Unter Der Sommersonne. Manu Bodin
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Franck hatte ein ähnliches Zögern wie beim ersten Versuch verspürt. Sie hatten sich wieder auf den Weg gemacht… Was war los? Franck spürte, dass Svetlana nur noch auf seine kühne Initiative wartete. Worauf konnte sie also hoffen? Er hatte zwei perfekte Gelegenheiten verstreichen lassen. Die dritte wäre die letzte und er musste alles aufbieten. Andernfalls konnte er der schönen Svetlana Lebewohl sagen: sie würde nichts mehr von diesem Versager hören wollen.
Alles an dieser jungen Frau bezauberte ihn: ihr Äußeres, ihr Benehmen, ihre Persönlichkeit. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart wohl, weil er Vertrauen zu ihr gefasst hatte. Wovor hatte er also Angst? Franck hatte gerade beschlossen, dass dieser Kuss im letzten Augenblick stattfinden sollte, damit ihm jämmerliche Versuche erspart blieben, die er ohne es zu wollen in den Sand setzen würde. Nach dem Abendessen und vor allem nachdem er etwas getrunken hatte, müsste sich sein Selbstvertrauen stärker bemerkbar machen.
Nach einer Weile war ein indisches Restaurant vor ihnen aufgetaucht. Die angeschlagenen Preise erwiesen sich als sehr vorteilhaft für Francks Geldbeutel. Svetlana schien allerdings von dem Gedanken, dort zu essen nicht sehr angetan zu sein. Außerdem wirkte der Ort wenig romantisch. Sie waren weiter geschlendert, bis sie zu einer sehr viel belebteren Kreuzung kamen. Um den Platz herum gab es mehrere Cafés und Restaurants. Das erste, dass sie aufgesucht hatten, schloss gerade die Türen für die Nacht. Die Wirtin war untröstlich. Sie hatten die Straße überquert, um in das Café auf der gegenüberliegenden Seite zu gehen. Die Fassade sah nicht sehr vertrauenserweckend aus, aber im Inneren war es sehr edel. Sogar etwas zu edel… Franck war klar, dass die Rechnung gesalzen sein würde. Egal! Die Frau in seiner Begleitung war jede Ausgabe wert. Er hatte nicht vor, sie sofort nach einem kurzen Abend zu bespringen. Nein! Er hatte sich vorgenommen, sie zu erobern und sie zu seiner nächsten Freundin zu machen.
Eine Kellnerin hatte sie in einer ruhigen und gemütlichen Ecke untergebracht. Um den Tisch standen zwei Lederbänke. Sie hatten sich unterhalten, bestellt, gegessen und getrunken. Das Verführungsspiel erreichte seinen Höhepunkt: Finger, die einander suchten, freudiges Lächeln, das auf strahlende Blicke folgte, klopfende Herzen, fesselnde Gespräche. Der Zauber entfaltete sich nach allen Regeln der Kunst.
Nachdem sie die horrende Rechnung bezahlt hatten, hatten sie sich auf die Suche nach einer Metro-Station gemacht. Svetlana wohnte in Montparnasse. Deswegen hatten sie die gleiche Linie genommen. Dadurch hatte Franck die Gelegenheit bekommen, sie bis nach Hause begleiten zu können.
Svetlana lebte in einem Wohnheim für junge Arbeitnehmerinnen. Das Zimmer war winzig. Die Miete war zwar für ein einzelnes Zimmer hoch, man konnte sich aber der Illusion hingeben, dass sie für diese Stadt akzeptabel war. Vor dem Tor des Gebäudes ergriff Franck als erster das Wort: „Ich habe einen sehr schönen Tag verbracht und ich…“
Er hatte keine Zeit den Satz zu beenden da streiften sich schon ihre Lippen, stießen aufeinander, drückten sich ein. Sie hatten sich gegenseitig angezogen. Genau in diesem Augenblick war eine Situation entstanden, die die kommenden Tage auf den Kopf stellen würde.
Ihre Zungen hatten Gefallen aneinander gefunden. Speichel wechselte den Besitzer. Ihre Körper waren miteinander verschmolzen. Mit diesem Kuss wurde sanft und genussvoll jede Menge Zärtlichkeit ausgetauscht, die sich in Feingefühl mit einer herben Note verwandelte. Nachdem sie sich so sehr begehrt hatten, war dieser Moment wie eine Erlösung für sie gewesen.
Svetlana hatte ihm mehrfach gesagt, dass sie reingehen müsste. Unter der Wochen wurden die Türen um ein Uhr morgens vom Hausmeister abgeschlossen. Am Wochenende blieben sie bis zwei Uhr geöffnet und sie näherten sich dieser Uhrzeit. Franck wollte sie nicht loslassen. Svetlana wollte nicht zu sich raufgehen. Der Augenblick des Glücks zog sich in die Länge.
Bevor sich ihre Arme endgültig entknoteten und ihre Lippen sich endgültig voneinander lösten, hatte Svetlana Franck gefragt, wann sie sich wiedersehen könnten.
Am nächsten Tag wollte sie abreisen, um sich Brüssel anzusehen. Sie würde erst am Dienstagabend wiederkommen. Da ihr Zug erst ziemlich spät abfahren würde, hatte Franck ihr vorgeschlagen, sie zum Bahnhof zu begleiten. Er würde sie hier abholen, sobald er mit seinem Tagwerk fertig wäre. Svetlanas Augen hatten an Stelle ihres Mundes geantwortet und sie hatte gelächelt, bevor sie das Treffen am nächsten Tag mit Worten bestätigte. Sie hatten sich ein letztes Mal geküsst.
Franck würde seinerseits für die Dauer von drei Wochen einen Gelegenheitsjob als Concierge und Wachmann in einem Wohnhaus antreten. Es handelte sich hierbei um eine Arbeit, die ihm keinerlei Befriedigung verschaffte. Dreck wegmachen und Mülltonnen rausstellen ermöglichte ihm nicht, sich so zu entfalten, wie er das wollte. Nur die Bezahlung erschien, dank einer zusätzlichen Prämienzahlung zum Vertragsende einigermaßen anständig. Diese wog den Vorteil, den ein festangestellter Hausmeister hatte auf, der darin bestand, dass er bei seiner Tätigkeit über eine vergünstigte, ja beinahe kostenlose Dienstwohnung verfügte. Dieses Privileg konnte sich im Herzen von Paris und bei einigen Wohnhäusern als Luxus herausstellen; eine Gunst, die anständige Arbeitgeber ihren Angestellten erwiesen, angesichts der astronomischen Höhe der Mieten in dieser gentrifizierten Stadt. Ein nicht zu leugnender Anreiz für manch einen festangestellten Concierge.
Ab jetzt gab es diesen Bonus aber nicht mehr. Er war von einer Regierung abgeschafft worden, die neue Gesetzestexte verabschiedet hatte und die meinte, dass diese Menschen – diese Aushilfskräfte, diese Gelegenheitsarbeiter – zu viel Geld verdienten, was sie erst recht in eine wirtschaftliche Unsicherheit stürzte. Seither gab es keine finanzielle Motivation mehr. Was fortbestand, war eine Art von Ekel: einerseits gegenüber der Regierung, die das Proletariat unterdrückte und nur im Interesse der höchsten Finanzwelt handelte, von der sie selber vollständig abhängig war – fast wie freiwillige Sklaven – und andererseits gegenüber der Arbeit, sobald diese im Widerspruch zur Erfüllung unserer wichtigsten Wünsche stand. Mit ihrer exzessiven Sparpolitik haben unsere Politiker eine Denkweise legitimiert und verankert, die dazu führt, dass sich ungesunde Praktiken entwickeln können. Ganz zu schweigen von der Entmutigung eines Arbeitslosen angesichts einer Arbeit, deren Bezahlung sich auf bedauerliche Weise dem Mindestlohn annähert. Wer konnte in Paris mit einem so niedrigen Lohn von ungefähr tausend Euro netto im Monat auskommen? Die Monatsmiete für ein anständiges 1-Zimmer-Appartement beträgt mindestens 700 Euro. Meistens liegt sie um die 800 Euro. Die Rechnung ist einfach und schnell gemacht. Ein erbärmliches Einkommen kann kein ehrliches Dasein ermöglichen. So ein Einkommen sichert gerade mal das Überleben.
Das Leben eines Menschen bedeutet nicht viel. Das einzige was zählt, ist die Anhäufung von Reichtümern, von Privilegien… Wenn der kleine Mann auf der Straße landet oder verhungert, hat das keine große Bedeutung… Wenn man ein Nichts ist, tut man gut daran schnell wieder zu Nichts zu werden… Politiker sind die Freunde der Reichen. Hand in Hand verteidigen sie nicht die Interessen des Volkes. Sie sind gerade einmal in der Lage lange und schöne Vorträge zu halten, um die Massen noch mehr einzulullen, die anfangen könnte sich zu rühren, sich zu empören oder sogar den Wunsch haben könnte zu revoltieren. Im besten Fall schaffen sie es, ein wenig Verachtung für den Pöbel aufzubringen. Selten mehr. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt neue Waffenverträge auszuhandeln oder sich an neuen Kriegen zu beteiligen. Die Bürger schreien vielstimmig „Stopp!“ Sie hören nicht hin und ignorieren das aufgebrachte Volk. Die Kluft zwischen der Regierung, die den Kontakt zur sozialen Realität verloren hat und der Bevölkerung