Ökologie der Wirbeltiere. Werner Suter

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Ökologie der Wirbeltiere - Werner Suter

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dem patch noch nicht erreicht ist. Der Grenzwert entspricht dem Gewinn, der im gesamten Habitat im Durchschnitt erzielbar ist.

      2. Die Zeit bis zum Erreichen des Grenzwerts, die giving-up time, ist in patches mit geringerer Nahrungsdichte kürzer als in besseren patches.

      3. Die Distanz zum nächsten patch respektive die Zeitdauer, die für den Weg benötigt wird, beeinflusst die giving-up time. Je weiter der Weg, desto länger sollte das Tier in einem patch verweilen.

      Anstelle der Verweildauer kann auch die übrig bleibende Nahrungsdichte gemessen werden, bei der das Tier den patch aufgibt (giving-up density). Für grafische Darstellungen und Erklärungen des Grenzwertmodells sei hier auf einige der neueren Literatur verwiesen, zum Beispiel Giraldeau (2008a), Ydenberg (2007, 2010), Hamilton (2010) oder Davies N. B. et al. (2012).

      Das Modell ist wiederholt in Labor und Freiland getestet worden und hat sich, unter Beachtung einiger limitierender Faktoren, bewährt (Bedoya-Perez et al. 2013). In einem der ersten und bekanntesten Experimente dazu wurden wiederum Kohlmeisen (Abb. 3.3) benutzt, denen eine Anzahl künstlicher Bäume zur Verfügung standen. Jeder Baum trug als patches kleine offene Gefäße voll Sägemehl, in denen je dieselbe Anzahl Mehlwurmviertel versteckt war. Da die Distanzen zwischen den patches in der Volière nicht genügend stark variiert werden konnten, simulierte man die Kosten für den Weg zwischen den patches dadurch, dass Deckel über den patches angebracht wurden, die sich entweder ganz einfach oder nur mit zeitlichem Aufwand öffnen ließen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Verweilzeiten auf den patches recht gut den Voraussagen aufgrund des Zeitaufwands für den Wechsel zwischen den patches entsprachen (Cowie 1977; Abb. 3.7). In einer Analyse von 26 Arbeiten zum Thema zeigte sich dasselbe Bild wie in der Untersuchung von Cowie: In qualitativer Hinsicht wurde das Modell unterstützt, das heißt, die Daten folgten der Kurve ähnlich wie in Abbildung 3.7. Quantitativ gesehen, «irrten» die nahrungssuchenden Tiere insofern, als sie zu lange auf den patches blieben (Nonacs 2001). Ähnlich wie in den Modellen zur Nahrungswahl ergab sich eine Verbesserung, wenn verschiedene Kosten oder constraints mitberücksichtigt wurden, vor allem die Kondition des Tieres und das damit verbundene Prädationsrisiko (Nonacs 2001). Wir haben im letzten Kapitel zwar auf das Verletzungsrisiko bei der Behandlung der Beute hingewiesen, aber das Risiko, bei der Nahrungssuche selbst einem Prädator zum Opfer zu fallen, kam noch nicht zur Sprache. Es bedingt Vorkehrungen beim Verhalten, die ebenfalls als Kosten bei der optimierten Nahrungssuche betrachtet werden müssen, und ist Thema des folgenden Kapitels.

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      Abb. 3.7 Ergebnisse des «Patch-use-Experiments» von Cowie (1977). Die Zeit, welche die Kohlmeisen auf den patches verbrachten (Mittel der sechs Individuen, mit Standardfehler), wuchs entsprechend der erwarteten Beziehung mit den Kosten für den «Patch-Wechsel». Wurde für die Erwartung das ursprüngliche Modell (gestrichelte Kurve) hinzugezogen, so hielten sich die Meisen zu lange auf dem patch auf. Wurde das Modell hingegen noch mit dem Energieaufwand für den Weg und das Suchen ergänzt (ausgezogene Kurve), so stimmten die Daten mit dem Modell überein (Abbildung neu gezeichnet nach Cowie 1977).

      Das Grenzwertmodell ist für eine Reihe weiterer Situationen anwendbar, bei denen Tiere mit abnehmendem Gewinn pro Zeiteinheit konfrontiert sind. Sehr häufig etwa stellt sich das Problem, wie Nahrung energetisch optimal in ein Nest eingetragen wird. Eine solche Anordnung ist als central place foraging bekannt und verlangt vom Tier, Weg (Wie weit weg vom Nest suche ich?) und Ladung (Wie viel finde und transportiere ich pro Stecke?) zu optimieren. Bergpieper (Anthus spinoletta), die Nestlinge fütterten, brachten pro Weg mehr Nahrung und einen höheren Anteil an größerer Beute zum Nest, je weiter weg sie suchten, wobei die maximalen Distanzen von 300–400 m gut den Erwartungen für die maximale ökonomische Distanz entsprachen (Frey-Roos et al. 1995). Untersuchungen an weiteren Arten in vergleichbarer Situation kamen zu ähnlichen Befunden und zeigten, wie bereits die klassische Studie von Kacelnik (1984), dass fütternde Vögel kleinere Beute bis zu einer bestimmten Größe selbst fraßen, statt sie ins Nest einzutragen.

      Zur Modifikation des optimalen Verhaltens auf patches kann auch die Erinnerung an frühere Schwankungen im Nahrungsangebot beitragen, indem sie die Reaktion auf die momentanen Gegebenheiten beeinflusst (successive contrast effects; McNamara J. et al. 2013). Unter experimentellen Bedingungen, bei denen die zunächst reichhaltige Nahrungsversorgung von Allenby-Rennmäusen (Gerbillus andersoni allenbyi) in patches unterschiedlich reduziert und dann wieder auf das alte Niveau aufgestockt wurde, fraßen Rennmäuse nach der mageren Periode von allen reichhaltigen patches mehr als erwartet, sodass die giving-up densities durchwegs niedriger waren als in der ersten reichhaltigen Periode (Berger-Tal et al. 2014). Die Bedeutung der Erinnerung an frühere Qualitätsunterschiede beim erneuten Besuch von patches ist noch wenig untersucht. Bei Bisons (Bison bison) spielt sie aber eine wichtige Rolle und bewirkte, dass die Tiere in einem Wald-Offenland-Mosaik nur einen Teil des zur Verfügung stehenden Habitats nutzten, indem sie gezielt nur die profitableren Wiesen besuchten (Merkle et al. 2014).

      Wir haben nun mehrfach festgestellt, dass die Diskrepanzen zwischen den Voraussagen eines Optimierungsmodells und dem tatsächlich beobachteten Verhalten auf Einschränkungen zurückzuführen waren, die mit mehr oder weniger versteckten Kosten zu tun hatten. Die oftmals wichtigsten Kosten blieben aber bisher unerwähnt. Es sind die Anpassungen im Verhalten, mit denen ein Tier vorsorgen muss, um während der Suche nach Nahrung nicht einem Prädator zum Opfer zu fallen (risk-sensitive foraging; Brown J. S. & Kotler 2004). Füttern wir zum Beispiel Vögel oder Hörnchen, so beobachten wir, dass die Tiere auch kleine Futterstückchen einzeln wegtragen, um sie erst in Deckung zu verzehren. Sie maximieren mit diesem Verhalten zwar nicht die Energieaufnahmerate, minimieren aber das Prä-dationsrisiko, denn schließlich ist kaum etwas der eigenen Fitness so abträglich wie der frühzeitige Tod. Viele Aktivitäten können in Deckung durchgeführt werden, die Nahrungssuche aber meistens nicht, und so versuchen die Vögel oder Hörnchen zumindest, die Bearbeitung der Nahrung an eine geschützte Stelle zu verlegen. Die resultierende Strategie ist ein Kompromiss (trade-off) zwischen maximierter Nahrungsaufnahme, gemessen in Energie oder einer anderen currency und minimiertem Prädationsrisiko. Unter Freilandbedingungen ist also für die meisten Arten ein solcher Kompromiss die wirklich optimierte Strategie.

      Allerdings ist es oft nicht so einfach wie im geschilderten Beispiel, die verschiedenen Komponenten dieses Kompromisses zu erkennen und zu messen. Für viele Aspekte liegen aber mittlerweile Daten vor (Übersichten bei Lima M. & Dill 1990 und Lima S. L. 1998); Lima S. L. & Bednekoff (1999) sowie Brown J. S. & Kotler (2007) diskutierten sie im Licht der Theorie. Häufig haben nahrungssuchende Tiere die Wahl zwischen zwei Alternativen, der Suche an ergiebigen, aber gefährlichen Stellen und jener an weniger ergiebigen, aber auch weniger risikoreichen Stellen. Das Risiko ist auf profitablen Flächen oft deshalb größer, weil mit der höheren Dichte an Konsumenten auch Prädatoren angelockt werden. Ob nahrungssuchende Tiere nun das Risiko scheuen (risk-averse feeding) oder auf sich nehmen (risk-prone feeding), kann von verschiedenen fitnessrelevanten Faktoren abhängen; oft spielt der körperliche Zustand (Kondition) eine Rolle. Eher geschwächte oder hungrige Individuen sollten ein größeres Risiko auf sich nehmen als Individuen, die über genügend Vorräte an Fett oder Protein verfügen. Bei kleinen Tieren wie Kleinsäugern, Kolibris oder kleinen Singvögeln kann die Wahl der Strategie damit sogar im Tagesgang schwanken.

      Anpassungen einer Suchstrategie an die Prädationsgefahr können auf verschiedene Weise erfolgen, zum Beispiel durch zeitliche Verschiebungen der Nahrungssuche, durch (oftmals subtile) Änderungen in der Habitatnutzung, mittels Reduktion der Fortbewegung oder einfach durch erhöhte Wachsamkeit (Bednekoff 2007; Ferrari et al. 2009). Pinguine etwa vermeiden es, bei geringem Licht Nahrung zu suchen, obwohl sie das könnten (Ainley & Ballard 2012). Kleinsäuger nutzen hingegen geringe Lichtstärken aus: Rennmäuse (Gerbillus sp.) passen ihre Aktivitätsphasen nicht nur den Habi-tatstrukturen und der Nahrungsdichte, sondern auch dem Mondlicht an. Sie sind bei

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