Bildungspolitik im internationalen Vergleich. Marius Busemeyer

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Bildungspolitik im internationalen Vergleich - Marius Busemeyer

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Grundprinzipien der vergleichenden Policy-Forschung

      »Die zentrale Fragestellung der Policy-Forschung lautet: Wann, wie, warum, über welche Materien und mit welchem Effekt treffen politische Instanzen verbindliche Entscheidungen über die Verteilung begehrter Güter und Werte – beispielsweise mittels Gesetzgebung, Verordnungen, Ausgaben, Steuersätzen und dergleichen mehr. Das Interesse der vergleichenden Policy-Forschung richtet sich auf die Beschreibung und Erklärung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Inhalte politischer Entscheidungsprozesse.« (Schmidt 1997: 207f)

      Die vergleichende Policy-Forschung, hierzulande auch als vergleichende Staatstätigkeitsforschung bezeichnet, befasst sich als Unterdisziplin der vergleichenden Politikwissenschaft mit der Frage »how, why, and to what effect different governments pursue particular courses of action or inaction« (Heidenheimer et al., 1990: 3; vgl. grundlegend auch Blum/Schubert 2007; Schneider/Janning 2006; Schmidt/Ostheim 2007). Auf ähnliche Weise hat Fritz Scharpf das Kerngeschäft der politikwissenschaftlichen vergleichenden Policy-Forschung als »interaktionsorientierte Policy-Forschung« beschrieben (Scharpf 2000: 33–34). Das heißt, in der vergleichenden Policy-Forschung will man zunächst vordringlich verstehen, welche sozioökonomischen, politischen und/oder institutionellen Faktoren Unterschiede in den Politikinhalten (Policy-Output) erklären können. Die Untersuchung der Auswirkungen von Policies auf gesellschaftliche Problemlagen (von Scharpf »materielle Policy-Analyse« genannt) findet hingegen eher in Nachbardisziplinen wie der Soziologie oder der Ökonomie statt, wird in jüngerer Zeit jedoch auch stärker in der Politikwissenschaft betrieben (Castles 2013; Schlicht 2010; vgl. auch Busemeyer et al. 2013).

      Der Begriff des Policy-Output basiert auf systemtheoretischen Ansätzen der 1960er-Jahre (Easton 1965). Damit sind die konkreten Produkte gemeint, die das politisch-administrative System als kollektiv verbindlicher Entscheidungen erzeugt, wie zum Beispiel Gesetze, Verordnungen, Entscheidungen etc. Davon unterscheiden sich die Outcomes: sozioökonomische Strukturen, Prozesse und Indikatoren, die von der Politik nur indirekt beeinflussbar sind, zum Beispiel die Verteilung von Einkommen und Vermögen, Frauenerwerbsbeteiligung, Arbeitslosigkeit oder Wirtschaftswachstum. Es bestehen zwar begründete Hoffnungen, dass Regierungspolitik diese Größen beeinflussen kann und politische Akteure postulieren diesen Zusammenhang, wenn die Ergebnisse in die gewünschte Richtung zeigen. Wie groß die Steuerungskapazitäten der Politik aber tatsächlich sind, d. h. die Stärke des Effekts von Regierungspolitik auf Outcomes, ist jedoch eine hoch umstrittene Frage (Castles 2013). Außerdem ist eine Abgrenzung zwischen Output und Outcome nicht immer einfach (Knill et al. 2010). So lassen sich Staatsausgaben als haushaltspolitische Entscheidungen von Regierungen und damit Policy Output betrachten; andererseits unterliegen bestimmte Ausgabenarten wie etwa Ausgaben für Arbeitslosenhilfe nicht nur der diskretionären Entscheidungsmacht der Politik, sondern sind selbst maßgeblich durch sozioökonomische Prozesse (in diesem Beispiel: einen Anstieg der Arbeitslosigkeit) beeinflusst.

      Die vergleichende Staatstätigkeitsforschung kann inzwischen auf einen umfangreichen Theorienkatalog zurückgreifen, der sich zur Erklärung von Unterschieden im Policy-Output als erklärungskräftig erwiesen hat (vgl. für einen Überblick Schmidt/Ostheim 2007; Schmidt 1993, 2001). Die entscheidenden Theorieansätze möchte ich im Folgenden anhand von drei Faktorenbündeln kurz vorstellen: sozioökonomische, institutionelle und (partei-)politische Determinanten.

      Sozioökonomische Faktoren können als Indikatoren für Problemdruck verstanden werden, mit dem sich politische Akteure konfrontiert sehen. Strukturelle Veränderungen in der sozioökonomischen Umwelt setzen Rahmenbedingungen für politisches Handeln, aber sie determinieren es nicht. Typische Variablen zur Erfassung des sozioökonomischen Problemdrucks sind zum Beispiel der wirtschaftliche Wohlstand (BIP pro Kopf), Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit oder Inflation. Auch demografische Größen, wie der Bevölkerungsanteil junger oder älterer Menschen oder die Erwerbsbeteiligung von Frauen relativ zu Männern, wären hier zu nennen. Der Einfluss von Globalisierungsprozessen auf Staatstätigkeit wird oft als eigenständiger Theoriestrang betrachtet (Schmidt/Ostheim 2007). Die Offenheit einer Volkswirtschaft ist allerdings ebenfalls eine sozioökonomische Größe, sodass ich sie an dieser Stelle aufführen möchte. Prinzipiell erweisen sich sozioökonomische Größen im Verhältnis zu politischen Faktoren vor allem dann als erklärungsstark, wenn Länder auf sehr unterschiedlichem Entwicklungsniveau miteinander verglichen werden (vgl. Verner 1979 für ein frühes Beispiel aus der Bildungsausgabenforschung). Umgekehrt zeigt sich aber, dass die Erklärungskraft sozioökonomischer Faktoren in der Gruppe der entwickelten OECD-Staaten zurückgeht und politische und institutionelle Faktoren stärker in den Vordergrund treten. Wenn man die USA mit Angola vergleicht ist offensichtlich, dass der hohe wirtschaftliche Wohlstand der USA erklären kann, warum dieses Land mehr in Bildung investiert als ein armes afrikanisches Land. Wenn man allerdings die USA mit Schweden vergleicht – zwei Länder auf einem ähnlichen Wohlstandsniveau –, dann können die Unterschiede nicht mehr durch ökonomische Größen (allein) erklärt werden, sondern es bedarf einer Berücksichtigung von politischen und institutionellen Faktoren.

      Theorien, die den Einfluss von Institutionen auf Akteurshandeln im Allgemeinen und Staatstätigkeit im Besonderen betonen, haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten unter dem Banner des »Neo-Institutionalismus« einen bedeutsamen Aufschwung erlebt (vgl. grundlegend Hall/Taylor 1996; Pierson 2004; Thelen 1999). Die Kernthese des neo-institutionalistischen Paradigmas ist, dass Akteurshandeln durch bestehende Institutionen beeinflusst wird. Akteure können institutionelle Gegebenheiten hierbei als Beschränkungen individuellen Handelns erleben; Institutionen können aber auch zu Handlungsressourcen werden, nämlich, wenn sie das Handeln anderer Akteure beschränken. Entscheidend ist die Vorstellung, dass die strategischen Interaktionen zwischen Akteuren (z. B. beim Aushandeln eines neuen Bildungsgesetzes) nicht auf Grundlage einer Tabula rasa erfolgen, sondern durch das bestehende Gerüst an Institutionen – dem Politikerbe – maßgeblich geprägt werden.

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       Infokasten

       Mehrheits- und Konsensdemokratien

      Die Unterscheidung zwischen Mehrheits- und Konsensdemokratien geht auf Arend Lijphart (1999) zurück. Lijphart klassifiziert Demokratien auf der Grundlage von zehn Unterscheidungsmerkmalen in diese beiden Grundtypen. Mehrheitsdemokratien zeichnen sich durch eine starke Konzentration von Entscheidungsmacht in den Händen der zentralstaatlichen Regierung aus. In Konsensdemokratien gibt es im Gegensatz dazu eine größere Zahl von Vetospielern, so dass Entscheidungen häufig einen breiten Konsens zwischen verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Akteuren erfordern.

      Grob kann man hier zwischen zwei Spielarten unterscheiden: Die erste Variante institutionalistischer Theorien nimmt den Einfluss politischer Institutionen auf den Prozess der Politikgestaltung in den Fokus. George Tsebelis (2002) argumentiert, dass eine hohe Zahl von »Vetospielern«, deren individuelle Zustimmung notwendig ist, um eine Abkehr vom Status quo zu erreichen, die Wahrscheinlichkeit von Politikwandel verringert. Die Vetospieler-Theorie kann dabei helfen zu verstehen, warum die Sozialstaaten in föderalistischen Ländern weniger weit ausgebaut sind (Obinger et al. 2005): Eine föderale Staatsstruktur vergrößert die Zahl der Vetospieler, sodass der Ausbau des Sozialstaates in diesen Ländern langsamer voranschritt als in zentralisierten Ländern (vgl. auch schon Cameron 1978). Iversen und Soskice (2006) verweisen auf die Ausgestaltung des Wahlsystems als weiteren Faktor, der die Größe des Sozialstaats beeinflusst.

      Die zweite Variante institutionalistischer Theorien betrachtet vor allem die Auswirkungen bestehender Institutionen auf Politikinhalte. Hier ist insbesondere der Ansatz des »historischen Institutionalismus« zu nennen (Thelen 1999; Pierson 2004), der die Pfadabhängigkeit politischer Entscheidungen betont. Dieser Ansatz versucht zu erklären, warum Reformprozesse in entwickelten politischen Ökonomien selten große Umbrüche nach sich ziehen, sondern Kontinuität dominiert und sich Wandel bestenfalls in inkrementellen

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