Exit Covid!. Hubert Niedermayr

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Exit Covid! - Hubert Niedermayr

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ist diskutiert worden, ob diese Verengung des öffentlichen Diskurses auf die Strukturalität unserer sozialen Netzwerke zurückzuführen ist. Facebook, Instagram und andere sind in ihren Algorithmen bekanntlich auf maximale Zuspitzung programmiert. Likes bekommt, was polarisiert, Klicks, was agitiert. Die im System verankerten Marker erkennen sofort, worauf die Gemeinschaft anspringt. Diese Beiträge werden dann gerade auf den Profilen, die nach den algorithmischen Erkenntnissen daran interessiert sein könnten, vorgeschlagen. „Das könnte dich interessieren“ ist dann schon der Wink mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl, der Nutzer*innen zum Klick anregt. Dieser Mechanismus potenziert sich mit atemberaubender Geschwindigkeit – und führt zu einer Situation, die wir alle als Filterblase kennen.

      Der Internetexperte Eli Pariser hat die Methode bereits 2011 in seinem Standardwerk Filter Bubble. Wie wir im Internet entmündigt werden (München 2012) dargelegt. Webseiten sind wissbegierige Schwämme: Sie saugen alles an Information auf, was verfügbar ist. Gerade soziale Netzwerke haben es darin zu besonderer Meisterschaft gebracht. Unvorstellbare Datenmengen sind an verschiedensten Speicherorten gelagert und stehen jederzeit für Auswertungszwecke zur Verfügung. Gerade persönliche Daten sind es, die das besondere Interesse dieser Netzwerke wecken. Bestellungen auf eBay oder Amazon, Klicks und Likes auf den Plattformen selbst und überhaupt der Browserverlauf erlauben es, eine präzise Einschätzung der Person vorzunehmen. Vorlieben, Interessen, ja selbst sexuelle Ausrichtung und politische Einstellung lassen sich aus diesem so überwältigend erscheinenden Datenstrom herausfiltern. Sogar Voraussagen über konkretes persönliches Verhalten können auf dieser Basis mit hoher Treffergenauigkeit getroffen werden.

      Seit der Brexit-Kampagne und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten 2016 und dem darin verankerten Skandal um Cambridge Analytica 2017 haben sich die Methoden noch verfeinert. Soziale Netzwerke sind rechtlich weitestgehend nicht reguliert. Entsprechende Initiativen werden zwar oft angekündigt, können jedoch meistens kaum tatsächliche Wirkung entfalten. Auch die EU-Datenschutz-Grundverordnung ist großteils ein zahnloser Tiger.

      Um die Fäden zusammenzuführen: Das Netz weiß mehr über andere Personen als wir. Vielleicht weiß es sogar mehr von uns, als wir es selbst tun. Unsere bisherigen Netzaktivitäten erlauben mit hoher Treffergenauigkeit unsere Vorlieben, Neigungen und Einstellungen, ja unsere Weltsicht zu erkennen. Soziale Netzwerke bündeln dies, und das hat eine logische Folge, die wir leider nur selten erkennen: Wir leben in einer elektronischen Echoblase. Wir bekommen nur zu sehen, was unseren Neigungen entspricht. Uns wird nur vorgeschlagen, was wir ohnedies richtig finden – und der Rest wird ausgeblendet.

      Menschen, die Covid-19 als Gefahr sehen, vielleicht Bekannte und Familienmitglieder erkranken oder sogar sterben gesehen haben, werden sich durch die vom Netzwerk generierte Umgebung bestätigt fühlen. Postings, die vor den Gefahren verfrühter Lockerungen und Nachlässigkeiten warnen, festigen die eigene Auffassung. Leugnende oder relativierende Meinungen dringen hier nur als bizarre Verfremdungen durch: Hundertfach werden abfotografierte Posts oder Kommentare von Andersgläubigen geteilt, an denen die Aufklärung der letzten 250 Jahre völlig spurlos vorbeigegangen zu sein scheint; feixend werden diese lächerlich gemacht und ihnen jegliche Intelligenz abgesprochen.

      Die Antipod*innen sind nun gewiss nicht weniger zimperlich, im Gegenteil: „Schlafschafe“, so deren Synonym für verantwortungsbewusste Mitbürger*innen, sind ganz einfach noch nicht so weit, die wahre Struktur der modernen Welt zu durchschauen, sie „checken‘s einfach nicht“. Flankiert von (ehemaligen) Wissenschaftler*innen, Ärzt*innen und selbst ernannten Profis will man die Mär von der Pandemie als solche entlarven. Bill Gates, George Soros, aber auch Hillary Clinton, die Weltbank, Reptilienmonster wären die Drahtzieher*innen.6 Auch die hässliche, aber noch immer quicklebendige Fratze der „jüdischen Weltverschwörung“ erhebt wieder ihr schändliches Haupt in gewissen Kreisen.7 Medien, Wissenschaft und Tatsachen gelten in diesem Metier nur, wenn sie zur eigenen Weltsicht passen. Vorwiegend sind dies „alternative Fakten“, die jedoch nichts mit der Welt, in der wir tatsächlich leben, zu tun haben müssen.8

      Diese Ausgangssituation macht es für Regierungen, Gesundheitsbehörden und auch jeden Menschen selbst äußerst schwierig, sich eine unvoreingenommene Meinung bilden zu können. Von allen Seiten strömen Informationen auf uns ein, die wir in aller Regel kaum den Attributen richtig und falsch zuweisen können. Letztlich sind wir hier zum Großteil auf die Verlässlichkeit der Quellen angewiesen; kaum einer der hochkomplexen Inhalte kann von uns selbst auf Plausibilität, geschweige denn Richtigkeit überprüft werden. Wir alle haben wohl keine tiefergehenden akademischen infektiologischen oder virologischen Kenntnisse, um uns selbst ein verlässliches Bild machen können.

      Dennoch plädiere ich dafür, sich des eigenen Verstandes zu besinnen. Die moderne Informationsgesellschaft überflutet uns mit allerlei Daten; oft hat es den Anschein, als wäre es unmöglich, diese sinnvoll zu verarbeiten. Den Begriff des Informationsüberflusses führen wir in unser aller Munde.9

      Aber kann es wirklich eine Option sein, die Hände in den Schoß zu legen? Sich damit abzufinden, dass wir selbst richtig von falsch nicht mehr unterscheiden können? Konsterniert, aber achselzuckend zu schließen, dass die moderne Welt eben nun einmal so sei? Dem setze ich ein klares Nein entgegen. Gerade in Zeiten der schwersten Gesundheitskrise auf dem europäischen Kontinent in den letzten hundert Jahren ist es wichtiger denn je, das eigene geistige Vermögen zu aktivieren. Ich will zeigen, dass es die ureigenste ethische Verantwortung einer jeden Person ist, sich kein intellektuelles Durchhängen zu erlauben. Im Gegenteil: Es ist unser aller Auftrag, Informationen zu selektieren, Wertigkeiten festzusetzen und danach zu entscheiden.

      Das setzt voraus, dass wir Zeit und geistige Energie investieren. Dessen bin ich mir bewusst. Es kann auch sein, dass uns das ängstigt, wenn wir die wahre Dimension der gegebenen Bedrohungslage erkennen. So aber und nicht anders funktioniert Leben! Wir sind seit Jahrtausenden darauf angewiesen, Entscheidungen zu treffen. Auch wenn uns teilweise die Genetik anderes sagen will: Wir können unser Leben selbst bestimmen. Unsere Entscheidungen sind nicht von den Genen, von der Umwelt oder einer sonstigen externen Stelle vorgegeben.

      Diese Fähigkeit steht uns nicht gratis zur Verfügung. Wir können Reize unserer Umwelt mit allen Sinnen aufnehmen, diese für uns angemessen aufbereiten, und konstituieren so unser Weltbild. Dieses ist letztlich unser Welterklärungsmodell. Wir lesen die Umwelt schließlich so, wie sie in unser Weltbild passt. Dessen müssen wir uns bewusst sein und danach handeln. Im Gegenzug müssen wir uns dieser Verantwortung würdig erweisen. Leben bedeutet: informieren, beurteilen und entscheiden.

      Die Welt in Zeiten von Covid-19 ist hier keine Ausnahme. Im Gegenteil: Unser aller Leben ist davon betroffen! Wenn wir uns infizieren, können wir erkranken. Einzelne von uns schwer, manche können sterben. Dies passiert auch tagtäglich überall auf der Welt. Eine erste Entscheidung ist es daher, die Möglichkeit, dass ein solches Krankheitsbild tatsächlich existiert, überhaupt geistig zuzulassen. Dann stellt sich die Frage: Wie kann ich mich dagegen wappnen? Handhygiene, Abstand und vor allem das Tragen von Masken haben sich als äußerst wirkungsvoll herausgestellt. Unabhängig von einer allfälligen rechtlichen Verpflichtung dazu, verantwortungsvoll zu fragen – kann ich mir das überhaupt vorstellen? Lasse ich mir meine individuelle Freiheit durch eine solche Vorgabe überhaupt einschränken? Oder boykottiere ich derartige nach Kräften – und nehme dadurch eine weitere Verbreitung, endlose Lockdowns, ja sogar meine eigene Infektion in Kauf?

      Schon diese Entscheidungen sind im Spannungsfeld individueller Freiheit und gesellschaftlicher Verantwortung angesiedelt. Das für mich, nach meinen Maßstäben, Beste muss nicht dasjenige sein, das für den sozialen Umkreis optimal ist. Mich kann etwa das Tragen einer FFP2-Maske stören – meiner Familie, mit der ich einige Stunden am Tag in geschlossenen Räumen verbringe, jedoch die Gefahr einer Ansteckung ersparen. Ganz zu schweigen von der gesamt-gesellschaftlichen Verankerung: Jede einzelne Infektion ist die Basis für eine weitere Verbreitung des Virus, jede Einzelne schafft die Grundlage für Mutationen. Jede Einzelne verstärkt daher das Risiko, selbst (nochmals) zu erkranken und auch

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