Bürgergesellschaft heute. Группа авторов
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Ganz anders verhält es sich mit dem Extremismus. Extremist ist, wer – aus welchen Gründen und wo auch immer – auf die Beseitigung einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinarbeitet. Diese ist, so die berühmte Formulierung des deutschen Bundesverfassungsgerichts von 1952, eine Ordnung, „die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“. Wer diese Ordnung beseitigen will, ist – um der Menschenwürde und um der Freiheit willen – seinerseits zu bekämpfen, und zwar nicht nur bis hin zum Verbot seiner politischen Organisationen oder bis zur Verwirkung seiner Grundrechte, sondern nötigenfalls auch darüber hinaus, nämlich gar mit Waffengewalt, wie es der Art. 20 (4) des deutschen Grundgesetzes ausdrücklich zulässt. Wer hingegen nicht die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen will, sondern bloß einzelne der Vorschriften oder Institutionen eines freiheitlichen und demokratischen Staates abschaffen will, der ist einfach ein Andersdenkender und allenfalls ein Radikaler, der sich verrannt hat. Einem solchen darf man nur mit den normalen Mitteln friedlicher politischer Auseinandersetzung kommen. Diesbezüglich stellte das Bundesverfassungsgericht 1956 in seinem Urteil zum Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands sogar ausdrücklich fest: Eine Partei, und erst recht eine politische Position, „ist nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie einzelne Bestimmungen, ja ganze Institutionen des Grundgesetzes ablehnt. Sie muss vielmehr die obersten Werte der Verfassungsordnung verwerfen, die elementaren Verfassungsgrundsätze, die die Verfassungsordnung zu einer freiheitlichen demokratischen machen, Grundsätze, über die sich mindestens alle Parteien einig sein müssen, wenn dieser Typus der Demokratie überhaupt sinnvoll funktionieren soll. […] [Eine Partei oder politische Position ist] auch nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie diese obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht anerkennt, sie ablehnt, ihnen andere entgegensetzt. Es muss vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen; sie muss planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen, im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Das bedeutet, dass der freiheitlich-demokratische Staat gegen Parteien mit einer ihm feindlichen Zielrichtung nicht von sich aus vorgeht; er verhält sich vielmehr defensiv, er wehrt lediglich Angriffe auf seine Grundordnung ab. Schon diese gesetzliche Konstruktion des Tatbestandes schließt einen Missbrauch der Bestimmung im Dienste eifernder Verfolgung unbequemer Oppositionsparteien aus“.
Es ist ganz gleichgültig für die Feststellung eines an den oben genannten Kriterien zu bemessenden Extremismus, aus welchen Gründen oder mit welcher politischen Zielrichtung eine Person oder eine Personengruppe die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft. Es dient allerdings der wünschenswerten Information über diese Gründe, wenn man – beispielsweise – vom „Rechtsextremismus“ bzw. „Linksextremismus“, vom „islamistischen Extremismus“ oder von einem „Extremismus der Mitte“ spricht. Nie aber ersetzt die Verwendung eines solchen Begriffs die Überprüfung, ob die als Extremisten Bezeichneten wirklich die – an klaren Kriterien erkenntliche – freiheitliche demokratische Grundordnung angreifen und beseitigen wollen. Für die Einschätzung des ethischen und politischen Unwerts solcher Gegnerschaft ist es im Übrigen ganz unerheblich, woher die Beweggründe für Extremismus kommen: ob aus der Mitte der Gesellschaft, ob aus der Oberschicht oder Unterschicht, ob vom linken, vom rechten oder von einem sonstigen Rand des politischen Spektrums. Denn Extremismus greift immer alles das an, was eine pluralistische Demokratie möglich und als Ausgestaltung politischer Ordnung so vorteilhaft macht.
5. Aktuelle, für Bürgergesellschaften gefährliche Trends
Derzeit ist es leider keine Selbstverständlichkeit mehr, dass wir offenen politischen Streit nicht nur rechtlich zulassen, sondern obendrein gewährleisten, dass jeder seine Meinung in jeder Situation auch frei von Angst oder von auf Gewaltandrohung beruhenden Diskursstörungen vertreten kann. Es gibt nämlich wieder – wie schon so oft in der Geschichte – ziemlich strikte Gebote und Verbote politischen Denkens und Sprechens. Sie werden durch Tabubildung, Selbst- oder Fremdzensur sowie die Ausgrenzung und soziale Ächtung von Abweichlern gesichert. Entlang so durchgesetzter Kriterien politischer Korrektheit finden sich dann auch immer wieder Ansatzpunkte für politische Gewaltanwendung. Deren Formen beginnen unscheinbar, erreichen aber bald schon schlimme Eskalationsstufen. Die schrecken umso mehr, als sich politische Gewalt oft aus fraglos guten Absichten motiviert.
Es ist ein Ausgangspunkt vieler Erscheinungsformen freiheitsgefährdender Gewalt, dass man auf politische Positionen, die man nicht mag, mit einer Art „politischer Spinnenfurcht“ reagiert. Angeekelt und – echt oder scheinbar – angstgetrieben wird dann mit Worten, mit Trillerpfeifen oder mit anderen Mitteln gegen den Störenfried vorgegangen, obwohl dieser meist nur lästig ist, nicht aber wirklich gefährlich. Motiviert werden viele zu solchem Verhalten, wenn sie meinen, eine geschichtlich bekannte schlimme Lage zöge neu herauf, weshalb man sich engagiert ans „Wehret den Anfängen“ machen müsse. Wann immer ein Andersdenkender in einen auch noch so vagen Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus gebracht werden kann, entfaltet sich diese Reaktion besonders leicht. Dann entscheidet man sich meist nicht mehr für Kommunikation, sondern für Ausgrenzungspraktiken, die ihrerseits manche subtilen, manche sehr groben Techniken der Gewaltanwendung nutzen.
Es beginnen die für eine Ausgrenzung von Andersdenkenden verwendeten Verfahren mit dem eigenen Verzicht darauf, sein persönliches Denken infrage zu stellen und jene Zusammenhänge überhaupt nachvollziehen zu wollen, die dem Andersdenkenden wichtig sind. Weiter geht man mit solcher Ausgrenzung, wenn es als Zeichen besonderer Sachkompetenz gilt, alles das „wegerklären“ zu können, was dem Auszugrenzenden für seine politischen Positionen überhaupt Anlass gibt. Dann kann man sich etwa über „offensichtlich unbegründete“ Ängste lustig machen oder diese als „bloß vorgeschoben“ ausgeben – und die „eigentlichen Gründe“ in zweckgerecht düsteren Farben ausmalen. Noch mehr ist erreicht, wenn dem Gegner wichtige Begriffe weggenommen sind, oder wenn zumindest deren öffentlicher Gebrauch durch eine passende Ziehung von „Grenzen des Sagbaren“ unterbunden oder leicht skandalisierbar geworden ist. Dann nämlich lassen sich jene Unterscheidungen und Bewertungen, auf die es dem Andersdenkenden ankommt, nur noch gegen unmittelbar erhobenen Widerspruch vortragen – und setzt den Gegner allein schon seine Wortwahl ins Unrecht.
Die nächste Stufe des Ausgrenzens ist erreicht, wenn man seinem Gegner Etiketten anheften kann, von denen „ein jeder weiß“, dass sie jemanden wirklich als einen „schlechten Menschen“ ausweisen. Am besten beginnt man mit dessen Einschätzung als „notorischer Querulant“ oder als „Ewiggestriger“. In Deutschland macht es sich bei einer solchen „strategischen Kontextbildung“ besonders gut, wenn man jemanden als „Rechtspopulist“, als „Faschist“ oder – neuerdings populär – als „Rassist“ ausgeben kann. Und falls am Auszugrenzenden allzu wenig direkt erkennbar Übles auffällt, hilft meist die Rede vom „Extremismus der Mitte“, den der Auszugrenzende verkörpere. Außerdem ist es auf dem Weg zu nachhaltiger Ausgrenzung besonders nützlich, wenn man den Auszugrenzenden als die personifizierte Erscheinungsform eines für die Allgemeinheit gefährlichen Typus hinstellen kann. Dann nämlich richtet sich das Ausgrenzungsverlangen nicht mehr gegen einen – unter anderen Umständen vielleicht sogar sympathischen – Mitmenschen oder sein konkretes Tun, sondern schlechterdings gegen das Böse sowie gegen dessen Verkörperung im Feind. Das erlaubt dann auch Ansprüche auf eigene moralische Überlegenheit, die sich für alle praktischen Zwecke nicht mehr entkräften lassen.
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