Revolutionäre Aufbrüche und intellektuelle Sehnsüchte. Alexander Gallus

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Revolutionäre Aufbrüche  und intellektuelle Sehnsüchte - Alexander Gallus

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im Übrigen ein Dauerthema der Weimarer Republik130 − in unzulässiger Weise an sich autorisierte Mittel physischen Zwangs eingesetzt. Zwischen Gewalt als „ordnungszerstörender und ordnungsstiftender Kraft“131 verlief nur ein schmaler Grat. Die These von der Präformierung eines späteren totalitären Gewaltregimes überzeugt aber mitnichten. Die sozialdemokratisch-bürgerliche Regierung zielte gerade nicht auf die Perpetuierung des zeitweisen Einsatzes irregulärer Kräfte, sondern vielmehr auf die zeitliche Begrenzung von Gewalt, auf die Kontrolle und die Überwindung des Ausnahmezustands. Von einem neuen Herrschaftsprinzip oder der Tendenz hin zu einem autoritären politischen System kann keine Rede sein.

      Die Novemberrevolution war ein schillerndes Geschöpf. Das zeigen auch und gerade die neuen gewaltgeschichtlichen Forschungen. Wer allerdings mit dickem Pinsel Kontinuitätslinien von der prekären Regierungsgewalt im Jahr 1919 hin zum Staatsterrorismus ab 1933 zeichnet, interpretiert die Weimarer Geschichte erstens in altbewährter Manier von ihrem Ende her. Zweitens werden besonders hohe, vor dem Hintergrund der realen Zeitläufte bisweilen konstruiert wirkende normative Maßstäbe – gerade mit Blick auf das Gewaltniveau – an diese Revolution angelegt. Drittens schließlich neigen die „Political-Violence“-Studien mit ihrer Tendenz zur dichten Beschreibung einzelner Gewaltexzesse samt der Annahme davon ausgehender prozesshafter Eigendynamiken dazu, politische und ideologische Prädispositionen und Motivlagen ebenso wie weitere Kontextbedingungen als Erklärungsangebote gering zu erachten.132 Dies führt im konkreten Fall dazu, den Zusammenbruch der staatlichen Autorität samt widerstreitender, multipler Herrschaftsansprüche als übergeordnetes Problem nicht ernst genug zu nehmen und Dynamiken durchbrechende Faktoren der Deeskalation unzureichend zu gewichten.

      Wer abschließend nochmals gebündelt auf die zwei hauptsächlichen Interpretationslinien und Narrative zur Deutung des Umbruchs von 1918/19 blickt, wird Leitformeln erkennen, die zur überfälligen Wiederbelebung der aktuellen Debatte um Revolution und Republikgründung beitragen, ohne dass es ihnen gelingen würde, die historische Situation in überzeugender Weise von ihrer leidigen Ambivalenz zu befreien. Aus der vertrackten Situation 1918/19 lässt sich weder ein Lernbeispiel für die deutsche Demokratiegeschichte generieren noch eines des gewaltgeschichtlichen Abgrundes in die Diktatur. Die Vieldeutigkeit und Janusköpfigkeit der Ausgangslage zwischen Krieg, Nachkrieg, Revolution und Republikgründung machen es zu einer nahezu unlösbaren Aufgabe, daran eine überzeugende, die Geschichte glattziehende Meistererzählung zu knüpfen.

      Der verheißungsvolle Gedanke der Demokratie konkurrierte nach 1918 schon bald mit extremistischen Ordnungsmodellen, der Wunsch nach parlamentarischen Aushandlungsprozessen mit politischer Gewalt auf den Straßen, das Freiheits- und Partizipationsstreben mit dem Bedürfnis nach autoritärer Führung in einer bedrohten Ordnung, die Erfahrung eines politischen Systemwechsels mit utopisch anmutenden Erwartungen gegenüber irdischen Heilswelten. Der historische Ort der Revolution von 1918/19 ist daher gerade in seiner schwierigen Koordinatenbestimmung und Zukunftsoffenheit zu erkennen. Es lassen sich in exemplarischer Weise die politischen Gestaltungskräfte, die Hoffnungen und Ängste einer Gesellschaft studieren, die sich mitten in einer Krise befand, deren Ausgang sie nicht kannte.133

Rechte Mythen und Verschwörungstheorien

       3.

       Geschichtsmär als Integrationsideologie

      Die Erfindung und Wirkung der Dolchstoßthese

      Den Reichstag betrat Paul von Hindenburg erstmals am 18. November 1919. Als Zeuge vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Klärung der Kriegsschuldfrage tat der vom Charisma eines Ersatzkaisers umwehte Feldmarschall seine Sicht auf den Ausgang des Ersten Weltkriegs kund. Dies war jener Moment, als die Dolchstoßlegende gleichsam in Bronze gegossen wurde. Dahinter stand die Behauptung, das deutsche Heer sei unbesiegt geblieben und die Niederlage von 1918 gehe letztlich auf Kosten der Heimat, die der stolzen Armee und ihrer Führung einen Dolch in den Rücken gestoßen habe.

      „Wo die Schuld liegt, ist klar erwiesen“, gab Hindenburg während seines in Absprache mit Erich Ludendorff und dem deutschnationalen Politiker Karl Helfferich inszenierten Auftritts zu Protokoll. Und er ergänzte: „Ein englischer General sagte mit Recht: ‚Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden‘ […]. Bedurfte es noch eines Beweises, so liegt er in dem angeführten Ausspruch des englischen Generals und in dem maßlosen Staunen unserer Feinde über ihren Sieg.“1 Durch seine Aussage besiegelte Hindenburg – mit der gesamten Autorität des „Helden von Tannenberg“ und in triumphaler Pose – die These von der ebenso planmäßigen wie zielgerichteten Sabotage seiner bis zuletzt kampfbereiten Truppen von der Heimat aus.

      Die Schuld schob er dabei nicht dem Volk an sich zu, sondern jenen in Parteien und Gewerkschaften organisierten Kräften, die gerade jene für Hindenburg so wichtige „Homogenität des Volkskörpers“ zu zersetzen suchten, so die Worte seines Biografen Wolfram Pyta. Dieses „holistische Politikverständnis“ hatte seine – vermeintliche – Sternstunde bei Kriegsbeginn erlebt, als der „Geist von 1914“ im August jenes Jahres den gesamten Zusammenhalt und den Willen eines gemeinschaftlich zusammengeschmiedeten Volkes zu zeigen schien.2 Vier Jahre später war davon nur noch wenig zu spüren: in Hindenburgs Sichtweise aber nicht deswegen, weil der Krieg seinen Tribut verlangte und das Militär des Deutschen Reiches sich der personellen und materiellen Übermacht der Entente spätestens ab dem Eintritt der Vereinigten Staaten 1917 in den Krieg nicht mehr gewachsen zeigte, sondern weil neu erstarkende politische Kräfte in der Heimat dem „hinterlistigen Speerwurf des grimmigen Hagen“ gleich die mit „Siegfried“ in eins gesetzte „ermattete Front“ von hinten durchbohrte.

      So formulierte es Hindenburg im Rekurs auf die Nibelungensage 1920 in seinen Erinnerungen Aus meinem Leben.3 Zu dieser Zeit war die Rede vom Dolchstoß bereits in der Alltagssprache geläufig. Im Juni 1919, als das Thema angesichts der Pariser Friedensverhandlungen hochkochte, klagte die linksintellektuelle Weltbühne über das unerträgliche, aber allgegenwärtige „Geplärr von dem unbesiegten Heer, das hinterrücks erdolcht wurde“.4 Fast genau ein Jahr vor Hindenburgs denkwürdigem Auftritt im Untersuchungsausschuss war das so einprägsame Bild vom Dolchstoß erstmals in der Morgenausgabe der Neuen Zürcher Zeitung vom 17. Dezember 1918 aufgetaucht. Noch am selben Tag griff die nationalkonservative, antirepublikanische Deutsche Tageszeitung diesen Bericht auf. In der Tat fand sich in der angesehenen Schweizer Zeitung der von Hindenburg als Kronzeuge ins Feld geführte englische General Sir Frederick Maurice mit seiner Dolchstoß-Formulierung wiedergegeben. So sehr sich Maurice, als er davon erfuhr, gegen die Instrumentalisierung seiner Person wehrte und bestritt, jemals derart argumentiert zu haben, war doch ein hartnäckiges Gerücht in die Welt gesetzt. Quasi durch einen schweizerisch-britischen Filter gespült, beanspruchte es Glaubwürdigkeit.5

      Andere Gründe sind indes wichtiger, um erklären zu helfen, weshalb die These vom Dolchstoß nicht von vornherein als die dreiste Lüge entlarvt wurde, die sie war. Mehreres kam zusammen, um das Dolchstoßargument plausibel erscheinen zu lassen. An erster Stelle ist der Überraschungs- oder Schockeffekt zu nennen, den die Mitteilung der Niederlage bei den meisten Deutschen im Frühherbst 1918 auslöste. Der Sieg im Osten mit dem harten Frieden von Brest-Litowsk gegenüber Sowjetrussland, die Frühjahrsoffensive im Westen, eine überzogene Siegpropaganda und die Tatsache eines Deutschen Reiches (fast) ohne fremde Truppen auf dem eigenen Territorium ließen die Erwartungen gerade in der Heimat nochmals steigen, um dann herb enttäuscht zu werden. An die Stelle hochtrabender Hoffnungen trat ein Gefühl von Demütigung und Unsicherheit. Um der Verschwörungstheorie den Nährboden zu bereiten, kam Weiteres hinzu: verschiedene Streiks angesichts einer zunehmend prekären Versorgungssituation ab dem April 1917 mit einem Höhepunkt im Januar 1918 und die auf einen Verständigungsfrieden zielende, von SPD, Zentrum und Fortschrittlicher Volkspartei gestützte Resolution des Deutschen Reichstags vom Juli

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