Die weise Schlange. Petra Wagner
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„Prima“, seufzte Loranthus und war ziemlich erleichtert – bis er die Haustür musterte, an der er sich den Kopf stoßen würde, wenn er sich nicht ein wenig duckte. Gerade wollte er fragen, warum sie hierzulande gute Öfen bauten, aber keine Türen in ihrer Größe, da fiel ihm die Antwort selbst ein: Wenn man eine niedrige Tür aufmachte, blieb mehr Wärme im Haus als bei einer hohen. Ja, diese hochgewachsenen Barbaren waren wirklich nicht dumm.
Kaum waren sie am Stall angelangt und hatten sich über das dick ausgelegte Stroh gefreut, kam auch schon der Wirt, beladen mit Wassereimern in den Händen und Heu in einem hohen Weidenkorb auf dem Rücken.
„Ihr habt übrigens eine gut sichtbare Wegmarkierung“, sagte Viviane, während er mit Leichtigkeit das Heu in eine Raufe an der Wand steckte und das Wasser in einen sauberen Trog schüttete.
„Ja, nicht wahr? Den Weg haben wir erst kürzlich frisch instand gesetzt. Du weißt schon, unerwünschten Wuchs freischneiden, Orts- und Zeitangaben auf den Markierungen auffrischen …“
„Das ist euch gelungen“, versicherte Viviane vage und runzelte die Stirn. Offensichtlich sprach der Wirt nicht gern über das, was vor Kurzem hier geschehen sein musste. Einen Trupp feindlich gesinnter Chatten als ‚unerwünschten Wuchs‘ zu bezeichnen – auf den Vergleich wäre sie nie gekommen. Dafür hatte sie anhand der Toten Ort und Zeit wiederum gut ablesen können.
„Soll ich euch beim Abladen helfen?“ Der Wirt warf einen besorgten Blick auf Hanibu, die immer noch an Viviane gelehnt schlief.
„Wenn du sie mir vom Pferd heben könntest, wäre das eine große Hilfe“, flüsterte Viviane und verdrehte dabei ihre Augen zu Loranthus hinüber.
„Verlass dich ganz auf mich. Ich lege sie gleich ins Bett.“ Mühelos hob der Wirt Hanibu auf seine Arme, grinste selbstzufrieden und lief los.
Viviane stieg gemächlich von Dina. Hinter ihr ertönte ein dumpfer Aufschlag, doch das trieb sie noch längst nicht zur Eile – Loranthus lag ohnehin schon im Stroh und rieb sich den Hintern. Sobald er Vivianes mühsam verkniffenes Lachen sah, rappelte er sich auf und wollte sich beschweren, doch ihm fiel etwas Besseres ein.
In ungeahnter Geschwindigkeit lud er sämtliches Gepäck von Arion und schaffte es trotzdem, dabei jede einzelne Ledertasche für ihre stabile Machart zu bewundern – von allen Seiten, wohlgemerkt. Viviane konnte nur staunen.
Ihr gelang es gerade noch, ihre Blasrohre an sich zu raffen, die sie in der längsten Ledertasche versteckt hatte. Auch ihre Schwerter samt Waffengürtel, den aufwendig geschnitzten Reiterbogen und den abgewetzten Lederköcher samt Pfeilen rettete sie vor unerlaubtem Zugriff.
Als sie sich Letzteres locker über die Schulter warf und zur Tür ging, schnappte Loranthus nach Luft.
„Das sind deine?! Ich dachte, du transportierst die bloß?! Bist du eine Kriegerin? Ja, bei Athene, natürlich bist du eine Kriegerin, ich habe es gleich gewusst, allein die Art, wie du auf dem Pferd gesessen hast und wie du abgestiegen bist, und wie du vor mir gestanden hast, und wie du dich bewegst! Und als du zornig geworden bist, hast du diesen Barb… diesen Kutschenräubern extrem ähnlich gesehen, und ich wusste sofort, du bist noch gefährlicher als die alle zusammen und …“
„Lass gut sein! Beruhige dich“, lachte Viviane und packte den nach Luft ringenden Loranthus bei den Schultern. „Du brauchst doch keine Angst vor mir zu haben. Ich tue dir nichts. Heute nicht. Und morgen nicht. Und auch sonst niemals. Das schwöre ich. Es sei denn, du greifst mich ernsthaft an. Also keine Panik. Immer mit der Ruhe.“
„Du schwörst? Prima, das beruhigt mich kolossal. Kolossal.“ Loranthus seufzte erleichtert, bis ihm auffiel, dass Viviane seine Fragen übergangen hatte. „Aber du bist eine Kriegerin! Und das sind deine Waffen!“ Er zog einen Schmollmund. „Leugne es nicht, etwas anderes kaufe ich dir nicht ab!“
Viviane musste grinsen.
„Ja, bei Donar, dem mächtigen Streiter, ich bin eine Kriegerin. Zur Hälfte jedenfalls. Manchmal mache ich auch Jagd auf frei laufende Stiere. Die sollen ja besonders saftig werden, wenn man sie in Olivenöl tunkt. Du hast natürlich Glück, Hasenbraten in Nussöl esse ich noch lieber.“
„Oh, ich glaube, du willst mich an der Nase herumführen. Sei ehrlich! Laufen alle Keltoi-Krieger so herum wie du?“ Er zeigte auf das Langschwert, den Bogen …
„Loranthus. Was sollst du nicht mehr sagen?!“
„Gut, gut, ich meinte, Hermundurenkrieger. Sind die alle derart voll bepackt?“
„Nein. Nur solche, die eine weite Reise machen. Man weiß ja nie, was man unterwegs alles gebrauchen kann.“
„Und? Hast du schon mal etwas davon gebrauchen können?“
Verlegen sah Viviane auf ihre Hände hinab. „Nein, zum Glück noch nicht.“
„Zum Glück? Was meinst du mit Glück?“
Weil er keine Antwort bekam, öffnete Loranthus den Mund, um nachzufragen. Doch in diesem Moment machte Viviane auf dem Absatz kehrt, um ihre Waffen ins Haus zu bringen. Als sie zurück in den Stall kam, stand Loranthus immer noch da. Seinem entsetzten Blick nach zu urteilen, war er gerade dabei, sich selbst eine wirklich schlimme, unerhörte Antwort zu suchen, und dabei hatte er die Doppelaxt auf ihrem Rücken noch gar nicht entdeckt. Schweigsam zäumte Viviane ihre Dina ab.
Loranthus wollte das Gleiche bei Arion tun, doch dieser wich ihm ständig aus und so schlichen sie umeinander herum, als würden sie einen komplizierten Tanz einüben.
Viviane betrachtete die Darbietung eine Weile aus den Augenwinkeln und tat sehr beschäftigt, schließlich entschied sie sich aber doch, das Stachelbeerchen zu erlösen.
Resolut nahm sie Arion am Zügel.
„Schluss damit, alle beide. Loranthus, ich sehe zwar, du weißt, was du tust, aber mein Arion hier kann es besser. Wenn er nicht will, kann er einen ganz schön zur Weißglut treiben. Ich hatte anfangs selbst redlich Mühe mit ihm. Die treue Seele hing wohl zu stark am früheren Besitzer. Wie wir zusammen aufbrechen wollten, stellte er sich ganz und gar tot. Hat alle viere von sich gestreckt! Ist ein richtiger Schelm, mein Arion! Er dachte wohl, ich würde ihm das abkaufen!“
„Wie hast du ihn wieder auf die Beine bekommen?“ Loranthus trat unauffällig weg von Arion und beäugte ihn misstrauisch von der Seite. Arion starrte zurück.
„Zuerst dachte ich wirklich, er sei krank und habe ihn untersucht. Das war recht unterhaltsam, besonders für Arion. Wahrscheinlich liebt er es, wenn ich ihn abtaste und überall mein Ohr gegen ihn drücke; jedenfalls hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich Bescheid wusste. Dann zog ich und schob und schimpfte, bis ich mit meinen Kräften und meiner Tirade am Ende war. Also habe ich ihm etwas zugeflüstert, ein Versprechen. Das hat ihn ganz schnell auf die Beine gebracht.“
Loranthus sah sie schief an. „Versprochen? Einem Pferd? Was denn?“
„Das …“ Viviane tätschelte Arion, der sie sachte stupste. „… ist unser Geheimnis.“
Loranthus starrte von Viviane zu Arion und wieder zurück, und prustete los. Er lachte und lachte und japste nach Luft, bis er sich die Seiten halten musste und sein Gesicht rot glänzte wie ein gesalzenes Radieschen.