Quote, Rasse, Gender(n). Christoph Türcke
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Wie Coca-Cola einen besonderen Durst nach Coca-Cola erzeugt, so das neue Gleichstellungsmedium einen besonderen Durst nach sichtbarer Gleichstellung. Internetgestützte Basisdemokratie läuft auf eine Politik der Gleichstellung der gesamten Minderheitenvielfalt hinaus. Sie geht mit einer neuen Utopie schwanger. In dem Maße, wie in Parlamente, Regierungen, Unternehmensleitungen, Gewerkschaften, Aufsichtsräte, Akademien, Polizeidirektionen, Offizierscorps und Börsen eine paritätische Geschlechts- und Minderheitendiversität einzieht, hören Benachteiligung und Ausgrenzung auf, schwindet die binäre patriarchale Weltordnung, wächst die Vielfalt, gleicht sich die Gesellschaft demokratisch aus, entstehen »diskriminierungsfreie Räume«. Was kümmert da noch der Weltmarkt oder der Klimawandel, den der Zwang zum wirtschaftlichen Wachstum vorantreibt? Auch sie werden sich durch Paritätsverhältnisse moderieren lassen, in denen die Andersheit der anderen respektiert und niemand mehr »abgewertet« wird.
Eine geradezu biedermeierliche Utopie in digitalem Gewand, diese diskriminierungsfreie Paritätsdemokratie. Doch wie soll man in einer komplexen Gesellschaft Paritäten feststellen? Man wird leider nicht umhinkommen, sie auszurechnen – sie wohl oder übel gegeneinander aufzurechnen. Spätestens dabei wird es ungemütlich. Soll nur das Quantum der Betroffenen zählen oder auch die Schwere und die zeitliche Länge ihrer Benachteiligung? Jede Berechnung fußt auf Bewertungen, die man auch anders gewichten könnte. Jedes Verfahren der Paritätsermittlung beflügelt den Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit, Einfluss und finanzielle Zuwendung. Unterm Strich stehen dann Prozentzahlen: Quoten. Bei ihnen setzt dieses Büchlein an. Angeblich schaffen sie mehr Gerechtigkeit und festigen das demokratische Fundament der Gesellschaft. Dabei tun sie eher das Gegenteil.
Quote
Gleichstellungsbeauftragte gibt es reichlich. Aber kommt die Gleichstellung der Geschlechter auch gut voran? Daran zweifelt neuerdings sogar eine starke Strömung in der CDU. Eine Bundeskanzlerin, mehrere Ministerinnen, eine Parteivorsitzende – das genügt ihr nicht mehr, zumal nicht gewiss ist, ob mit den ausschließlich männlichen Bewerbern um das Erbe von Angela Merkel das Rad nicht wieder zurückgedreht wird. Erst wenn bis hinunter auf die kommunale Ebene alle Parteifunktionen und -ämter zur Hälfte mit Frauen besetzt sind, könne von durchgesetzter Gleichstellung die Rede sein. Das sagen auch immer mehr einflussreiche Männer in der Partei. Sie freunden sich mit der Fünfzig-Prozent-Frauenquote an. Deren Einführung ist kaum mehr aufzuhalten.
Andere sind da längst weiter. Die rot-rot-grüne Thüringer Landesregierung hat ein Paritätsgesetz erlassen. Es besagt: Bei Landtagswahlen muss jede Partei auf ihren Kandidatenlisten immer abwechselnd einen Mann und eine Frau aufführen (»Reißverschlussprinzip«). Wenn sich nicht genügend Kandidatinnen finden, bleiben die entsprechenden Listenplätze leer. Nur so bekommen die Parteien den nötigen Druck, Frauen gleichzustellen. Prompt hat die AfD gegen dieses Gesetz geklagt. Ganz offen gibt sie zu, nicht genügend Kandidatinnen für die Wahllisten zu haben. Sie sieht sich dadurch benachteiligt und in ihrer Betätigungs- und Programmfreiheit als Partei eingeschränkt. Brisant: Eine männerdominierte Partei, die keinerlei ernsthafte Anstalten macht, ihren Frauenanteil zu erhöhen, reklamiert Chancengleichheit für sich. Und der Thüringer Verfassungsgerichtshof gibt ihr Recht! Parteien seien »frei, das Personal zu bestimmen, mit dem sie zu einer Wahl antreten wollen« – ohne Ansehen des Geschlechts. Auch das Recht, sich zur Wahl zu stellen, dulde keine Kontingentierung von Listenplätzen nach Geschlechterparität.
So urteilte im Juli 2020 ein Gericht aus sieben Männern und zwei Frauen. Die beiden Frauen und ein Mann gaben zwar ein Minderheitsvotum ab. Das Paritätsgesetz habe lediglich »die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Politik« »durch begünstigende Regelungen ausgeglichen«, indem es »die Chancengleichheit von Männern und Frauen fördere, aber nicht ein paritätisch besetztes Parlament garantiere«.3 So habe es nach wie vor die Verteilung der Direktmandate nach Wählerstimmen vorgesehen, nicht nach Paritätsgesichtspunkten. Doch die Mehrheit von sechs Männern teilte die Sicht der AfD. Deren Thüringer Landesvorsitzender Björn Höcke, der Exponent jenes Partei-»Flügels«, der wegen vielfach aktenkundiger rechtsextremer Programmatik unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, durfte die Entkräftung eines Gesetzes zur Förderung der Gleichstellung genüsslich als Sieg der Demokratie verbuchen. Wenige Monate später, im Oktober, gab auch in Brandenburg das Landesverfassungsgericht dem Einspruch von NPD und AfD gegen das ›Reißverschluss‹-Paritätsgesetz statt, das die rot-rot-grüne Mehrheit im Potsdamer Landtag durchgesetzt hatte – mit den gleichen Argumenten. Schließlich wies im Februar 2021 das Bundesverfassungsgericht die Klage einer Gruppe von Frauen ab, die die Gültigkeit der Bundestagswahl 2017 wegen fehlender Paritätsregeln bestritt. In all diesen Gerichten sind Frauen in der Minderheit. Könnte das parteiübergreifende Komplott weißer Männer offensichtlicher sein?
Nicht aus der Perspektive derjenigen, die in flächendeckender paritätischer Besetzung von Funktionen und Posten die Vollendung der Gleichstellung sehen – und das grundsätzliche Dilemma ignorieren, in dem der Begriff der Gleichheit steckt. Dass alle Menschen gleich seien, widerspricht jeglichem Augenschein. Jeder ist anders als die anderen und nur deshalb ein Individuum. Gleichheit gibt es immer nur in bestimmter Hinsicht: etwa des Alters, des Geschlechts, der Sprache, Ethnie, Hautfarbe, Nation, Religion, sozialen Klasse etc. Gleichheit als Menschenrecht ist zwar eine große, nicht wieder preiszugebende Errungenschaft, aber auch bloß eine Hinsicht. Sie besagt: Die Menschen eines Gemeinwesens mögen noch so verschieden sein, was Körperbeschaffenheit, Tätigkeit, Bildung, Einkünfte oder Lebensqualität betrifft. Als seine Bürger »sind sie vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.«
Wer hätte gedacht, dass es um diese schlichten Worte aus Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes (GG) einmal große Auslegungsdebatten geben würde? Heißt Gleichheit nicht eindeutig gleicher Zugang zu allem, was allen rechtlich zusteht: zu Bildung, Pflege, medizinischer Behandlung, öffentlichen Transport- und Kommunikationsmitteln, zu allen Konsumgütern, Wohnungen, Reisezielen, die man erschwingen kann, zu allen Berufen, für die man geeignet ist, zu allen Parteien, Vereinen, Glaubensgemeinschaften, die verfassungsgemäß sind? Diese kleine Aufzählung zeigt schon, wo der Haken ist. Nicht alle Weltanschauungen sind verfassungsgemäß; nicht alle Menschen sind für alle Tätigkeiten geeignet; nicht alle können alles erschwingen. Der Tochter der alleinerziehenden Verkäuferin und dem Sohn des Rechtsanwaltsehepaars stehen zwar das gleiche Schulsystem und die gleiche Berufswelt offen. Doch nur in den seltensten Fällen werden sie in der Lage sein, ihre rechtlich gleichen Chancen in gleicher Weise zu nutzen. Gleichberechtigung ist nicht schon Gleichstellung. Deswegen sind Gleichstellungsbeauftragte so wichtig, die darüber wachen, dass im Berufsalltag Frauen tatsächlich nicht benachteiligt oder belästigt werden und niemand unter seiner sexuellen Orientierung zu leiden hat. Auch in den Schulen gibt es so etwas wie Gleichstellungsbeauftragte: Förderlehrer, die sich lernschwachen Kindern aus prekären Verhältnissen widmen und deren soziale Benachteiligung so gut wie möglich auszugleichen versuchen.
Doch beim Übergang von der Gleichberechtigung zur Gleichstellung bleibt immer eine Lücke. Nur zum Teil kann sie rechtlich gefüllt werden: etwa durch Gesetze, die Gewalt in Ehe und Partnerschaft, Mobbing