Mediensoziologie. Elke Wagner
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4. | Der Arabische Frühling: eine Facebook-Revolution? |
Aber wie plausibel ist die Herangehensweise der bis hierher nur kurz skizzierten Medientheorie aus soziologischer Perspektive? Dass Medien soziale Ordnung verändern können, wurde am Beispiel der Demonstrationen in Ägypten, die dort seit Dezember 2010 stattgefunden haben, diskutiert. Der sogenannte Arabische Frühling erlangte auch als Facebook-Revolution eine gewisse Berühmtheit. Formate wie Facebook, YouTube und Twitter sollen zum Erfolg der Revolution beigetragen haben. Wir wollen diese vor allen Dingen in den Feuilletons geführte Debatte im Folgenden dazu nutzen, unsere These von der Generativität des Mediums zu diskutieren. Anhand der Arbeiten von Harold A. Innis stellen wir zur Diskussion, inwiefern die These von der Generativität des Mediums am konkreten Fall plausibel wird. Ist es tatsächlich das Medium, das soziale Praktiken prägt? Oder sind es nicht vielmehr die über Medien vermittelten sozialen Praktiken selbst, die für eine Transformierung sozialer Ordnungen sorgen?
Abbildung 2 zeigt eine Facebook-Solidaritätsseite für den ägyptischen Widerstand vom April 2011. Man kann sich anhand dieser Seite fragen, inwiefern sich die Rede von der Generativität des Mediums empirisch bewährt. Was verändert zum Beispiel der Einsatz von Facebook an der politischen Ordnung in Ägypten? Ist es wirklich das soziale Netzwerk, das als Medium für eine veränderte Ordnung sorgt? Oder sind es nicht vielmehr die Zugangsweisen zu der Webseite, die es ohnehin gegeben hätte? Inwiefern tragen Netzwerke wie Facebook zur Transformation von Wahrnehmungsformen bei? Inwiefern werden Personen hier neu aufeinander bezogen?
Ohne diese Fragen an dieser Stelle im Einzelnen zu beantworten, kann man sich zunächst einmal eine soziologische Zugangsweise mit Hilfe der [27]Medientheorie der Kulturwissenschaften erarbeiten. Inwiefern überzeugen deren Thesen noch, wenn man sie auf aktuelle empirische Prozesse anwenden will? Harold A. Innis stellt jedenfalls für das Ägypten der Frühzeit fest: »Die tiefen Erschütterungen, denen die ägyptische Zivilisation beim Übergang von einer absoluten Monarchie zu einer demokratischen Staatsform ausgesetzt war, gingen mit einer Schwerpunktverlagerung von Stein als Kommunikationsmittel (…) auf Papyrus einher.« (Innis 1997, S. 56)
Abb. 2: Facebook Öffentlichkeit Quelle: facebook.de; 04/2011.
Trifft diese These vom Medienwechsel auch für die heutige Gesellschaft zu? Haben soziale Netzwerke im Internet tatsächlich so viel Veränderungspotenzial, dass sie dazu beitragen können, Revolutionen zu befördern? Mediensoziologische Forschungen, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während die einen davon ausgehen, dass die Web 2.0-Formate im Internet bedeutend daran beteiligt waren, die Protestbewegungen zu unterstützen (Cohen 2011; Webster 2011), sind andere skeptisch. Sie vermuten eher, dass die Protestbewegungen auch ohne die Unterstützung des Internets stattgefunden hätten (Rich 2011). Wir wollen diese Debatte nicht im Einzelfall nachverfolgen (einen guten Überblick bieten Lim 2012 und Alexander 2011). Spannend ist [28]an dieser Stelle allein der Umstand, dass die medientheoretischen Annahmen der Toronto School aus dem vorigen Jahrhundert nach wie vor relevant sein können, wenn es um die Beschreibung aktueller sozialer Phänomene geht.
FAZIT
Fassen wir die bisherigen Ergebnisse zusammen:
1. | Mediale Prozesse sind Übertragungsverhältnisse, die Phänomene erfahrbar und sichtbar machen. Medien weisen eine materiale und eine symbolische Seite auf. Die Medientheorie der Kulturwissenschaft nimmt mit der Erkenntnis ihren Anfang, dass die Materialität des Mediums eine wichtige Rolle für die Wirkung der übertragenen Information spielt. |
2. | Die frühe Medientheorie der Toronto School hat dazu beigetragen, einen eigenständigen Blick auf Medien als Forschungsgegenstand zu eröffnen. |
3. | Harold A. Innis versteht unter Medien die materialen Bedingungen von Übertragungsverhältnissen (Bias of Communication), die sich in Kommunikationsabläufe einschreiben und damit Wissens- und Machtkulturen erzeugen können. Innis zeichnet in seinen Schriften die Entwicklung der modernen westlichen Gesellschaft unter den Bedingungen veränderter Kommunikationsmittel nach. An eine veränderte Medialität wird also eine veränderte Zeitlichkeit, Geschichte und Epochenbildung gebunden. |
4. | Diese Perspektive ist für die Soziologie interessant, weil sie sich für die Genese sozialer Ordnung interessiert. Die entscheidende Frage der Mediensoziologie lautet also: Wie ist soziale Ordnung möglich und welche Rolle spielen Medien dabei? |
Innis, Harold A. (1951/1997): »Die Medien in den Reichen des Altertums«. In: Barck, Karlheinz (Hrsg.): Kreuzwege der Kommunikation. Wien. S. 56–66.
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