mit leeren Wortschällen hinhalten: eine Idee darf nicht liberal [32]sein! Kräftig sei sie, tüchtig, in sich selbst abgeschlossen, damit sie den göttlichen Auftrag, productiv zu sein, erfülle. Noch weniger darf der Begriff liberal sein; denn der hat einen ganz andern Auftrag.

      217. Wo man die Liberalität aber suchen muß, das ist in den Gesinnungen, und diese sind das lebendige Gemüth.

      218. Gesinnungen aber sind selten liberal, weil die Gesinnung unmittelbar aus der Person, ihren nächsten Beziehungen und Bedürfnissen hervorgeht.

      219. Weiter schreiben wir nicht; an diesem Maßstab halte man, was man tagtäglich hört!

      220. Es sind immer nur unsere Augen, unsere Vorstellungsarten; die Natur weiß ganz allein, was sie will, was sie gewollt hat.

      221. »Gib mir, wo ich stehe!«

      Archimedes.

      »Nimm dir, wo du stehest!«

      Nose.

      Behaupte, wo du stehst!

      G.

      222. Allgemeines Causalverhältniß, das der Beobachter aufsucht und ähnliche Erscheinungen einer allgemeinen Ursache zuschreibt; an die nächste wird selten gedacht.

      223. Einem Klugen widerfährt keine geringe Thorheit.

      224. Bei jedem Kunstwerk, groß oder klein, bis in’s Kleinste kommt alles auf die Conception an.

      225. Es gibt eine Poesie ohne Tropen, die ein einziger Tropus ist.

      226. Ein alter gutmüthiger Examinator sagt einem [33]Schüler in’s Ohr: »Etiam nihil didicisti« und läßt ihn für gut hingehen.

      227. Das Fürtreffliche ist unergründlich, man mag damit anfangen, was man will.

      228. Aemilium Paulum – virum in tantum laudandum, in quantum intelligi virtus potest.

      229. Ich habe mich so lange um’s Allgemeine bemüht, bis ich einsehen lernte, was vorzügliche Menschen im Besondern leisten.

      [34]Aus Kunst und Alterthum.

      Fünften Bandes erstes Heft.

      1824.

      (Einzelnes.)

      230. Indem ich mich zeither mit der Lebensgeschichte wenig und viel bedeutender Menschen anhaltender beschäftigte, kam ich auf den Gedanken: es möchten sich wohl die einen in dem Weltgewebe als Zettel, die andern als Einschlag betrachten lassen; jene gäben eigentlich die Breite des Gewebes an, diese dessen Halt, Festigkeit, vielleicht auch mit Zuthat irgend eines Gebildes. Die Schere der Parze hingegen bestimmt die Länge, dem sich denn das Übrige alles zusammen unterwerfen muß. Weiter wollen wir das Gleichniß nicht verfolgen.

      231. Auch Bücher haben ihr Erlebtes, das ihnen nicht entzogen werden kann.

      Wer nie sein Brot mit Thränen aß,

      Wer nicht die kummervollen Nächte

      Auf seinem Bette weinend saß,

      Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

      Diese tiefschmerzlichen Zeilen wiederholte sich eine höchst vollkommene angebetete Königin in der grausamsten Verbannung, zu gränzenlosem Elend verwiesen. Sie befreundete sich mit dem Buche, das diese Worte und noch manche schmerzliche Erfahrung überliefert, und zog [35]daraus einen peinlichen Trost; wer dürfte diese schon in die Ewigkeit sich erstreckende Wirkung wohl jemals verkümmern?

      232. Mit dem größten Entzücken sieht man im Apollosaal der Villa Aldobrandini zu Frascati, auf welche glückliche Weise Domenichin die Ovidischen Metamorphosen mit der schicklichsten Örtlichkeit umgibt; dabei nun erinnert man sich gern, daß die glücklichsten Ereignisse doppelt selig empfunden werden, wenn sie uns in herrlicher Gegend gegönnt waren, ja daß gleichgültige Momente durch würdige Localität zu hoher Bedeutung gesteigert wurden.

      233. Poesie wirkt am meisten im Anfang der Zustände, sie seien nun ganz roh, halbcultivirt oder bei Abänderung einer Cultur, bei’m Gewahrwerden einer fremden Cultur, daß man also sagen kann, die Wirkung der Neuheit findet durchaus statt.

      234. Mannräuschlein nannte man im siebzehnten Jahrhundert gar ausdrucksvoll die Geliebte.

      235. Liebes gewaschenes Seelchen ist der verliebteste Ausdruck auf Hiddensee.

      236. Das Wahre ist eine Fackel, aber eine ungeheure; deßwegen suchen wir alle nur blinzend so daran vorbei zu kommen, in Furcht sogar, uns zu verbrennen.

      237. »Die Klugen haben mit einander viel gemein.« Äschylus.

      238. Das eigentlich Unverständige sonst verständiger Menschen ist, daß sie nicht zurecht zu legen wissen, was ein anderer sagt, aber nicht gerade trifft, wie er’s hätte sagen sollen.

      239. Ein jeder, weil er spricht, glaubt, auch über die Sprache sprechen zu können.

      [36]240. Man darf nur alt werden, um milder zu sein; ich sehe keinen Fehler begehen, den ich nicht auch begangen hätte.

      241. Der Handelnde ist immer gewissenlos; es hat niemand Gewissen als der Betrachtende.

      242. Ob denn die Glücklichen glauben, daß der Unglückliche wie ein Gladiator mit Anstand vor ihnen umkommen solle, wie der römische Pöbel zu fordern pflegte?

      243. Den Timon fragte jemand wegen des Unterrichts seiner Kinder. »Laßt sie«, sagte der, »unterrichten in dem, was sie niemals begreifen werden.«

      244. Es gibt Personen, denen ich wohl will und wünschte, ihnen besser wollen zu können.

      245. Der eine Bruder brach Töpfe, der andere Krüge. Verderbliche Wirthschaft!

      246. Wie man aus Gewohnheit nach einer abgelaufenen Uhr hinsieht, als wenn sie noch ginge, so blickt man auch wohl einer Schönen in’s Gesicht, als wenn sie noch liebte.

      247. Der Haß ist ein actives Mißvergnügen, der Neid ein passives; deßhalb darf man sich nicht wundern, wenn der Neid so schnell in Haß übergeht.

      248. Der Rhythmus hat etwas Zauberisches, sogar macht er uns glauben, das Erhabene gehöre uns an.

      249. Dilettantismus,

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