Bildungspolitik im internationalen Vergleich. Marius Busemeyer
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Kapitel 4 befasst sich eingehender mit dem Zusammenhang zwischen Bildungspolitik und dem Sozialstaat. Die klassische Forschung zu wohlfahrtsstaatlichen Regimen (Esping-Andersen 1990) und den Spielarten des Kapitalismus (Hall/Soskice 2001) betont immer wieder die engen institutionellen Verflechtungen und Komplementaritäten zwischen den unterschiedlichen Teilsystemen von politischen Ökonomien. Kapitel 4.1 diskutiert die offensichtlichen Parallelen in der institutionellen Ausgestaltung von Bildungssystemen und Wohlfahrtsstaaten. Kapitel 4.2 hingegen erweitert die klassische Perspektive der vergleichenden Policy-Forschung, indem es die Auswirkungen von Bildungspolitik auf sozioökonomische Outcomes wie Bildungsungleichheit in den Blick nimmt. Kapitel 4.3 schließlich präsentiert Forschungsbeiträge, die die Verbindung zwischen Bildung und unterschiedlichen Spielarten des Kapitalismus analysieren.
In Kapitel 5 verlagert sich die Analyseperspektive von der nationalstaatlichen auf die internationale Ebene. Natürlich ist die Perspektive eines Ländervergleichs, in dem die einzelnen Länderfälle als hermetisch abgeschlossene Einheiten verstanden werden, in zunehmendem Maße unzureichend. Wechselseitige Beeinflussungen zwischen den Ländern tragen zum Transfer und zur Diffusion von Politikansätzen bei; die Europäische Union und andere internationale Organisationen wie die OECD oder die UNESCO sind zu wichtigen eigenständigen Akteuren und Gestaltern von Bildungspolitik geworden. Kapitel 5.1 skizziert daher den Prozess der Internationalisierung und Europäisierung der Bildungspolitik. Kapitel 5.2 hingegen ist der Beschreibung und Erklärung des allgemeinen Trends der Dezentralisierung in der Bildungssteuerung gewidmet. Abschließend diskutiere ich in Abschnitt 5.3 den Aufstieg des neuen Paradigmas vom Sozialinvestitionsstaat, in dem die Förderung des freien Zugangs zu Bildung in verschiedenen Phasen des Lebenszyklus ein zentrales Anliegen ist.
Der Schwerpunkt dieses Buchs liegt auf dem Vergleich von Bildungspolitik in (westlichen) OECD-Staaten. Nichtsdestotrotz spielt der Zugang zu Bildung auch in der Nicht-OECD-Welt eine zentrale Rolle, zum Beispiel zur Unterstützung von Demokratisierungsprozessen in Schwellen- und Entwicklungsländern. Auch aus Platzgründen kann auf dieses komplexe Themenfeld an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden, vgl. aber Baum und Lake (2003), Brown und Hunter (2004), Kosack (2014) und Stasavage (2005) als Beispiele für grundlegende Forschung in diesem Feld.
2 Methodologische und theoretische Grundlagen des Vergleichs
Der Vergleich von Forschungsobjekten (»Fällen«) wie etwa Bildungssystemen muss auf der Grundlage einer systematischen Methodik aufbauen, wenn generalisierbare Aussagen über kausale Zusammenhänge getroffen werden sollen. Wenn dies nicht geschieht, ähnelt der Vergleich zu sehr einer unreflektierten Gegenüberstellung von Andersartigkeit, die häufig mit unüberbrückbaren kulturellen oder sonstigen Unterschieden »erklärt« wird (»Bildungspolitik in Land A ist anders als in Land B, weil Land A anders als Land B ist«). Der systematische Vergleich hingegen zielt darauf ab, generalisierbare »Wenn, Dann«-Aussagen aufzustellen, wobei sich deren Generalisierbarkeit prinzipiell durch die Anwendbarkeit auf andere Fälle außer den tatsächlich betrachteten ergibt.
Infokasten
Grundbegriffe der vergleichenden Methode
Abhängige und unabhängige Variable:
Das Ziel der vergleichenden Policy-Forschung ist es, eine beobachtete Variation auf der Ebene der abhängigen Variablen (z. B. Bildungsausgaben) mit Hilfe einer Reihe von unabhängigen Variablen (z. B. Institutionen, Parteipolitik) zu erklären. Die abhängige Variable ist somit die Größe, die erklärt werden soll, während die unabhängige(n) Variable(n) diejenigen sind, die diese Erklärung liefern sollen.
Kausalität und Korrelation:
»Unter Korrelation ist lediglich ein rein zahlenmäßiger Zusammenhang zwischen den Variablen zu verstehen, während Kausalität auf eine eindeutige Ursache-Wirkungsbeziehung hinweist. […] Das Vorliegen einer hohen Korrelation ist keine notwendige Bedingung für einen möglicherweise bestehenden kausalen Zusammenhang.« (Wagschal 1999: 203)
Regressionsanalyse:
Die Regressionsanalyse ist ein statistisches Verfahren zum Nachweis einer überzufälligen Beziehung zwischen zwei oder mehr Variablen. Die Regressionsanalyse unterscheidet zwischen einer abhängigen und einer oder mehreren unabhängigen Variablen. Dennoch kann sie in der Regel keine Kausalität im strengen Sinne belegen, sondern lediglich korrelative Zusammenhänge.
Die vergleichende Politikwissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten ausgefeilte Methoden des Vergleichs entwickelt (vgl. grundlegend Lijphart 1971). Hierbei kann grob zwischen qualitativen und quantitativen Ansätzen unterschieden werden. Quantitative Methoden basieren auf der statistischen Analyse einer möglichst großen Zahl von Fällen (»large N«). Je größer die Zahl der Fälle, desto geringer – statistisch gesprochen – die Irrtumswahrscheinlichkeit, d. h. desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass ein zwischen zwei Variablen nachgewiesener statistischer Zusammenhang tatsächlich nicht zufällig ist. Die zugrunde liegenden Datensätze können Individualdaten (z. B. Meinungsumfragen oder Befragungen zum Wahlverhalten) oder aggregierte Daten (z. B. ökonomische Größen wie Bruttoinlandsprodukt oder Staatsausgaben) sein. Quantitative Methoden eignen sich besonders gut dazu, kausale Effekte nachzuweisen, d. h. den durchschnittlichen Effekt einer unabhängigen auf eine abhängige Variable über die Vielzahl der Fälle hinweg zu betrachten.
Bei der Verwendung von qualitativen Methoden hingegen geht es vor allem um die Herausarbeitung kausaler Mechanismen, d. h. der Rekonstruktion der unterschiedlichen Elemente einer Kausalkette (»intervenierende Variablen«), die eine unabhängige Variable mit der abhängigen Variablen verbindet. Dazu ein konkretes Beispiel: Die abhängige Variable sei die Höhe der öffentlichen Bildungsausgaben im Ländervergleich (siehe oben, Kapitel 1), und wir wollen untersuchen, ob die parteipolitische Zusammensetzung der Regierung einen Effekt auf die Höhe der öffentlichen Ausgaben hat (siehe unten, Kapitel 3.1). Der quantitative Ansatz wäre, mit Hilfe statistischer Methoden einen nicht zufälligen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen diesen beiden Größen nachzuweisen, der als kausaler Effekt interpretiert werden kann.1 Qualitative Ansätze in der vergleichenden Policy-Forschung hingegen zeichnen im Sinne des process tracing (Hall 2006) den Prozess der Politikgestaltung (policy-making) nach und identifizieren auf diese Art und Weise die Mechanismen, die dazu führen, dass eine bestimmte parteipolitische Färbung der Regierung mit mehr oder weniger Ausgaben einhergeht. Jeder dieser Ansätze hat Stärken und Schwächen, so dass zunehmend Multi-Methoden-Ansätze angewendet werden, die beide Ansätze (statistische Analysen und Fallstudien) miteinander kombinieren (vgl. für den Fall Bildungspolitik: Ansell 2010; Busemeyer 2015).