Grundlagen der Visuellen Kommunikation. Stephanie Geise

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Grundlagen der Visuellen Kommunikation - Stephanie Geise страница 20

Автор:
Серия:
Издательство:
Grundlagen der Visuellen Kommunikation - Stephanie Geise

Скачать книгу

26: Die Berliner CDU-Direktkandidatin Vera Lengsfeld mit ihrem Wahlplakat, August 2009

      Interpretationen spielen herrschaftsikonografische Traditionen (vgl. Burke 1993, 1998; Köstler/Seidl 1998; Köstler 1998; Seidl 1998) eine Rolle ebenso wie die volkstümliche Erzählung »Des Kaisers neue Kleider« oder die populäre Redensart »Kleider machen Leute« (Röhrich 1992, 2: 853). Nacktheit im Kontext der Politik erzeugt einen hohen Aufmerksamkeitswert. Bei der Entkleidung prominenter Politiker kommt der Tabubruch hinzu. Die persönliche Bloßstellung wird durch die assoziierte politische Bloßstellung verstärkt.

      Kanzlerin Merkel wurde bislang physisch noch nicht völlig bloßgestellt (vgl. aber Abb. 92, S. 195). Andererseits scheute sich die konservative Politikerin auch nicht, ihre Weiblichkeit zur Schau zu stellen (vgl. Abb. 27, s. o.), als sie anlässlich der feierlichen Eröffnung des norwegischen Opernhauses in Oslo 2008 tief dekolletiert erschien, im vollen Bewusstsein, dass dies von der Presse aufgegriffen würde. Besonders betont wird Merkels Ausschnitt durch eine Perlenkette. Weniger elegant wird die Pressefotografie von Reuters in der Selbstdarstellung der Berliner CDU-Direktkandidatin Vera Lengsfeld (vgl. Abb. 26, S. 71) im Jahr darauf aufgegriffen. Links ist die Reuters-Fotografie Merkels und rechts daneben Vera Lengsfeld, die ebenfalls tief blicken lässt, dabei aber die Betrachter direkt anblickt und anlächelt. Lengsfeld trägt eine große grüne Perlenkette. Der Plakatslogan spielt auf die gezielte weibliche Selbstentblößung an: »Wir haben mehr zu bieten«. Dabei ist die Plakataussage deutungsof-fen – bezieht sich das »mehr« auf die weiblichen Brüste, im Vergleich zu männlichen Politikern, zielt dies also auf die weibliche Wählerschaft ab? Zudem ist dies – zumindest aus dieser Perspektive – ein geschickter Einsatz assoziativer Logik, denn die Lokalpolitikerin vergleicht sich direkt mit der Kanzlerin, spricht die weiblichen Vorteile an, die auch Männer zu schätzen wissen und verdeutlicht einen »neuen Konservativismus«, der die CDU als Partei stärker in die Mitte rückt und eine Gleichsetzung von konservativ mit prüde ausschließt. In jedem Fall führte die »Neue Weiblichkeit« der Bundeskanzlerin auch eine neue Imagefacette hinzu.

      Angela Merkels Image war lange Zeit durch ihren politischen Ziehvater Helmut Kohl geprägt – sie war zunächst »Kohls Mädchen«, später die »Ost-Mutti der Nation«. Insbesondere ihre Frisur war über lange Jahre journalistischem Gespött ausgesetzt. Dies wurde sogar in einem kommerziellen Werbeplakat für die Leihwagenfirma Sixt zum Argument für eine Spritztour mit Cabrio gemacht (vgl. Abb. 28).

      Die große Zeitungsanzeige im Mai 2001 warb mit einem Doppelporträt der CDU-Vorsitzenden als Motiv. In dem aus der Diätwerbung in Frauenzeitschriften bekannten Vorher-Nachher-Format wurde für den positiven Effekt des Autofahrens mit offenem Verdeck geworben. Auf dem Vorher-Bild links wird Angela Merkel in gewohnter Sicht im Frontalporträt gezeigt mit der darunter gesetzten Frage: »Lust auf eine neue Frisur?« Das Nachher-Bild rechts zeigt Merkel nach der angeblichen Cabrio-Fahrt, mit wilder Mähne und der Empfehlung: »Mieten Sie sich ein Cabrio.«

      Zum Verständnis dieser Werbeanzeige ist das Kontextwissen unerlässlich, dass Merkels Erscheinungsbild und ihre Frisur seit dem Beginn ihrer politischen Karriere in den Medien und damit in der Öffentlichkeit thematisiert wurden. Dabei wurde von Seiten der Medien an weibliche Politiker offenbar ein anderer Maßstab angelegt als an die männlichen Kollegen. Die Empörung über die Verunglimpfung Angela Merkels kam jedoch nicht von ihr selbst, sondern wurde von der konservativen Presse, wie hier am Beispiel des HAMBURGER ABENDBLATTS, geäußert: »Darf Werbung so weit gehen? Prominent sein hat seinen Preis, da spielen Fragen des guten Geschmacks dann keine Rolle mehr. Was wird sich Angela Merkel, die [damals lediglich] CDU-Vorsitzende [und noch nicht Kanzlerin war,] wohl gedacht haben, als sie eine große deutsche Zeitung aufschlug und sich als Werbe-Objekt für Leihwagen missbraucht sah?« Vielleicht ist die Gelassenheit, mit der die Parteivorsitzende auf die Fotomontage reagierte auch der ikonografischen Anleihe geschuldet, die in dem Porträt Anwendung findet: Der das Porträt umgebende Heiligenschein erinnert an Mariendarstellungen und eine Madonna im Strahlenkranz ist kein schlechtes Motivvorbild für eine christdemokratische Politikerin.

      Der Visualisierung von Politikern sowie der visuellen Ebene von Politiker-Images wird – insbesondere im Kontext Visueller Wahlkampfkommunikation sowie der Bildberichterstattung im Wahlkampf – mittlerweile mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Vorreiter auf diesem Gebiet in Deutschland ist Hans-Mathias Kepplinger (1987, 2010) mit der Untersuchung von »Darstellungseffekten« und dem Vergleich der textuellen und der visuellen Komponenten in der Wahlwerbung (vgl. auch Kepplinger/ Maurer 2001; vgl. zur Nonverbalen Medienkommunikation Kapitel 12). Auch Jürgen Wilke hat wiederholt inhaltsanalytisch und medienhistorisch die Produktionsstrukturen von Nachrichtenbildern untersucht, auch mit Fokus auf Politikerdarstellungen (z. B. Wilke/Beuler 1998; Wilke 1999; Reinemann/Wilke 2007). Christina Holtz-Bacha hat zahlreiche Bundestags- und Europaparlamentswahlen auf ihre visuellen Strategien hin analysiert (z. B. Holtz-Bacha 2001; 2010; vgl. auch Geise 2010).

      Zukunftsweisende Forschung ist auf dem Gebiet der politischen Imageanalyse in dreifacher Hinsicht zu erwarten: zum einen durch die Ergänzung klassischer empirischer Umfragetechniken mit einer visuellen Komponente (vgl. Petersen 2005), durch Weiterentwicklung spezifischer Methoden der Visuellen Kommunikationsforschung, insbesondere der Blickbewegungsmessung (Geise 2011a, b) und der Bildinhaltsanalyse (Grittmann/Lobinger 2011; Bock/Isermann/Knieper 2011; Geise/Rössler 2012, 2013; vgl. Kapitel 9 und 10) sowie auch durch eine stärkere Synthese von Fragen der Gender- und der Visuellen Kommunikationsforschung (vgl. Boomgaarden/Semetko 2007; Holtz-Bacha/König-Reiling 2007; Holtz-Bacha 2011; Geise/Kamps 2012).

       Praxistipp: Kontext

      Die Serie politischer Porträts sollte – wie oben ausgeführt – auf zwei wesentliche Aspekte einer gelungenen Bildinterpretation hinweisen: zum einen auf die Bedeutung der Motivgeschichte, zum anderen auf die Relevanz des Kontextbezuges.

      Jedes Bildmotiv hat eine Vorgeschichte und entsteht und wirkt in einem bestimmten Kontext. Für eine umfassende Bildinterpretation ist zunächst eine exakte Bildbeschreibung (vgl. Kapitel 4.1) Voraussetzung, die dabei hilft, zwischen dem eigentlichen Bild und dem Abgebildeten zu unterscheiden. So ist für Abb. 25, S. 69 bedeutsam, dass es sich nicht um eine reine Reprofotografie des Plakates handelt, sondern um eine Situationsfotografie, die zu einer Bedeutungsumkehr der ursprünglichen Bildbotschaft des Wahlplakates führt. Gerade auch kleine Details, die nicht überinterpretiert werden sollten, können hier wichtige Anhaltspunkte liefern, auf die im Rahmen der Interpretation rekurriert werden kann. Nachdem die Bildbeschreibung erstellt ist, lohnt sich die Recherche nach ähnlichen Bildmotiven im zeitnahen und historischen Vergleich.

      Den Kontextbezug ernst zu nehmen, bedeutet, dass es notwendig ist, den Produktionskontext des Bildes – im Fall von Abb.

Скачать книгу