Mediensoziologie. Elke Wagner
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2.1 | Kritik der mechanisierten Kommunikation |
Mediale und materiale Bedingungen der Kommunikation erweisen sich aus Innis’ Perspektive als entscheidend für die Etablierung, Verankerung, Durchsetzung und Verbreitung von Wissen. Dabei interessiert sich Innis, wie bereits erwähnt, vor allen Dingen für den Wandel, der unter dem Einfluss der Schrift und des Buchdrucks entstanden ist. Er hält in seinen Schriften an der ursprünglichen Bedeutung von Oralität, also Mündlichkeit, für soziale [23]Beziehungen fest. Unmittelbare Präsenz und die Nähe mündlicher Kommunikation gelten ihm als authentischere, wirklichere Form der Informationsübertragung: »Das mündliche Gespräch setzt persönlichen Kontakt und die Berücksichtigung der Gefühle anderer voraus, und es steht in krassem Gegensatz zu der grausamen mechanisierten Kommunikation und den Tendenzen, die wir in der heutigen Welt am Werke sehen (…). Ich möchte für die mündliche Tradition Partei ergreifen, besonders wie sie sich in der griechischen Zivilisation offenbart hat, und für die Möglichkeit, ihren Geist ein Stück wiederzubeleben.« (Innis 1997, S. 182 f.) Innis beschreibt eine zunehmende »Eskalation« der Verschriftlichung, an deren Ende die Mechanik des Buchdrucks entsteht. Dieser Entwicklungsprozess beinhaltet nicht nur die Entstehung und Veränderung von Wissen, sondern auch von Machtverhältnissen. Innis beobachtet in der zunehmenden Modernisierung von Übertragungswegen auch eine Monopolisierung von Wissen, woraus wiederum Machtverhältnisse entstehen. Als Beispiel verweist Innis auf die Einführung von Tontafeln in Altbabylonien. Gemäß ihm wurden diese Tontafeln von einer sich neu bildenden schreibenden Priesterklasse genutzt, die mit gesellschaftlicher Macht ausgestattet war: »Als Grundlage der Bildung unterstand die Schreibkunst der Kontrolle von Priestern, Schreibern, Lehrern und Richtern, so dass Allgemeinwissen und Rechtsentscheidungen religiös geprägt waren. Die Schreiber führten die umfangreichen Geschäftsbücher der Tempel und hielten die Beschlüsse der Priestergerichte in allen Einzelheiten fest. Mehr oder weniger jede Transaktion des täglichen Lebens war eine Rechtsangelegenheit, die aufgezeichnet und mit Hilfe der Siegel der Vertragspartner und Zeugen bestätigt wurde. In den einzelnen Städten bildeten die Gerichtsentscheidungen die Grundlage des Zivilrechts. Je mehr die Tempel anwuchsen und die Kulte an Einfluss gewannen, desto größer wurde die Macht und Autorität der Priester.« (Innis 1997, S. 65) Folgt man Innis, so gehen medientheoretische Überlegungen mit Aspekten der Technikkritik einher.
2.2 | Unterschiedliche Qualitäten von Medien |
An früherer Stelle kam schon der Hinweis, dass mediale Prozesse sowohl eine materiale wie eine symbolische Seite aufweisen. Innis unterscheidet Medien nach zwei Kategorien. Da gibt es zum einen bewegliche Medien wie etwa Papier. Diese Medien sorgen für räumliche Veränderungen. So ermöglicht Papier uns, jemandem einen Brief zu schreiben, der sich nicht am gleichen Ort befindet, was zu einer Erweiterung des Raums führt. Außerdem verweist Innis auf feste Medien, wie etwa Stein. Diese sorgen für zeitliche Veränderungen. Mittels eines Gebäudes aus Stein präsentiert sich eine Regierungsform als dauerhaft. Die Architektur ist deshalb ein interessantes mediensoziologisches [24]Forschungsfeld. Innis beschreibt die Eigenschaften von Medien wie folgt: »Jedes einzelne Kommunikationsmittel spielt eine bedeutende Rolle bei der Verteilung von Wissen in Zeit und Raum, und es ist notwendig, sich mit seinen Charakteristiken auseinanderzusetzen, will man seinen Einfluss auf den jeweiligen kulturellen Schauplatz richtig beurteilen. Je nach seinen Eigenschaften kann solch ein Medium sich entweder besser für die zeitliche als für die räumliche Wissensverbreitung eignen, besonders wenn es schwer, dauerhaft und schlecht zu transportieren ist, oder aber umgekehrt eher für die räumliche als für die zeitliche Wissensverbreitung taugen, besonders wenn es leicht und gut zu transportieren ist. An der relativen Betonung von Zeit und Raum zeigt sich deutlich seine Ausrichtung auf die Kultur, in die es eingebettet ist.« (Innis 1997, S. 95) Noch einmal zusammengefasst: Innis konzeptualisiert gesellschaftlichen Wandel als medientechnologisch induziert. Die räumliche Expansion sowie die zeitliche Stabilisierung von Herrschaft sind laut Innis verbunden mit dem Einsatz bestimmter Kommunikationsmedien. Es geht Innis bei seinen theoretischen Überlegungen in Bezug auf Medien also nicht nur um den Prozess der Informationsübertragung, sondern ganz generell um die Möglichkeiten und die Bedingungen der Wahrnehmung, die durch Medien geprägt sind. Innis interessiert sich dabei vor allen Dingen für den Wandel von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit. In seinem Werk The bias of communication (1951) entwickelt Innis die These, dass die politische Organisation von Gesellschaften entscheidend von der jeweils dominanten Medientechnologie abhängt. Dass geht so weit, dass Innis die Bildung des modernen Nationalstaates und das Entstehen bürgerlicher Gesellschaften als Resultate der Ablösung der Manuskriptkultur durch den Buchdruck interpretiert. Inwiefern diese Annahmen für die Soziologie plausibel sind, wollen wir in einem nächsten Schritt diskutieren.
3. | Medien und Gesellschaft |
Die Medientheorie der Kulturwissenschaft hat die These von der Generativität des Mediums auf sehr unterschiedliche und komplexe Weise bearbeitet, worauf wir im Laufe des Buches immer wieder zurückkommen werden. Zur Erinnerung: Unter der Generativität des Mediums wird zum einen verstanden, dass Medien ihren Gegenstand nicht neutral übermitteln, sondern ihm etwas hinzufügen und ihn dadurch prägen. Weiterhin sind Medien als entscheidende Generatoren eines sozialen und kulturellen Wandels anzusehen. Wenn sich Medien verändern, so die These der Medientheorie, ändern sich auch soziale Praktiken. Warum aber sollte sich die Soziologie hiermit beschäftigen? Wozu brauchen wir überhaupt eine Mediensoziologie? Und inwiefern sollte man sich an der Tradition der Kulturwissenschaften orientieren?
[25]Die spezifische Beschäftigung der Kulturwissenschaften mit Medien ist für die Soziologie interessant, weil diese sich für die Entstehung und für die Veränderung von sozialer Ordnung interessiert. Die entscheidenden Fragen der Soziologie lauten: Wie ist soziale Ordnung möglich? Wie kommt es zu Regelmäßigkeiten im sozialen Ablauf? Wie entstehen Strukturen von Erwartungen, die uns helfen, uns in sozialen Situationen zu orientieren? Für die Mediensoziologie stellt sich hieran anschließend die Frage: Welche Rolle kommt Medien bei der Entstehung und dem Wandel von sozialen Erwartungen zu, also für die Genese und die mögliche Veränderung sozialer Ordnung? Welche Sozialformen entstehen durch Medien? Und wie kann man diese (medien-)soziologisch beschreiben?
Die Mediensoziologie nähert sich dieser Fragestellung auf unterschiedlichen Wegen. Die Rezeptionsforschung beobachtet etwa, welche medialen Inhalte in den Medien dargestellt werden und welche Wissensformen hierdurch entstehen. Exemplarisch könnte man hier die Arbeiten von Angelika Keppler (2006) nennen. Sie zeigt in ihrer Studie zu Gewaltdarstellungen im Fernsehen, wie dieses durch eine permanente Differenzierung zwischen dem Realen und dem Fiktiven den Realitätssinn heutiger Gesellschaften formt. Die Anwendungsforschung untersucht, wie die Inhalte der Medien jenseits ihrer Darstellungsformen etwa im Fernsehen wieder auftauchen. Jo Reichertz (2006) beispielsweise interessiert sich nicht nur für die Analyse medialer Inhalte, sondern auch für deren Gebrauch im praktischen Leben. Er fragt beispielsweise, wie sich im Fernsehen gezeigte Hochzeitsshows auf das Heiratsverhalten von Personen auswirken. Es geht also um die Frage nach dem Wissenstransfer von medialen Inhalten. Die Publikumsanalyse der Cultural Studies (im Überblick Hepp / Krotz 2009; Hepp / Winter 2008) geht wiederum der Frage nach, wie Medien das Publikumsverhalten verändern. Wer kann was wie sagen? Und wer kann das Gesagte auf welche Weise verstehen? Welche Rolle spielt das Medium dabei? Schließlich gehört zur Mediensoziologie auch noch der Forschungsbereich Internet. Zahlreiche Autoren haben sich mit Virtualität und Realität in computerisierter Kommunikation beschäftigt. Diese Perspektiven erscheinen deshalb so interessant, weil der Eigenleistung des Mediums eine angemessene Rolle bei Herstellung und Wandel von Kommunikationspraktiken zugesprochen wird.
Dieses Buch schließt sich der These der Medientheorie an, dass Medien etwas verändern, wenn sie zum Einsatz kommen. Genauer: Hier wird die medientheoretische Annahme, dass Medien ihren Informationen etwas hinzufügen und die Wahrnehmung der Information dabei verändern, als empirische Frage aufgenommen und als Forschungsfrage formuliert: Woran wird der Einfluss von Medien konkret und im Einzelfall sichtbar? Verändern Medien tatsächlich die Wahrnehmung der von ihnen