Invasive Arten. Wolfgang Nentwig
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Invasive Arten - Wolfgang Nentwig страница 5
Warum werden Arten invasiv?
Bei einem Vergleich der ökologischen Situation einer invasiven Art im Invasionsgebiet mit der in ihrem Ursprungsgebiet fällt oft auf, dass diese Art sich in beiden Arealen unterschiedlich verhält. Oftmals ist sie in ihrem Ursprungsgebiet wenig auffällig, manchmal sogar selten, erreicht eine geringere Körpergröße oder Nachkommenzahl und weist keine auffällige Auswirkung auf ihre Umwelt auf. Im Invasionsgebiet kann die gleiche Art häufig und groß sein. Warum verhält sich die gleiche Art in beiden Gebieten so verschieden? In einer großen Zahl von wissenschaftlichen Studien wurde versucht, durch detaillierte Analysen bestimmte Merkmale herauszufiltern, durch die sich invasive Arten auszeichnen.
Insgesamt waren die Ergebnisse solcher Studien meist wenig hilfreich. Merkmale erfolgreicher Neophyten sind beispielsweise eine große Samenzahl, effiziente Ausbreitungsmechanismen, rasches Wachstum und starke Konkurrenzkraft. Für Tiere sind in ähnlicher Weise eine hohe Nachkommenzahl und gute Ausbreitungsmöglichkeiten wichtig. Generell etablieren sich eher anspruchslose Arten, die zudem eine bestimmte Affinität zum Menschen aufweisen, leichter und werden dann auch häufiger invasiv. Dies trifft beispielsweise auf Nutz- und Gartenpflanzen zu, auf Nutz-, Jagd- und Heimtiere sowie auf alle sonst mit dem Menschen verbundenen Arten. Bestimmte Wachstums- oder Lebensstrategien, die durchschnittliche Populationsdichte, Körpergröße oder Lebensdauer, die Ernährungsweise oder bestimmte Verhaltenskomponenten haben hingegen kaum Bezug zur möglichen Invasionsfähigkeit einer Art.
Klimawandel und invasive Arten
Die aktuelle, durch den Menschen verursachte Klimaveränderung und die Ausbreitung von nicht-einheimischen Arten sind zwei hochdynamisch ablaufende Prozesse, die verschiedene Ursachen haben. Dennoch sind ihr Verhalten und ihre Auswirkungen nicht völlig unabhängig voneinander, denn es mehren sich Anzeichen, dass viele Aspekte der Klimaveränderung nicht-einheimische und invasive Arten fördern.
Die natürlichen Verbreitungsgrenzen mancher Arten haben sich als Folge der Klimaveränderung verschoben. Zwar sind Arten hiervon positiv wie negativ betroffen, da viele invasive Arten jedoch eher tolerant gegenüber ihrer Umwelt sind, ergeben sich für diese mehr Vorteile. In Europa ist mit höheren Durchschnittstemperaturen zu rechnen, und dies bedeutet für viele nicht-einheimische Arten, dass sie leichter in Europa Fuß fassen können und dort auf größere Gebiete treffen werden, die ihnen klimatisch zusagen. Auch all die nicht-europäischen Arten, die sich bereits im Mittelmeergebiet etabliert haben, können sich nun leichter nach Mitteleuropa ausbreiten. Natürlich ist es auch mediterranen Arten leichter möglich, ihr Areal weiter nach Norden auszubreiten.
Mildere Winter ermöglichen eine erfolgreiche Überwinterung an Orten außerhalb des bisherigen Verbreitungebietes, z. B. bei Pflanzen oder Wirbellosen, aber auch ein Überleben außerhalb der bisherigen wärmebegünstigten Vorkommen in Gewächshäusern oder anderen Gebäuden. Daher haben nun invasive Arten, die bisher die wärmeren Innenstädte als Inselpopulation nutzten, mehr Möglichkeiten, ihr Areal an die Peripherie der Städte auszudehnen. Wärmere Sommertage verlängern die Reproduktionsphase und erlauben ausgedehntere Verbreitungsflüge etwa bei Insekten (Walther et al. 2009).
In den letzten beiden Jahrzehnten haben Meldungen über das Auftreten neuer Pflanzenschädlinge wie Fransenflügler (Thysanoptera), Blattläuse (Aphidoidea) oder Schildläuse (Coccoidea) stark zugenommen. In ähnlicher Weise werden auch Dipteren, vor allem Sandmücken (Phlebotominae) und Stechmücken (Culicidae) oder Spinnentiere (z. B. Zecken, Ixodidae) nachgewiesen, die eine Reihe von Krankheiten auf den Menschen und seine Nutztiere übertragen. Die meisten dieser Arten sind wärmeliebend oder werden durch die klimatischen Veränderungen begünstigt.
Daneben gibt es aber auch einige von Neobioten leicht zu besiedelnde Lebensräume. In erster Linie werden hier «gestörte» Lebensräume genannt, also Standorte mit hohem menschlichem Einfluss wie die Agrarlandschaft, Randstrukturen an Straßen, Kanälen und Eisenbahnlinien sowie der gesamte urbane Siedlungsraum. Natürlich gestörte Lebensräume wie Flussufer gehören allerdings auch in diese Aufzählung. Solche Bereiche zeichnen sich durch geringere Konkurrenz, hohe Ressourcendynamik, Nährstoffreichtum und wenig natürliche Gegenspieler aus.
Rein theoretisch bietet die Feindfreiheit im Invasionsgebiet einen guten Ansatz, um das invasive Verhalten einer nicht-einheimischen Art zu erklären. Im eigenen Ursprungsgebiet ist jede Art Teil eines langen, koevolutiven Geschehens. Sie hat spezielle Krankheitserreger und Parasiten, Feinde und Konkurrenten. Ein beträchtlicher Anteil der verfügbaren Ressourcen geht in die Verteidigung gegen diese zahlreichen Gegenspieler, sodass weniger Energie in eigenes Körperwachstum und vor allem in die Vermehrung investiert werden kann. Der neue Lebensraum, das zukünftige Invasionsgebiet, zeichnet sich durch das Fehlen all dieser speziellen Gegenspieler aus, ist also feindfrei. Die verfügbaren Ressourcen können vollumfänglich für Wachstum und Reproduktion eingesetzt werden, sodass viele invasive Arten im neuen Gebiet größer sind und mehr Nachkommen haben als in ihrem Ursprungsgebiet. Diese erhöhte Fitness ist dann die Grundlage für ihre invasiven Eigenschaften.
Invasive Arten wurden gelegentlich als prinzipiell überlegen gegenüber den einheimischen Arten bezeichnet. In dieser extremen Form trifft das sicherlich nicht zu, viele invasive Arten sind jedoch bemerkenswert unspezialisiert, sodass sie in vielen verschiedenen Lebensräumen existieren können. Auch der Besitz von «neuen Waffen» kann für invasive Arten förderlich sein, wenn die Konkurrenz im neu eroberten Areal diese noch nicht kennt. Hierunter verstehen wir beispielsweise chemische Inhaltsstoffe, die, über die Wurzel abgesondert, das Wurzelwachstum benachbarter einheimischer Pflanzen hemmen (Allelopathie), oder die, in die Blätter eingelagert, Fraßfeinde abhalten (sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe). Mit solchen Waffen kann in der Tat der Erfolg einiger nicht-einheimischer Pflanzen erklärt werden.
Andere Erklärungsmuster setzen bei der Struktur des Lebensraumes an. In naturnahen Gesellschaften, so wird angenommen, sind alle ökologischen Nischen besetzt, die Artengesellschaft ist gesättigt und neue, nicht-einheimische Arten können sich nicht etablieren. Dieser Ansatz erklärt beispielsweise, warum Waldökosysteme weniger invasive Arten aufweisen als die oben erwähnten gestörten Lebensräume oder warum manche artenreiche Ökosysteme geschützter gegen biologische Invasionen sind als artenarme. In diesem Zusammenhang spricht man auch gerne vom biotischen Widerstand, der dem Invasionsdruck nicht-einheimischer Arten entgegenwirkt. Insgesamt geben die zahlreichen theoretischen Ansätze wichtige Hinweise auf die Frage, warum einige nicht-einheimische Arten invasiv werden, beziehen sich aber immer nur auf bestimmte Lebensräume und Arten. Als Prognoseinstrument helfen solche Ansätze jedoch nur begrenzt. Eine gute Übersicht zu den theoretischen Ansätzen findet sich in Hufbauer & Torchin (2007).
Artenzahlen einheimischer und nicht-einheimischer Arten
In Deutschland leben mindestens 70 000 einheimische Arten, hierunter etwa 14 000 Pilzarten, 8000 Pflanzenarten und 48 000 Tierarten (Tabelle 2). Die tatsächliche Zahl kann durchaus um etwa 10 000 Arten höher sein, da einige Gruppen (u. a. Pilze, Einzeller, Nematoden) nach wie vor nur ungenügend erforscht sind. Für Österreich liegt die Gesamtzahl bei rund 67 500, und für die Schweiz gibt es keine vergleichbare Auflistung der dort vorkommenden Arten.
Die Zahl der nicht-einheimischen Arten in Deutschland beträgt 1935, in Österreich 1381, in der Schweiz 824 (DAISIE-Datenbank von Oktober 2009, www.europe-aliens.org). Auch hier ist die Dunkelziffer groß, da in vielen Gruppen der Erforschungsgrad immer noch gering ist. So gibt die NOBANIS-Datenbank beispielsweise für Deutschland 2269 und für Österreich 2038 nicht-einheimische