Grund und Grenzen eines Marktwirtschaftsstrafrechts. Anja Nöckel

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Grund und Grenzen eines Marktwirtschaftsstrafrechts - Anja Nöckel Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht

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Strafrechts dabei von der gesellschaftlichen Entwicklung beeinflusst, so dass sie nicht nur im Rahmen des „klassischen Kernstrafrechts“ gestellt werden, sondern darüber hinaus stets aktuelle Bedeutung erlangen. So sind es auch und gerade die hochkomplexen Strukturen der Wirtschaftsordnung, die sowohl das Selbstverständnis als auch die Wahrnehmung des Strafrechts oftmals zweifelhaft und sein Potential zur Verhaltenssteuerung nicht selten fraglich erscheinen lassen.

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      Die Bildung des Begriffs eines Marktwirtschaftsstrafrechts mag befremdlich wirken, erfreut sich doch „das Wirtschaftsstrafrecht“ seit mehreren Jahrzehnten nicht nur wachsender gesellschaftlicher Bedeutung, sondern bildet auch den Bereich des Sanktionen auferlegenden Rechts, der wohl der stärksten Kritik unterworfen ist. Dabei werden oft am Einzelfall zunächst die richterliche Entscheidung, dann prozessuale Unzulänglichkeiten und letztlich grundlegende konzeptionelle Mängel im System des (Wirtschafts-)Strafrechts gerügt. Die entsprechenden Äußerungen erfolgen regelmäßig in Momenten großer öffentlicher Erregung und rein punktuell, weshalb es nach Kurzem zu einem Nachlassen des Entsetzens in der breiten Öffentlichkeit kommt. Bisweilen entsteht überdies der Eindruck, dass das Strafrecht Wirtschaftsstraffälle gern selbst derartig handhaben und allein der wirtschaftlichen Selbstregulierung überlassen würde. Abseits der oft unsachlichen medialen Diskussionen zeigt dies aber nur, wie schwer der Strafrechtswissenschaft ein angemessener Umgang mit dem Wirtschaftsstrafrecht fällt. Schwierigkeiten werden jedoch nicht erst in streitbaren Einzelfallentscheidungen, strafprozessualen Hindernissen, Problemen bei der Schaffung neuer Tatbestände oder der Diskussion um die Einordnung bestimmter Normen in das Strafgesetzbuch ersichtlich. Viel schwerwiegender, weil das Wirtschaftsstrafrecht erheblich lähmend, ist die noch immer bestehende und weitreichende Unklarheit seines dogmatischen Fundaments. Der Jahrzehnte währende Kampf um die Klärung des Begriffs selbst und der stete Versuch, dem Rechtsgutsbegriff Herr zu werden, machen letztlich nur deutlich, dass es die grundlegenden Überlegungen sind, die im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts zunächst zu Ende oder besser zu einem neuen Anfang geführt werden müssen.

      Teil 1 Einführung › II. Ziel der Untersuchung

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      Forderungen nach klaren gesetzlichen Regelungen, die eine eindeutige Unterscheidung von strafwürdigem und rechtswidrigem aber straflosem Verhalten ermöglichen, können nur dann erfüllt werden, wenn dem Wirtschaftsstrafrecht eine feste dogmatische Basis gegeben wird.

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      Bisher ist der strafrechtstheoretische Hintergrund des Wirtschaftsstrafrechts jedoch weitgehend ungeklärt, feste Prinzipien, welche zur Bestimmung der Strafwürdigkeit wirtschaftlichen Fehlverhaltens herangezogen werden, sind nicht vorhanden. Vielmehr erscheinen Urteilsbegründungen oft wie juristische Konstruktionen, welche ökonomische Fakten und die Dynamik wirtschaftlicher Abläufe weder er- noch anerkennen. Diese Fremdheit gegenüber dem Regelungsgegenstand führt zu einer zunehmenden Erosion des Strafrechts, das nicht selten als willkürlich und selektiv empfunden wird und in der Gesellschaft weder auf Verständnis noch genügende Akzeptanz trifft. Abseits aller speziellen materiellen und prozessualen Probleme, welche die Integration des Wirtschaftsstrafrechts in die vorhandene Dogmatik auslöste, stellt dieser Mangel an dogmatischer Festigkeit und Legitimation die größte Schwierigkeit im Umgang mit wirtschaftlichem Fehlverhalten dar. Das vielfache Hinterfragen der Legitimierbarkeit und Legitimation strafrechtlicher Reaktionen auf wirtschaftliches Fehlverhalten ist dabei auch Spiegel und Ausdruck der Herausforderungen, welche die äußerst heterogenen Sachverhalte und Verhaltensweisen, die vom (Sammel-)Begriff des wirtschaftlichen Fehlverhaltens erfasst werden, an das Strafrecht stellen. Ebenso deutlich ist aber auch, dass das bisherige Vorgehen mit den üblichen strafrechtlichen Kriterien und Denkschritten keine zufriedenstellende Lösung für derartige Herausforderungen bietet. Diese Ausgangslage schafft also Bedarf für eine Untersuchung alternativer Legitimationsmöglichkeiten des Wirtschaftsstrafrechts, wobei an den der Sozialen Marktwirtschaft zugrunde liegenden Prinzipien der Fairness und Chancengleichheit angesetzt wird. Da die Rechtsgutslehre allein nicht in der Lage ist, die Strafwürdigkeit wirtschaftlichen Fehlverhaltens zu begründen, wird mit dem Marktwirtschaftsstrafrecht die Begründungsmöglichkeit der dogmatischen Basis abseits des Rechtsgutsbegriffs im Kriterium der Regelverletzung gesucht. Gleichzeitig wird der Gegenstand, der von diesem Rechtsgebiet Regulierung erfahren soll, in den Mittelpunkt des Gedankengangs gestellt. Für das Marktwirtschaftsstrafrecht als Teilgebiet des Wirtschaftsstrafrechts ist es daher die Soziale Marktwirtschaft, die den Ausgangs- und Bezugspunkt aller Betrachtungen und Bewertungen zu bilden hat.

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      Ziel dieser Verknüpfung ist es, dem Wirtschaftsstrafrecht ein Fundament zu schaffen, das es ihm ermöglicht, seiner gesellschaftlichen Steuerungsfunktion als Ordnungsfaktor nachzukommen. Konsequenzen wird diese Orientierung an der zu regelnden Wirtschaftsordnung jedoch nicht nur für die Legitimation des Wirtschaftsstrafrechts haben, sondern ebenso für die Untersuchung seiner Funktion in der Gesellschaft sowie seine Begrenzung. Mit dem Marktwirtschaftsstrafrecht erfolgt der Entwurf eines Strafwürdigkeitsmodells, das gerade dort, wo die neuen wirtschaftlichen Entwicklungen und Verhaltensweisen an der Grenze von Moral und Anstand mit einem tradierten Verständnis des Wirtschaftsstrafrechts nicht überzeugend erfasst werden können, einen nicht vor einer Loslösung von obsoleten Dogmen scheuenden Umgang mit wirtschaftlichem Fehlverhalten ermöglicht. Die dazu erfolgende Einbettung des Wirtschaftsstrafrechts in die gegenwärtige Wirtschaftsordnung, das System der Sozialen Marktwirtschaft, soll dabei helfen, den materiellen Grund der strafrechtlichen Sanktionierung wirtschaftlichen Fehlverhaltens deutlich zu machen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf einen regelbasierten Wettbewerb zu lenken. Obwohl dazu immer wieder wirtschaftliche Bezüge hergestellt werden müssen, die für das Verständnis unerlässlich sind, wird in der gesamten Untersuchung stets das Strafrecht im Vordergrund stehen. Dabei soll es, anknüpfend an die Theorie des psychologischen Zwangs von Paul Johann Anselm von Feuerbach, vor allem um die negativ-generalpräventive Wirkung von gesetzlichen Strafdrohungen auf potentiell strafwürdig handelnde Wirtschaftssubjekte gehen. Feuerbachs generalpräventive Ideen lassen starke Bezüge zu ökonomischen Kosten-Nutzen-Kalkulationen erkennen, so dass eine Verbindung mit der Steuerung wirtschaftlichen Fehlverhaltens naheliegend erscheint. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Annahme, dass der ökonomisches Handeln prägende Maßstab der Kosten-Nutzen-Kalkulation auf wirtschaftliches Fehlverhalten übertragbar ist und die Entscheidung des potentiellen Wirtschaftsstraftäters über die gesetzliche Strafandrohung durch eine Erhöhung der Straftatkosten beeinflusst werden kann.

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      Da die Rechtfertigung strafrechtlichen Eingreifens untrennbar mit seinen gesellschaftlichen Aufgaben verknüpft ist, wird dabei deutlich werden, dass die Frage der Legitimierbarkeit stets mit der Verortung von Grenzen verbunden ist. Aufgezeigt wird aber auch, dass die Klärung der Grenzen des Strafrechts auch die Befassung mit seiner Legitimationsgrundlage erfordert. Die Verbindung des durch Aktualität geprägten Wirtschaftsstrafrechts mit einer gut 200 Jahre alten Straftheorie soll jedoch nicht erschöpfende rechtshistorische Ausführungen zum Gegenstand haben, sondern einzelne Grundzüge der psychologischen Zwangstheorie aufnehmen und für das Wirtschaftsstrafrecht aktualisieren.

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      Unumgänglich ist dabei nicht einfach nur das ursprüngliche Modell Feuerbachs zu übernehmen, sondern auch Kritik an seinem Konzept und Entwicklungen der Strafrechtstheorie seit seiner Schaffenszeit zu berücksichtigen. Dazu wird aufgezeigt, dass die Gedanken Feuerbachs durch ein entsprechendes Bewusstsein in einem aktuellen inhaltlichen Kontext für die Gegenwart in gewinnbringender Weise nutzbar gemacht werden können. Gleichwohl eröffnet der Versuch, ein ganzes Rechtsgebiet über ein rechtsgutsfernes Kriterium zu legitimieren, mehr Fragen, als im hier gegebenen Umfang beantwortet werden können. Das Ziel der Arbeit besteht daher ihrem Titel

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