Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer
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Sofern im Text nicht anders vermerkt, sind Entwicklungen und Vorgänge im Medienwesen Deutschlands bis zur Jahreswende 2012/13 berücksichtigt. Dies gilt auch für die vielen Daten und Fakten, die u. a. im Abschnitt über Medienstrukturen in Deutschland aufscheinen; nur stellenweise konnten noch Ereignisse aus dem Frühjahr 2013 Berücksichtigung finden. An zahlreichen Stellen im Text gibt es Hinweise auf verlässliche Onlinequellen, denen jeweils aktuelle Informationen zum Medienwesen in Deutschland und zu anderen Themen entnommen werden können.
Das Fach mit seinen zahlreichen Gegenständen einigermaßen umfassend darzustellen, ist für einen Einzelnen nicht mehr möglich. Dankenswerterweise haben mich bei der Arbeit an diesem Buch Autorinnen und Autoren unterstützt, die einzelne Kapitel oder Subkapitel beigesteuert, miterarbeitet oder überarbeitet und dabei auch auf einen einheitlichen Sprachduktus geachtet haben. Ihre Namen sind im Inhaltsverzeichnis sowie in den Beiträgen jeweils auch ausgewiesen. Für diese Unterstützung danke ich – hier in alphabetischer Reihenfolge – Philip Baugut, Helena Bilandžić, Wolfgang Eichhorn, Andreas Fahr, Nayla Fawzi, Friederike Koschel, Marcus Maurer, Magdalena Obermaier, Rudi Renger, Nina Springer, Jeffrey Wimmer, Susanne Wolf und Thomas Zerback. Ihr derzeitiges berufliches Wirken ist dem Autorenverzeichnis am Ende des Buches zu entnehmen. Für wichtige Hilfs- und Zuarbeiten sowie Literaturabgleiche danke ich Anne-Nikolin Hagemann und Ruth Humer. Benjamin Krämer hat zahlreiche Anregungen für das Kapitel über empirische Forschungstechniken beigesteuert. Nina Springer und Philip Baugut sind mir mit Rat und Tat stets zur Seite gestanden. Seitens des Verlages erwiesen sich Rüdiger Steiner, Katrina Weißer und Christiane Hörmann als hoch kooperative und zuverlässige Ansprechpartner.
München, im Juni 2014 Heinz Pürer
[15]1 Einleitung
Die Kommunikationswissenschaft ist eine verhältnismäßig junge Disziplin. Als Lehrfach gibt es sie in Deutschland erst seit 1916: Damals wurde an der Universität Leipzig das erste Institut für Zeitungskunde eingerichtet. Weitere Institute und Lehrstühle folgten, später auch mit Prüfungs- und Promotionsrecht. Wissenschaftliche Betrachtungen des Zeitungswesens reichen allerdings bis ins 17. Jahrhundert zurück; sie fallen, wohl nicht zufällig, mit dem Aufkommen der periodischen Presse in Deutschland zusammen. Zu Beginn der Beschäftigung mit dem Zeitungswesen herrschte eine eher kulturpessimistische, dogmatisch-moralisierende Sichtweise vor. Im 18. Jahrhundert zeigte die Epoche der Aufklärung auch Auswirkung auf die Befassung mit dem Zeitungswesen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die von den Zeitungen getragene öffentliche Meinung erstmals thematisiert; und die Aufhebung der Zensur im Jahre 1848 führte im Weiteren zu einer raschen Ausdifferenzierung des Zeitungs- und Zeitschriftenwesens. In der Folge beschäftigten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Fachvertreter zahlreicher Disziplinen mit dem Pressewesen: Unter ihnen waren Staatswissenschaftler, Nationalökonomen und Juristen ebenso vertreten wie Historiker, Germanisten, Philosophen und Philologen. Es wuchs die Zahl der Publikationen über das Zeitungswesen; und es stieg auch das Angebot der an deutschen Universitäten und Hochschulen sporadisch durchgeführten zeitungskundlichen Vorlesungen und Seminare. Mit der Gründung zeitungskundlicher Institute ab 1916 aber waren wichtige erste Schritte für die allmähliche Etablierung des Fachs im deutschen Sprachraum getan (vgl. Kap. 2).
Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstehende Zeitungskunde verband ihr wissenschaftliches Interesse am Phänomen Presse mit Ausbildungsbestrebungen für Journalisten. An der Wiege der Zeitungskunde, gleichsam in ihrem Entstehungsmilieu, waren im Hinblick auf die inhaltliche Ausrichtung des Faches also zwei Strömungen vorzufinden: einerseits die Forderung nach der Verwissenschaftlichung der Zeitungskunde; andererseits das Postulat nach einer systematischen Ausbildung der Journalisten. Priorität erhielt die Verwissenschaftlichung der Zeitungskunde. Sie entwickelte sich im Laufe ihrer inzwischen knapp einhundertjährigen Geschichte von der Zeitungs- über die Publizistik- zur Kommunikationswissenschaft. Dabei weitete sie nicht nur ihren Fachgegenstand ständig aus, sondern sie vollzog auch einen Wandel im methodischen Vorgehen von einer historisch-hermeneutischen Geisteswissenschaft zu einer empirisch verfahrenden Sozialwissenschaft. Erst sechzig Jahre nach der Gründung der Zeitungskunde wurden in Westdeutschland Schritte unternommen, dem stets wiederkehrenden Postulat nach einer akademischen Journalistenausbildung Rechnung zu tragen. So kam es ab 1974 an mehreren westdeutschen Universitäten zur Errichtung von berufsbezogenen Diplomstudiengängen für Journalistik in Form von Grund- oder Aufbaustudiengängen, die im Zuge des sog. Bolognaprozesses in Bachelor- und/oder Masterstudiengänge überführt wurden. (Eine Art Vorläufer solcher Studiengänge ist in einem Journalistischen Seminar zu sehen, das zwischen 1897 und 1912 an der Universität Heidelberg existierte; es verband Vorlesungen über das Presse- und Nachrichtenwesen mit intensiven praktischen Übungen zum Zeitungsjournalismus). Die DDR nahm, was wissenschaftliche Journalistik betrifft, eine andere Entwicklung: Dort wurde bereits Mitte der 1950er-Jahre das Fach auf der Basis des Marxismus-Leninismus in den Dienst der sozialistischen [16]Journalistenausbildung gestellt und in den 1960er-Jahren die Sektion Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig eingerichtet, ehe sie 1990 im Kontext der deutschen Wiedervereinigung abgewickelt und in der Folge durch neue Studiengänge ersetzt wurde (vgl. Kap. 2.12).
Die moderne Kommunikationswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz geht im Wesentlichen auf zwei Stränge zurück: auf die zeitungs- bzw. publizistikwissenschaftliche Tradition des deutschen Sprachraumes sowie auf die (journalistik- und) kommunikationswissenschaftliche Tradition angloamerikanischer Herkunft.
• Die deutschsprachige Zeitungswissenschaft hatte ihrerseits nationalökonomisch-statistische und historische Wurzeln. Sie widmete sich – auch als Publizistikwissenschaft – bis in die 1960er-Jahre in hohem Maße der Journalismus- und Mediengeschichte sowie der Medienstatistik; und sie bediente sich dabei, neben der Statistik, primär geisteswissenschaftlich-hermeneutischer Methoden. Im Mittelpunkt standen Medien und publizistische Persönlichkeiten, ehe in Deutschland ab den 1950er-Jahren auch erste empirische Studien folgten (vgl. Kap. 2.9).
• Am Anfang der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Journalismus und Massenmedien in den USA stand eine praktizistische Journalistik, ehe sich die Disziplin – ab Mitte der 1920er-Jahre – mit Fragen der Medienwirkungen beschäftigte. Um diese zu ergründen, bedienten sich (damit befasste) Soziologen, Sozialpsychologen, Psychologen und Politikwissenschaftler bereits damals sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden. Im Mittelpunkt stand – und steht – die empirischanalytische Untersuchung von Kommunikationsprozessen. Diese empirische Kommunikationsforschung, die im deutschen Sprachraum übrigens Vorläufer in den quantitativen Methoden der Staatswissenschaften (also der »Statistik«) hatte, begann ab Mitte der 1960er-Jahre in die deutsche Publizistikwissenschaft einzufließen und zunehmend um sich zu greifen. In diesem Zusammenhang ist von der »empirisch-sozialwissenschaftlichen Wende« (Löblich 2010a, 2010b) in der Publizistikwissenschaft die Rede, die mehrere Ursachen hat und Gegenstand der Ausführungen in Kap. 2.9 ist.
Heute ist die Kommunikationswissenschaft ein Fach, das von der Mehrzahl seiner Fachvertreter im empirisch-sozialwissenschaftlichen Sinne verstanden und betrieben wird, ohne hermeneutisch-geisteswissenschaftliches Vorgehen gering zu schätzen oder gar auszugrenzen (vgl. Peiser et al. 2003). Auch ist ein unübersehbares Bemühen um Trans- und Interdisziplinarität zu erkennen. Aus gesellschaftswissenschaftlicher Sicht ist dieses Bemühen beinahe unumgänglich: Das Fach entlehnt ständig Fragestellungen und Kenntnisse aus anderen (Gesellschafts-)Wissenschaften, die sich ihrerseits der Kommunikationswissenschaft bedienen und deren Erkenntnisse für sich nutzbar machen. Zu erwähnen sind v. a. die Soziologie, die Psychologie, die Politikwissenschaft, die Pädagogik, die Werbe- und Wirtschaftswissenschaften, die Informatik sowie die Computerwissenschaft. In jüngerer Zeit gesellt sich eine fachliche Ausrichtung hinzu, die sich