Die weise Schlange. Petra Wagner
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Читать онлайн книгу Die weise Schlange - Petra Wagner страница 42
Wütend schlug Viviane mit der Faust gegen die Trennwand und grollte: „Was nützt also dem halb verhungerten Bauern das größte Bad aus Marmor mit beheiztem Fußboden, wenn er nicht weiß, wie er seine Abgaben leisten soll und er seine Kinder an die Römer verkaufen muss, nur damit er irgendwann allein auf dem Feld steht und schuftet, bis er tot umfällt? Und seit wann sind die Römer friedliebend?! Das schaffen die ja nicht mal untereinander! Die ermorden ihre Kaiser, wenn der nächste an die Macht will. Die verurteilen ihre fähigsten Krieger als Verräter, weil sie Angst vor deren Führungsqualitäten haben! Die fürchten sich vor ihren eigenen Legionen und deren Heerführern, weil sie eine unglaubliche, unglaubliche Macht haben! In Windeseile können die ihr eigenes Land erobern, und das wissen die schlauen Senatoren sehr wohl!“
Viviane schlug wieder die Faust gegen die Trennwand und brüllte fast: „Sage mir, oh weit gereister Spross einer uralten Händlerdynastie! Wie viele Länder haben sich die Römer in den letzten zweihundert Jahren einverleibt? Und wie viele Unmengen an Gold und sonstigen Abgaben pressen sie aus denen heraus? Kein Römer muss mehr Steuern zahlen! Sie müssen kein Korn mehr anbauen, kein Tuch mehr weben, kein Eisen mehr schmieden, keine Edelsteine mehr brechen! Sogar das Wissen wird geliefert!“
Wieder donnerte Viviane ihre Faust gegen die Wand.
„Du, Grieche, musst es doch am besten wissen! Ein Land, in dem es für die Römer was zu holen gibt, wird bald kein freies Land mehr sein. Sie selbst müssen bloß ihre Plebejer unter der Fuchtel halten, damit die genug Kinder bekommen, damit das Heer immer weiter siegen kann. Das ist schlau durchdacht und funktioniert bestens. Denn wenn sie eines perfekt beherrschen, dann ist es die Kunst des Krieges. Kein Wunder, bei so viel Erfahrung und Tradition!“
Viviane wollte noch einmal gegen die Wand schlagen, hielt jedoch inne.
„Ach, und bezüglich Erfahrung: Was meinst du wohl, wie die Römertruppen so schnell von einem Ort zum anderen kommen, um ihr sogenanntes Gallien in Windeseile zu erobern?! Die Straßen waren vorher schon da! Sie haben höchstens welche aufgestockt und breiter gemacht, damit sie noch schneller und trockenen Fußes zur nächsten Unterwerfung kommen. Das ich nicht lache, ha! Deine Bäder und Theater sind Volksverdummung! Nein, das muss ich revidieren, von Kunst und Kultur wird man nicht dumm, im Gegenteil, und ein gepflegtes Bad hat auch noch nie geschadet. Aber was ist mit unserer Kultur, mit unseren Sitten und Gebräuchen? Heilige Hallstätten, heilige Bäume … alles wird geplündert und geschändet, wenn es ihnen zugutekommt. Sie rauben unsere Königsgrabhügel aus für Gold. Sie vernichten unsere Wälder, denn darin könnte sich ein ganzer Stamm Belger oder Treverer oder Noriker oder gar die gesamte Konföderation Helvetia verstecken. Römer lieben Grünanlagen? Ja, selbstverständlich! Die sind ja so viel übersichtlicher als ein Wald, wo man vor lauter Bäumen die Feinde nicht sieht! Es sei denn, die Bäume fallen um, die Feinde stehen da, mit der Axt in der Hand, und die Römer sind platt.“
Nun donnerte Viviane doch noch einmal ihre Faust gegen die Wand und zischte: „Wenn du ein guter Beobachter sein willst, du kretischer H…ändler, musst du weiter sehen als bis zum nächsten Futtertrog!“
Angus pfiff durch die Zähne. Wann hatte Viviane Luft geholt?
„Bei meiner Mutter!“ Loranthus rieb sich den Schweiß aus den Augen. „Jetzt hast du mir aber ordentlich den Kopf gewaschen. Von deiner Warte aus betrachtet, scheine ich eine ganze Menge übersehen zu haben. Du musst wissen, Viviane, meinem Vater war es sehr wichtig, dass ich meine erste Allein-Reise hierher unternehme. Und wenn er wüsste, wie viel Glück ich im Unglück habe …“ Von plötzlichem Heimweh gepackt, wandte er sich um. „Markus, kommst du an einem Hafen vorbei, wo Schiffe nach Kreta auslaufen?“
„An der Mündung des Po fahren ständig Schiffe nach Kreta.“
„Würdest du dort bitte einen Brief für meinen Vater aufgeben. Ich werde dich gut bezahlen und der Seefahrer bekommt von meinem Vater Gold, solides Gold, wenn er den Brief überbringt.“
„Es wird mir eine Ehre sein. Ich bleibe noch bis Beltane hier, um meine Waren für die Heimreise zu erwerben. Mit etwas Glück hat er den Brief bereits in einem Mond und ich könnte dir sogar seine Antwort übermitteln. Ich bin nämlich zu Lugnasad wieder im Lande. Soll ich dir gleich noch ein Fässchen Wein mitbringen?“
„Wein? Das wird ja immer besser! Jetzt bräuchte ich bloß noch etwas zum Schreiben.
Habt ihr etwas Vergleichbares?“
„Vergleichbares?“ Der Wirt gähnte herzhaft. „Für wie dumm hältst du uns? Meinst wohl, wir hätten noch nie was vom Schreiben gehört, nur weil wir nicht das teure Papyrus von Übersee kaufen. Wenn ihr morgen frühstückt, werden sämtliche Schreibutensilien bereitliegen. Danach könnt ihr mit meinem Neffen und seinem Stiefvater über die Werra setzen. Der Junge hat übrigens auch die Hasen gefangen. Er ist sehr geschickt im Schlingen legen, stimmt’s, mein Weib?“
„Oh, ja, das stimmt, mein Bester, und da wir gerade von unsrer Werra reden …“ Auf der anderen Seite machte die Wirtin die Tür des Schwitzbades auf und führte ihre weiblichen Gäste zum Fluss. Die Männer konnten hören, wie sie sich im Wasser abkühlten und mit Seife wuschen. Ja, von ihrer Badestelle aus konnten sie etwas später sogar hören, wie Viviane Hanibu das Zähneputzen mittels Wolllappen erklärte. Was sie nicht hörten, war die leise Frage von Viviane an die Wirtin.
„Warum bist du traurig? Als dein Mann deinen Neffen erwähnt hat, standen Tränen in deinen Augen und du hast kaum einen Ton herausgebracht.“
„Du bist eine gute Beobachterin.“ Verlegen senkte die Wirtin ihre grauen Augen und holte tief Luft. „Der Mann meiner Schwester lag eines Morgens tot im Bett. Stell dir vor, er war erst fünfundzwanzig Jahre alt und strotzte vor Kraft, ist einfach im Schlaf gestorben. Mein Neffe war damals sieben. Meine Schwester wollte lange keinen neuen Mann und führte den Fährbetrieb ganz allein; ein hartes Geschäft für ein zierliches Weib.
Die ganze Zeit über wurde sie heftig von einem unserer Krieger umworben, bis sie schließlich heirateten. Von da an führte er die Fähre. Das ging eine Weile gut, bis er anfing, den Met wie Wasser zu trinken. Er wurde immer jähzorniger. Daran hat sich nichts geändert, solang sie auch hoffte. Im Gegenteil, es wird immer schlimmer. Das kleinste Missgeschick meines Neffen bringt ihn in Rage. Er drückt ihn gegen die Wand, brüllt, schlägt oder tritt ihn und wenn meine Schwester dazwischengeht, bekommt eben sie die Wut ab. So verlor sie ihr ungeborenes Kind. Letztens ging es besonders brutal zu und sie hat ihm rundheraus mit Scheidung gedroht. Da ist er mit dem Schwert auf die beiden losgegangen, ich habe sie bis hier herüber schreien hören. Ich glaube, dieser Unhold hat sich nur beherrscht, bis das Probejahr vorbei war. Jetzt kann sie ihn nicht mehr verlassen, es sei denn, sie nennt einen guten Grund. Aber vorher schlägt er sie tot.“
Viviane schürzte die Lippen.
„Er hat zwar die Macht dazu, aber welcher Mann tut das seinem Weib an? Er müsste sich vor dem hohen Gericht rechtfertigen und ein Freispruch wäre ihm nicht gewiss.“ Sie legte den Kopf schief. „Welch eine Misere. Deine Schwester und dein Neffe sind in großer Gefahr. Einem jähzornigen Krieger sind beide nicht gewachsen und wenn man ihnen helfen würde, könnte die Lage durchaus eskalieren.“
„Du sagst es“, flüsterte die Wirtin. „Einmal hat sich mein Mann eingemischt, das war ein schwerer Fehler. Ihm selbst ist nichts passiert, mein Schwager käme auch nicht gegen ihn an, schon gar nicht im Schwertkampf; aber meine Schwester hat seitdem noch mehr zu leiden und mein Neffe erst recht. Darum wissen wir nicht …“ Resigniert