BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil. Harm Peter Westermann
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Fall 23:
A hat seinen Gaming-Laptop erhalten. Auf den Geschmack neuster Technik gekommen, möchte er sich nun direkt auch einen neuen Fernseher und ein Dolby Surround System zulegen. Der Kauf des neuen Laptops hat jedoch bereits all seine Ersparnisse aufgebraucht. Sein Bruder B, dem die Gemeinheiten der Vergangenheit inzwischen leidtun, ist bereit, dem A ein zinsloses Darlehen zu gewähren. B möchte sein Geld aber am 23.12. zurückerhalten, um noch Weihnachtsgeschenke kaufen zu können. A, der nach seinem Kauf mit dem gewährten Darlehen nun doch zu Geld gekommen ist, fragt nun Anwältin C, ob er dem B das Geld auch schon Ende November zurückzahlen kann. Was wird C antworten?
Fall 24:
Gemüsehändlerin G bestellt am Mittwoch bei Großhändler S die für den Wochenbeginn vorgesehenen Waren. Wie üblich vereinbaren sie, dass diese in der Nacht von Sonntag auf Montag geliefert werden. Da S allerdings Lagerprobleme hat und gerne schon einige Kisten loswerden würde, fragt er sich, ob er nicht schon eher liefern darf, etwa am Freitag. G wendet ein, dass viele Waren dann schon vor Marktöffnung am Montag überreif seien oder gleich gänzlich verschimmeln würden. Darf S schon am Freitag liefern?
1. Fälligkeit und Erfüllbarkeit: Begriffe und Relevanz
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Wie auch sonst im Leben kommt es innerhalb von Schuldverhältnissen oft auf die Zeit an – im allgemeinen Schuldrecht vor allem auf die Leistungszeit. Für Schuldner und Gläubiger ist wichtig zu wissen, wann die jeweiligen Leistungspflichten erfüllt werden können und ab welchem Zeitpunkt sie erfüllt werden müssen. Mit „Leistungszeit“ sind also zwei Zeitpunkte umschrieben: Erstens der Zeitpunkt, ab dem der Gläubiger die Leistung verlangen kann (Fälligkeit). Zweitens der Zeitpunkt, ab dem der Schuldner die Leistung erbringen kann (Erfüllbarkeit).[1] Beide Zeitpunkte können zusammenfallen, sie müssen es aber nicht. In der Regel gilt: Wenn der Gläubiger die Leistung verlangen kann, darf sie der Schuldner auch erbringen.
279
Die Relevanz der Fälligkeit zeigt sich beispielsweise bei der Anwendung von §§ 323 und 281: Das Rücktrittsrecht des Gläubigers setzt ebenso wie sein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung voraus, dass der Schuldner eine fällige Pflicht verletzt hat. Die Erfüllbarkeit von Leistungspflichten ist schon deshalb wichtig, weil der Schuldner – etwa, wenn er verderbliche Waren schuldet – oft ein Interesse daran hat, die Ware „loszuwerden“. Die Erfüllbarkeit wird aber beispielsweise auch relevant, wenn der Schuldner die Schuld durch Aufrechnung zum Erlöschen bringen will. Das gelingt ihm nur, indem er mit einer erfüllbaren Forderung aufrechnet, § 387 („[…] und die ihm obliegende Leistung bewirken kann.“). Auch gerät der Gläubiger nur in Annahmeverzug (§§ 293 ff),[2] wenn die vom Schuldner angebotene Leistung schon erfüllbar ist.
280
Die Relevanz der Erfüllbarkeit zeigt sich in Fall 24. S hat ein Interesse, die Waren frühzeitig loszuwerden. Andererseits will G die Kisten nicht schon am Freitag entgegennehmen. Wenn S die Kisten am Freitag am Lager der G anbieten und G die Annahme verweigern würde, käme es für den Gläubigerverzug entscheidend auf die Erfüllbarkeit an: Nur, wenn S schon zur Leistung berechtigt ist, kann G durch die Nichtannahme der angebotenen Leistung in Gläubigerverzug geraten.
a) Parteivereinbarung
281
Für die Bestimmung der maßgeblichen Zeitpunkte kommt es vorrangig auf die Vereinbarung der Parteien an, die es unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls auszulegen gilt. Das ergibt sich für beide Absätze des § 271 aus dem Wortlaut des Gesetzes.
282
Die Zweifelsregel des § 271 Abs. 1 greift dem ausdrücklichen Wortlaut nach nur ein, wenn keine Leistungszeit bestimmt ist. Ein Beispiel bieten Vereinbarungen, denen zufolge der Schuldner erst nach Vorlage bestimmter Dokumente zahlen muss – etwa von Verladungsnachweisen, wenn Ware zu versenden ist. Dann tritt Fälligkeit erst mit Vorlage dieser Dokumente ein. Dahingehend sind regelmäßig Klauseln wie „Zahlung gegen Dokumente“ auszulegen, die im unternehmerischen Geschäftsverkehr häufig vorkommen.[3] Wenn die Parteien vereinbaren, dass die Fälligkeit einer Leistungspflicht über den nach dem Vertrag an sich nahe liegenden und üblichen Zeitpunkt hinausgeschoben wird, die Erfüllbarkeit aber unberührt bleibt, spricht man von Stundung.[4] Der Schuldner kann dann zwar vor dem vereinbarten Termin erfüllen, muss es aber nicht; er gerät beispielsweise vor dem vereinbarten Termin nicht in Verzug.
283
§ 271 Abs. 2 setzt die Bestimmung einer Leistungszeit voraus, greift aber in seinen Rechtsfolgen ebenfalls nur „im Zweifel“ ein. Auch insoweit sind also Parteivereinbarungen vorrangig zu beachten.[5] Wenn für die Lieferung von Möbeln ein Liefertermin vereinbart ist, können die Parteien beispielsweise vereinbaren, dass die Lieferung – anders als § 271 Abs. 2 „im Zweifel“ vorsieht – nicht vor diesem Termin erfolgen kann.
b) Gesetzliche Bestimmungen
284
Wenn sich aus der Parteivereinbarung nichts Abweichendes ergibt, werden die maßgeblichen Zeitpunkte für bestimmte Schuldverhältnisse von gesetzlichen Bestimmungen besonders geregelt. Diese Bestimmungen sind dispositiv,[6] so dass Parteivereinbarungen vorrangig gelten. So regelt etwa § 556b Abs. 1 die Fälligkeit der Miete, § 488 Abs. 3 S. 1 die Fälligkeit der Rückzahlung eines Darlehens oder § 608 Abs. 1 die Fälligkeit der Rückerstattung der überlassenen Sache beim Sachdarlehen.
c) Umstände
285
Wenn weder Vereinbarungen noch gesetzliche Bestimmungen die Leistungszeit regeln, kann sie sich auch aus den Umständen des Einzelfalls ergeben.[7] Beispielsweise kann die Erfüllbarkeit entgegen der Zweifelsregel des § 271 Abs. 2 hinausgeschoben sein, wenn der Gläubiger ein rechtlich geschütztes Interesse daran hat, die Leistung nicht vor Fälligkeit entgegennehmen zu müssen. Ein solches Interesse hat der BGH etwa zugunsten des Käufers von Einbauküchen anerkannt, wenn ein Liefertermin vereinbart ist:[8] Zuvor hat der Käufer oft keine Verwendung für die Küche und müsste sie häufig zu hohen Kosten zwischenlagern.
286
In Fall 24 haben G und S eine Leistungszeit vereinbart, nämlich Lieferung in der Nacht von Sonntag auf Montag. Erfüllbarkeit tritt nach der Zweifelsregel des § 271 Abs. 2 aber schon vor diesem Liefertermin ein, so dass S auch schon am Freitag liefern dürfte. G und S könnten insoweit aber konkludent