Invasive Arten. Wolfgang Nentwig
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Warum invasive Arten?
Entstehung und Anpassung von Arten
Die Entstehung von Arten, gleich ob es sich um Mikroorganismen, Pilze, Pflanzen oder Tiere handelt, ist eine Geschichte der Anpassung an die belebte und unbelebte Umwelt. Dies ist aufgrund von zwei wichtigen Eigenschaften aller Arten möglich: Bei der sexuellen Fortpflanzung führt die Rekombination des Genoms schnell zu genetischen Unterschieden zwischen den Eltern und ihren Nachkommen, aber auch zwischen den Nachkommen. Zweitens produzieren alle Arten mehr Nachkommen, als im Lebensraum der entsprechenden Art Platz haben. Die genetischen Veränderungen sind ungerichtet, denn sie können sowohl vorteilhaft als auch nicht vorteilhaft sein. Bei den meisten Veränderungen wird ohnehin weder Vor- noch Nachteil erkennbar sein, das heißt, sie sind (vorerst) neutral. Schließlich sei auch noch erwähnt, dass die Umwelt einer Art nie konstant ist, sondern ständiger Veränderung unterliegt.
Die geringfügig verschiedenen Nachkommen eines Elternpaares haben in einer heterogenen Umwelt unterschiedliche Überlebenschancen. Wenn ein sich verändernder Lebensraum etwas trockener wird, weil ein Fluss seinen Lauf verändert oder der Niederschlag abnimmt, ist es denkbar, dass, um ein Beispiel zu nennen, bei einzelnen Käferindividuen eine bisher unbedeutende Veränderung in der äußeren Schutzschicht den Verdunstungsschutz erhöht. Sie haben daher eine bessere Überlebenschance, erreichen eher das Fortpflanzungsalter und werden über ihre Nachkommen diese Mutation weitergeben. Alle Individuen der gleichen Art ohne diese Mutation werden mehr Mühe haben, sich zu behaupten, vor allem aber wird ihre durchschnittliche Nachkommenzahl geringer sein. Innerhalb weniger Generationen werden daher alle Individuen dieser Käferart über den verbesserten Verdunstungsschutz verfügen.
Direkt vorteilhafte Mutationen haben also einen großen Selektionswert, das heißt, sie helfen dem betroffenen Individuum, sich in seiner dynamischen Umwelt zu behaupten. Ähnlich eindeutig verhält es sich mit nachteiligen Mutationen. Sie führen mehr oder weniger direkt zum Tod des Individuums. Von solch nachteiligen Mutationen abgesehen werden jedoch alle anderen Mutationen in der Population behalten und führen zu einer Erhöhung der Variabilität des betroffenen Merkmales. Je größer eine Population und je länger sie bereits in einem bestimmten Lebensraum vorkommt, desto unterschiedlicher werden die Ausprägungen vieler Merkmale sein. Da auch neutrale Merkmale in einer sich ändernden Umwelt von großem Selektionsvorteil sein können, sind sie eine Versicherung für die Zukunft.
Wir können also davon ausgehen, dass in einem beliebigen Lebensraum die dort vorkommenden Arten eine beträchtliche Anpassungszeit hinter sich haben und so gut wie möglich an ihren Lebensraum angepasst sind. Diese Anpassungszeit wird in Mitteleuropa meist auf die Wiederbesiedlung nach dem Rückgang der letzten Vergletscherung vor etwa 12 000 Jahren bezogen. Dies entspricht bei den meisten einjährigen Pflanzen und Insekten genauso vielen Generationen. Da die meisten heute hier vorkommenden Arten aber viel älter sind und die Eiszeiten in verschiedenen Rückzugsgebieten überdauern konnten, kann man deutlich längere Anpassungszeiten annehmen.
Einheimische Arten, Biodiversität und Koevolution
Die in einem Lebensraum entstandenen Arten bezeichnen wir als die dort einheimischen Arten, deren mannigfaltige Ausprägung auch mit dem Begriff Biodiversität umschrieben wird. Neben den vielen Arten eines Lebensraumes schließt die Diversität eines Lebensraumes auch die genetische Vielfalt der Arten ein. Somit ist in die Biodiversität eines Lebensraumes auch sein evolutives Alter bzw. das der in ihm lebenden Arten einbezogen.
Aufgrund der zur Verfügung stehenden Zeit konnten sich die in einem Lebensraum gemeinsam vorkommenden Arten so weit an ihre Umwelt anpassen, wie es erforderlich war, um dort zu überleben. Da neben der unbelebten Umwelt auch alle anderen Arten in diesen Lebensraum gehören, erfolgt auch eine Anpassung der verschiedenen Arten aneinander. Diese kann sehr unterschiedlich sein: Beutetiere können lernen, Räuber zu meiden, die ihrerseits immer besser im Aufspüren ihrer Beute werden. Pflanzenfressende Insekten passen sich immer stärker an ihre Futterpflanzen an, die ihrerseits immer wirksamere Verteidigungssubstanzen synthetisieren, um einige Arten unter ihren Fressfeinden loszuwerden.
Manche Arten gehen noch weiter gehende Beziehungen ein. Unter den Blütenbesuchern kann es zu engen Abhängigkeiten zwischen hoch spezialisierten Blütenpflanzen und ihren Bestäubern kommen. Manche Arten unter den Blattläusen, Zikaden oder Schmetterlingsraupen können nur in enger Beziehung zu bestimmten Ameisenarten überleben. Viele Parasiten haben sich auf eine oder wenige Wirtsarten spezialisiert und unternehmen gewaltige Anstrengungen, um genau diese zu finden. Extreme Abhängigkeitsverhältnisse liegen zum Beispiel bei manchen Bäumen oder Orchideen vor, bei denen eine Pilzart durch die Fotosyntheseprodukte der Pflanze versorgt wird, die ihrerseits vom Pilz Phosphor- und Stickstoffverbindungen bezieht. Kein Partner kann mehr ohne den anderen existieren.
Solche Abhängigkeiten zwischen Arten deuten auf eine lange gemeinsame Entstehungsgeschichte hin, die wir auch als Koevolution bezeichnen. Koevolution weist meist auf artenreiche Lebensräume hin, die sich über längere Zeiträume entwickeln konnten.
Natürliche Ausbreitung
Der Lebensraum von Arten kann unterschiedlich groß sein. Wir kennen Arten, die weit verbreitet beispielsweise über einen ganzen Kontinent vorkommen. Daneben gibt es aber auch viele kleinräumig anzutreffende Arten, die nur in einem Flusssystem, auf einer Insel oder auf einem Höhenzug vorkommen. Diese Arten wiesen in ihrer Vergangenheit eine unterschiedliche Ausbreitungs- und Besiedlungsgeschichte auf. Einzelne Arten haben sich kaum aus ihrem evolutionären Entstehungsgebiet entfernt, während andere sich stark ausbreiteten.
Prinzipiell ist die Ausbreitungsmöglichkeit jeder Art begrenzt. Meeresküsten sind für die meisten Arten des Festlandes Ausbreitungsgrenzen. Gleichermaßen wird die Ausbreitung von Meeresorganismen durch die Lage der Kontinente eingeschränkt. Fließgewässer oder Seen begrenzen das Vorkommen der in ihnen lebenden Arten. Große Gebirgszüge wie die Alpen stellen für viele Arten eine unüberwindbare Barriere dar, Ähnliches gilt für die ausgedehnten Trockenzonen der Sahara in Nordafrika. Zu kalte, nasse oder warme Jahreszeiten können genauso einschränkend wirken wie das Fehlen der Wirtspflanze von Herbivoren oder spezialisierten Blütenbesuchern. Solche Grenzen bezeichnen wir als biogeografische Barrieren, da sie die natürlichen Areale von Arten definieren.
Die Ausbreitung, zu denen Arten im Rahmen dieser Einschränkungen fähig sind, bezeichnen wir als natürliche Ausbreitung. Für unterschiedliche Arten kann sie sehr verschieden sein. Manche nur lokal vorkommenden Arten haben offenbar kein nennenswertes natürliches Ausbreitungsvermögen, d. h., sie breiten sich nicht aus. Andere sehr mobile und oft anspruchslose Arten hingegen konnten ihren Lebensraum über ganz Europa und auch darüber hinaus ausdehnen. Sieht man von besonders mobilen bzw. völlig immobilen Arten ab, ist die durchschnittliche natürliche Ausbreitungsgeschwindigkeit von Arten eher gering. Sie beträgt oftmals weniger als hundert Meter pro Generation, sodass die nacheiszeitliche Wiederbesiedlung Mitteleuropas viele Jahrtausende dauerte und für manche Arten bis heute noch nicht abgeschlossen ist.
Das Ausbreitungsvermögen einer Art ist keine Konstante, da es sich beispielweise mit der Qualität des Lebensraumes ändert. In erdgeschichtlichen