Max Beckmann. Petra Kipphoff

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Max Beckmann - Petra Kipphoff

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bedrohen und mit Klauen, Zähnen und Stöcken über ihn herfallen. Und wo ist die Versuchung? Für diese ist angesichts der Dimensionen der Bestrafung bei Grünewald kein Platz. Dass auch der Eros dazugehörte, ist eher unwahrscheinlich oder, angesichts des Greisenalters des Heiligen, schon sehr lange her.

      Anders bei Beckmann. Auf der Mitteltafel des Triptychons »Die Versuchung« sieht man einen jungen Mann in roten Pumphosen und einem gelben, kurzärmeligen Oberteil ausgestreckt am Boden liegen. Gebannt schaut er auf eine üppige, nur minimal bekleidete Frau, die in geringer Entfernung von ihm sitzt. Er ist aber gefesselt und sie deshalb für ihn unerreichbar. Hinter ihm liegt ein aufgeschlagenes Buch am Boden, mit einiger Mühe kann man den ersten Vers des Johannes-Evangeliums entziffern: »IM ANFANg WAR DAS WORT«. Außerdem auf einem Zettelrand das Wort SATURN. Der Page, der auf dem rechten Flügel des Triptychons forsch voranschreitend eine auf allen Vieren am Boden kriechende Frau an einer Leine führt und mit der Linken auf einem Tablett eine Krone servierbereit hält, ist, wie auf dem Käppi zu lesen, ein Hotelboy des Berliner Restaurants (Kem)PINSKI.

      Angesichts des dramatischen Geschehens, das sich auf dem Bild abspielt, sind diese Buchstaben oder Satzfetzen optisch eher Randerscheinungen. Und tragen doch dazu bei, den Radius des Bildgeschehens, den Mythos oder die Geschichte mit zielstrebiger Nonchalance, die ihre Kürzel wie zufällig verstreut, in eine andere Zeit, in die Gegenwart und Welt von Max Beckmann hinein zu erweitern, mit allen Zufälligkeiten und Banalitäten. Zu Recht stellt Michel Butor in seinem Buch »Die Wörter in der Malerei« die Frage, warum dieses Thema noch nicht untersucht worden ist: »Eine erstaunliche Blindheit, denn grade das Vorhandensein dieser Wörter unterminiert die durch unser Bildungssystem errichtete Trennwand zwischen der Literatur und den bildenden Künsten.«6 Max Beckmann, der ohne Bücher nicht sein wollte und konnte, hat die Trennwand für sich selber beiseite geschoben. Und seine Arbeiten dadurch um ein Element erweitert, das manchmal eine Information, einen Kommentar, oft aber auch ein Rätsel in die Welt der Bilder bringt.

      »Im Anfang war das Wort«, so beginnt die Apokalypse des Johannes, und vor allem diesem Text verdankt sich die Tatsache, dass das Wort Apokalypse zum Synonym geworden ist für die Geschichte des Weltuntergangs oder auch für Schrecken und Vernichtung aller Arten. Im Anfang, und in dem Moment, wo der Mensch beginnt, sich verständlich zu machen, ist das Wort. Für Max Beckmann, der diesen Text 1941 mit 27 nachträglich kolorierten Steinzeichnungen anschaulich gemacht und interpretiert hat – es handelte sich um eine Auftragsarbeit –, war das Wort von Anfang an Begleiter. Und ist es bis zum Schluss geblieben. Beckmanns letzte Eintragung im Tagebuch ist vom Tag seines Todes.

       26. Dezember 1950

       Schneefall …

       Den ganzen Tag gearbeitet

       Auch noch am »Kopf« –

       Und »Theatergarderobe«

       Q. war böse – 7

      Es gibt Max Beckmann, den klaren und pointierten, oft auch zynischen und angriffslustigen Autor der Vorträge und Kommentare zu seiner Arbeit, seinem Werk, der Kunst überhaupt. Und daneben das Leben in den Briefen und im Tagebuch. Ohne Illusion und später auch oft mit Resignation. Aber dann gibt es auch plötzlich den romantischen Phantasten, der von ekstatischen Festen psalmodiert und himmlischen Wolken nachdichtet. Und seiner geliebten Mathilde, genannt Quappi, kurz vor der Heirat die grandiosen Möglichkeiten einer imaginierten Hochzeitsreise schildert:

      »Wollen wir nach Afrika uns im Urwald eine Hütte bauen und Bäume ausroden? Den Negern ein Grammo mitbringen und ›Windsor‹ zum Gestampf dicker Negressen spielen lassen. In Seen baden und Krokodile am Bauch kitzeln … Oder wir mieten den Zigeunerwagen, lassen einen Motor einbauen und rasen über Grönland zu den Eskimos Deinen Ahnen!! – Ja was meinst Du – ›Die kleine Eisprinzessin kommt zurück …‹ rufen dann die Eisbären und putzen sich fleißig mit Pebeo die Zähne, damit sie recht gefährlich aussehen. – Die Robbenjungfrauen aber versammeln sich und überreichen Dir einen grünen Mooskranz mit Nordlichtern besteckt und ich bekomme viel Schnaps von den guten Eskimomännern und Thran zum Einreiben …

      Das Wohnungsamt des Nordpols hat uns den zur Zeit unbewohnten Palast der Eiskönigin zugewiesen in dem bis jetzt nur Eisbären und Eisbärinnen höchst unerlaubt ohne Berechtigung ihren Foxtrott im gelbroten Schein der Nordlichter getanzt haben … Denk Dir: des Morgens werden wir dann durch den großen Trommlerchor der schwarzen Walrosse geweckt (sie können die großen, weißen und roten Trommeln ganz gut mit ihren großen Flossen halten) und können ganz vorzüglich trommeln: Rum, RRum, RummPumPung. – Ein Großer Walfisch bläst auf einer Riesenflöte den Orionchoral, das große Solo. – Er ist etwas fett und sentimental, der große Walfisch und vor Ergriffenheit über sein eigenes Spiel rinnt ihm die Träne aus seinen kleinen Augen, so groß wie ein Fass. Du musst wissen, dass der Walfisch ein großer Verehrer von Jean Paul ist. Daher bläst er so gern die Flöte im Morgensonnenschein.«8

      Es gibt den Briefschreiber, der die Liebste und das Verliebtsein feiert, dabei natürlich auch sich selber. Der den Liebeskummer festhält, die Fragen und Probleme des privaten und politischen Alltags, der die Freuden und Leiden seiner ersten Liebe Minna, später seiner zweiten Liebe Quappi mit teilt, den Freunden und schließlich auch dem Sohn Peter. Gern in einem dramatischen Tonfall, den er nur gegenüber dem Sohn nicht anwendet. Aber gelegentlich auch mit einer Offenheit relativ Fremden gegenüber, die nichts verbirgt und so hoffnungslos wie selbstbewusst klingt.

      Mitte März 1919 schreibt er an den Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe, der sich für das Werk und den Künstler interessiert und der ihn zu einer Professur beglückwünscht, die Beckmann aber abgelehnt hatte: »Ich weiß nur das eine, daß ich der Idee, mit der ich geboren bin und die sich vielleicht noch embryonal schon in dem Drama und der ersten großen Sterbeszene findet, mit dem Aufgebot aller meiner Kräfte folge bis ich nicht mehr kann.«9

      Stephan Lackner gegenüber erlaubt er sich und dem Freund zur momentanen Erleichterung im November 1939 auch den ihm nicht fremden Zynismus: »Ich schreibe dieses gerade während einer Verdunkelung in Amsterdam beim harmonischen Concert des Sirenengeheuls. Man muß anerkennen, daß unbekannte Regisseure alles auf bieten um die Situation in einem Carl Mayschen Sinne weiter interessant zu gestalten. Kritisch muss aber festgestellt werden, daß ihnen leider nicht mehr sehr viel Neues einfällt und daß wir das Recht haben – nun selber etwas Neues zu insceniren. Und das wird ja auch wohl mal kommen. – Ich bin jedenfalls in intensiver Vorarbeit um neue Coulissen zu produzieren mit denen weiter agiert werden kann.«10

      Es gibt den Tagebuchschreiber, der die berufliche Situation kommentiert, die Erwartungen, Enttäuschungen und Erfolge. Die Ironie ist dabei ein gewisser Selbstschutz. Er muss das »Fietsen«, also Fahrradfahren, in Amsterdam ebenso lernen, und es wird ihm zur angenehmen Selbstverständlichkeit, wie die Arbeit in der gemieteten Bodenkammer statt im eigenen Berliner Haus mit Atelier. Auch die Umzüge, also die Emigration erst nach Holland, von dort in die Vereinigten Staaten, wo er sich mit einem holperigen Englisch abmüht, sind für einen Künstler wohl noch etwas komplizierter als für einen Autor. Max Beckmann fühlt sich oft auf endloser Fahrt, wie Odysseus. Dann aber wird auch die gelungene Vollendung eines Bildes oder die erfolgreiche Herstellung von Bratkartoffeln gefeiert, alles knapp und anschaulich, oft gleichzeitig mit den Grausamkeiten des Krieges und in jedem Fall ohne Schnörkel. »Die frappante Dialektik von Vitalität und Verkühlung zieht sich durch Beckmanns Leben hindurch«, schreibt Bernhard Maaz.11

      Von der erschreckenden, im wahrsten Sinne des Wortes mörderischen Realität des Krieges, den Verwundeten, Sterbenden und Toten, die er aus seiner Zeit als freiwilliger Sanitäter 1914/1915 erst in Ostpreußen und dann vor allem in Flandern direkt vor Augen hatte, berichtet er in seinen Briefen mit einer gnadenlosen Genauigkeit. Das Auge nimmt präzise das Grauen in allen seinen Details auf, die Emotionen

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