Grundkurs Soziologie. Hans Peter Henecka

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Grundkurs Soziologie - Hans Peter Henecka

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»typisch männliche bzw. typisch weibliche Arbeitsbereiche« im Haushalt sind. Wir haben gelernt, dass unsere Lebensbereiche in der Familie, im Beruf oder in der Freizeit teilweise recht verschieden, vielleicht sogar widersprüchlich sind und wissen ziemlich genau, wie wir uns jeweils in typischen Situationen zu verhalten haben, wie »man« sich beispielsweise zu bestimmten Anlässen zu kleiden pflegt, wie »man« sich eben hier oder dort begegnet und grüßt, wie »man« bei dieser oder jener Gelegenheit miteinander umgeht und miteinander spricht, ob »man« sich sachlich kühl und distanziert gibt oder sich persönlich einbringt, mitteilt und engagiert.

      Wir und die anderen folgen dabei weitgehend denselben Spielregeln und Routinen, deuten unsere jeweiligen Handlungen und Verhaltensweisen gleich oder zumindest ziemlich ähnlich. Der Großteil unseres Alltags und unserer Begegnungen mit anderen folgt so bereits vorgespurten Linien fester gegenseitiger Erwartungen: Wir stellen so beispielsweise montags früh unseren Mülleimer vor die Haustür und verlassen uns darauf, ihn am Abend geleert vorzufinden; wir gehen zum Bäcker, um dort mit frischen Brötchen bedient zu werden; wir besteigen die Straßenbahn der Linie 7, weil wir wissen, dass sie uns zum Bahnhof bringt; wir bedanken uns beim Nachbarn, der in unserer Abwesenheit das für uns bestimmte Paket in Empfang nahm …

      Zwar mag gerade hinsichtlich schematischer Verhaltensregeln und eingeschliffener Machtverteilungen, schablonenhafter Informationsprozesse oder traditionell befolgter Sitten und Gewohnheiten dieser Routinecharakter unserer Alltagserfahrungen ziemlich eintönig und langweilig sein, gelegentlich gar als unliebsame Einengung empfunden und ärgerlicher Zwang beklagt werden, doch wirkt er in den von uns täglich neu geforderten Entscheidungssituationen auch entlastend und schenkt uns die notwendige Verhaltenssicherheit im Umgang miteinander. Ja ohne diese vertrauten Erwartungen, Gewissheiten und Regelmäßigkeiten unseres gesellschaftlichen Alltags wäre wohl überhaupt keine vernünftige Verständigung und gegenseitig verlässliche Orientierung möglich.

      Das Gegenteil hierzu könnten wir uns vielleicht folgendermaßen gedanklich ausmalen: Alle Menschen müssten bei jedem Zusammentreffen jeweils neu ihre Verhältnisse zueinander festlegen und könnten jeweils nach Lust und Laune, jedenfalls willkürlich, ihr jeweiliges Verhalten und Handeln bestimmen. Wenn es so etwas überhaupt gäbe – was nicht der Fall ist – wäre das für alle Beteiligten zumindest außerordentlich anstrengend. Stellen wir uns beispielsweise vor, es gäbe keine kulturelle Konvention bei der Begrüßung eines Fremden: Wir wüssten nicht, ob wir die Hand schütteln, ihn küssen, unsere Nasen aneinander reiben oder ihm ins Gesicht spucken sollten! – Wahrscheinlich würden wir unter solchen Bedingungen recht bald die Nerven oder gar den Verstand verlieren.

      Wenn uns daher gelegentlich – halb verwundert, halb ärgerlich – die langweilige Eintönigkeit der Alltagsbräuche und Rituale aufstößt oder wir vielleicht über irritierende Ereignisse, die sich in unser vertrautes Weltbild nicht mehr einordnen lassen, tiefer greifend reflektieren, dann beschäftigen wir uns tatsächlich bereits mit dem Gegenstand der Soziologie, – meist ohne zu wissen, dass das, worüber wir gerade räsonnieren, überhaupt eine soziologische Fragestellung ist. Denn indem wir beginnen, über solche Erfahrungen nachzudenken, versuchen wir die Vielfalt unserer Eindrücke und Erlebnisse zu ordnen und zu interpretieren. Wir versuchen, trotz lauter Bäumen, den Wald zu sehen.

      Auch die Soziologie sucht nämlich nach Ordnungen und Deutungen. Sie versucht, in den alltäglich erlebten Vorgängen »Gewebe aus immer wiederkehrenden Verhaltensmustern« (Berger & Berger) zu erkennen und hierbei die Bedingungen zu erschließen, unter denen Menschen zusammen leben und arbeiten. Und sie untersucht darüber hinaus die mehr oder weniger konstanten Beziehungsformen oder »Netzwerke«, die zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und Gruppe, zwischen Gruppen und Gesellschaft entstehen, mehr oder weniger lange andauern, abgeschwächt oder verstärkt werden, sich verändern oder sich auch wieder ganz auflösen.

      Wie wir noch sehen werden, sind also sowohl die menschlichen Individuen wie die von ihnen geschaffenen Gemeinschaften bzw. (fachlicher ausgedrückt:) »sozialen Systeme« (von Kleingruppen über Organisationen bis hin zu ganzen Gesellschaften) zentrale Themen der Soziologie. Einerseits geht es hierbei der Soziologie um die Erforschung menschlichen Handelns und Verhaltens im Allgemeinen sowie zwischenmenschlicher Interaktionen, Kommunikationen und sozialer Beziehungen im Besonderen; zum anderen untersucht sie die Entstehungsbedingungen sowie die grundlegenden Entwicklungsprozesse und Veränderungen unserer modernen sozialen Welt. Diese soziale Welt werden wir dabei als ein strukturiertes Gebilde erkennen, das in höchst komplexer Weise aus unzähligen Gewebsmustern zusammengesetzt (d. h. »vernetzt«) ist und das in unterschiedlicher Weise unsere Beziehungen zueinander bestimmt. So ist das Netz unseres noch unmittelbar überschaubaren Lebenskreises (z. B. Familie, Freundeskreis) in größere, schon komplexere soziale Gebilde (z. B. Verwandtschaft, Nachbarschaft, Hochschule oder Arbeitsplatz, Verein oder Freizeitgruppen) eingebunden, diese in zunehmend unübersichtliche, ja oft unsichtbare, zuweilen aber auf höchst reale Art und Weise wirksame Netzwerke (wie z. B. Gemeinde, Berufsorganisationen, Kirchen, Parteien, Wirtschaft, Staat) verwickelt – bis hin zu einer fließenden Grenze (z. B. deutsche Sprachgruppe, Europäische Gemeinschaft, Industrienationen, westliche Hemisphäre,… »Weltgesellschaft«), an der die Verknüpfungen und Verbundenheiten immer schwächer werden oder ganz abbrechen.

      Kurz und bündig formuliert: Soziologie befasst sich mit dem Zusammenleben der Menschen, ihrem zwischenmenschlichen Handeln und Verhalten und sucht dabei die gesellschaftlichen » Webmuster« und Verknüpfungszusammenhängedie Strukturen, Funktionen und Prozesse der verschiedenen sozialen Systeme (einschließlich deren Rückwirkungen auf das Individuum)zu beschreiben, zu analysieren und zu erklären.

       Zur vertiefenden und ergänzenden Lektüre

      Peter L. Berger, (2011): Einladung zur Soziologie. Eine humanistische Perspektive. (Darin insbesondere Kapitel 1 »Soziologie als Fröhliche Wissenschaft«, S. 21–43 und Kapitel 2 »Soziologie als Bewusstsein«, S. 45–72). UVK: Konstanz.

1.2Die Gesellschaft als Erfahrungsfeld: Fallstricke des Alltagswissens und die soziologische Suche nach Ursachen

      Es gibt Kritiker der Soziologie, die behaupten, Soziologie sei die Kunst, eine Sache, die eigentlich jeder versteht, so auszudrücken, dass sie keiner mehr kapiert. Soziologie wäre damit der Missbrauch einer zu diesem Zweck erfundenen Terminologie. Dieser geläufige Vorwurf beinhaltet einen formalen und einen inhaltlichen Aspekt.

       Was die formale Seite soziologischer Aussagen betrifft, so muss man auch als berufsmäßiger Soziologe zugeben, dass manche Fachvertreter durch ihren »Soziologenjargon« Sprach- und Verständnisbarrieren errichten, die in der Tat nicht geeignet sind, die Popularität des Faches zu fördern. Indem künstliche und sachlich nicht mehr vertretbare Kommunikationsschranken zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaft aufgebaut werden, deren Erkenntnisse lediglich einer Handvoll »Eingeweihter« mehr oder weniger noch zugänglich sind, erscheint der eigentliche Auftrag von Wissenschaft in Frage gestellt: aufzuklären, Wissen zu vermitteln und damit auch einen Beitrag zum »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit« (Kant) zu leisten. Dort und nur dort, wo sich Soziologen hinter einer abgehobenen Expertensprache verschanzen, erscheint dieser Vorwurf berechtigt. Allerdings ist dies nicht nur ein Problem der Soziologen: »Wissenschaftliches« Imponiergehabe lässt sich auch bei Vertretern anderer akademischer Disziplinen beobachten, die gleichfalls durch übermäßige und unnötige Strapazierung eines elitären Fachjargons ihre »besondere Kompetenz« auszuweisen trachten.Auf der anderen Seite sind jedoch wissenschaftliche Aussagen nicht beliebig vereinfachbar, so dass zugestanden werden muss, dass die Soziologie – wie jede andere Wissenschaft auch – als Handwerkszeug bestimmte Begriffe benötigt, die bestimmte Sachverhalte präziser zu erfassen und zu bezeichnen in der Lage sind als die teilweise unscharfe und »oberflächliche« Begrifflichkeit unserer Umgangssprache. Insofern kommt man auch in der Soziologie um die Einführung und Verwendung spezifischer fachlicher Begriffe nicht herum, so dass die Benutzung von bestimmten Grundbegriffen und die Anwendung

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