Papa werden. Anna Machin

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gleich null. Ein reichhaltiges Nahrungsangebot, die relativ schnelle Entwicklung von Gorillababys und lange Abstände zwischen den Geburten bedeuten, dass die Mütter ihre Babys mit allem versorgen können, was sie brauchen – die Väter können dazu nur noch ein bisschen beitragen. Bei Schimpansen geht es liberaler zu: Mehrere Männchen paaren sich mit mehreren Weibchen in einer großen Gruppe, obwohl das Alphamännchen immer Zugang zu den meisten und besten Weibchen bekommt. Kein Männchen weiß, welche von den vielen Jungtieren seine Nachkommen sind, und infolgedessen verwenden sie keine wertvolle Energie auf die Jungtiere. Stattdessen nutzen sie die Zeit lieber für die Fellpflege anderer Männchen; das dient dem Aufbau der so wichtigen Allianzen und ist Teil des komplexen politischen Spiels, das den Platz eines Männchens in der Hierarchie der Schimpansengruppe sichert.

      Im Gegensatz dazu haben die Angehörigen der Gattung Homo ein ganz anderes Modell der Vaterschaft entwickelt: Der Papa bleibt lange bei seinem Nachwuchs und hilft der Mutter. Die konkrete Beteiligung der Väter variiert sehr stark von Kultur zu Kultur, wie wir weiter hinten in diesem Buch untersuchen werden, aber letztlich spielen sie alle eine entscheidende Rolle im Leben ihrer Kinder. Nötig wurde ihre Beteiligung durch die einzigartige Kombination der beiden bereits erwähnten anatomischen Merkmale – dem aufrechten Gang und den großen Gehirnen. Denn bei einem Vierbeiner sind die Beine wie bei einem Tisch angeordnet, an den vier Ecken des Körpers mit jeweils einem beträchtlichen Abstand dazwischen. Hingegen liegen die Beine eines Zweibeiners nahe beieinander, was bedeutet, dass wir ein viel tieferes und engeres Becken und in der Folge auch einen engeren Geburtskanal haben als unsere vierbeinigen Freunde. Für sich genommen ist der enge Geburtskanal kein Problem, das Problem entsteht erst durch das große Gehirn.

      Entwicklungsmäßig betrachtet, fallen Tierbabys nach der Geburt in eine von zwei Kategorien: Entweder sind sie sehr weit entwickelt, Augen und Ohren sind offen, Fell oder Haare vorhanden, und sie können sich bald nach der Geburt allein fortbewegen. Oder sie sind hilflos, bewegungsunfähig, Augen und Ohren verschlossen. Tiere der ersten Kategorie heißen Nestflüchter, in der Regel trifft das für Affen zu. Es erstaunt mich immer wieder, wie geschickt ein Schimpansenbaby wenige Tage nach der Geburt ganz ohne Hilfe durch die Bäume klettert. Die zweite Kategorie sind die Nesthocker, dazu zählen Hundewelpen und kleine Kätzchen. Diese beiden Entwicklungswege existieren, weil bei der großen Mehrheit der Arten das Gehirnwachstum nach zwei Modellen vonstattengeht: entweder im Mutterleib – das Modell Schimpanse – oder nach der Geburt wie bei den Hunde- und Katzenwelpen. Ich spreche von der großen Mehrheit, weil es eine Ausnahme gibt: uns.

      Das menschliche Gehirn ist erheblich größer, als bei einem Säugetier mit unserem Körpergewicht zu erwarten wäre – tatsächlich fast sechsmal so groß. Die Größe des Gehirns ist das anatomische Merkmal, dem wir unseren Erfolg verdanken. Wir haben die Sprache entwickelt, sind in einzigartiger Weise zu Innovationen fähig und konnten ein Ausmaß an Kontrolle über unsere Umwelt erlangen, das uns zu den Herrschern der Erde werden ließ. Aber weil unsere Gehirne im Verhältnis zu unserer Körpergröße so ungewöhnlich groß sind, brauchen sie länger, um zu reifen. Und da liegt das Problem. Unser enges Becken bedeutet, dass diese entscheidend wichtige Entwicklungsphase nicht im Mutterleib stattfinden kann, weil sonst das Baby den Geburtskanal nicht mehr passieren könnte – für Mutter und Kind bestünde ein erhebliches Risiko, bei der Geburt zu sterben. Um das Überleben der Art sicherzustellen, hat die Evolution die Menschen nach einer ungewöhnlich kurzen Schwangerschaftsdauer selektiert, was bedeutet, dass menschliche Babys geboren werden, bevor sie voll entwickelt sind. Das hat zwei Folgen: Erstens zeigen die Babys eine bestimmte Kombination von Merkmalen bei der Geburt – die Hilflosigkeit von Welpen, aber offene Augen und Ohren wie bei einem Schimpansen. Und zweitens sind Menschen die einzige Spezies, bei der das Gehirn vor und nach der Geburt wächst. Problem gelöst.

      Aber ist es wirklich gelöst? Eine längere Phase des Gehirnwachstums nach der Geburt, in unserem Fall ein Jahr, ermöglicht dem Gehirn, sein volles Potenzial zu erlangen, aber bedeutet auch, dass die Mutter dadurch eine erhebliche Last zu tragen hat: ein sehr abhängiges, zur Fortbewegung unfähiges Baby, das nach Energie hungert. Sie muss nicht nur viel Energie aufwenden, um ihren Nachwuchs herumzutragen; theoretisch sollte sie das Baby auch länger stillen, als es nötig gewesen wäre, wenn das Gehirnwachstum nur vor der Geburt stattgefunden hätte, wie es bei Schimpansen der Fall ist. Aber die Realität ist anders. Während in manchen Gesellschaften Mütter länger als sechs Monate stillen, ist es durchaus möglich und in westlichen Ländern die Regel, das Baby in diesem Alter abzustillen und ihm feste Nahrung zu verabreichen. Warum ist die Laktationszeit bei Menschen so kurz?

      Es hängt alles mit der Demografie und dem Überleben der Art zusammen. Die verkürzte Schwangerschaft und Stillzeit entstanden wohl zum gleichen Zeitpunkt in der Evolution, vor 1,8 Millionen Jahren mit dem Auftauchen des Homo ergaster. Nur das Stillen verhindert, dass eine Mutter wieder schwanger wird, so stellt die Evolution sicher, dass sie ihre gesamte Zeit und Energie für die Bedürfnisse ihres heranwachsenden Babys einsetzt. Aber hätten unsere Vorfahren dies tatsächlich in dem Maß getan, wie es die Entwicklung des menschlichen Gehirns – des Organs in unserem Körper, das am meisten Energie verbraucht, auch wenn es nicht wächst – nach der Geburt erfordert, hätte das die Abstände zwischen den Geburten so verlängert, dass es die Erhaltung der Art gefährdet hätte. Unsere Vorfahren wären ausgestorben, und vielleicht würde eine andere Art die Erde beherrschen. Durch die Verkürzung der Stillzeit konnten die Mütter ihre Kinder früher entwöhnen und wieder fruchtbar werden, und so war sichergestellt, dass sie genug Kinder bekamen, um die Population zu erhalten und sogar zu vergrößern.

      Alle Eltern kennen die Erschöpfung, wenn sie versuchen, die Bedürfnisse eines Neugeborenen zu erfüllen, und gleichzeitig mit den unendlichen Wünschen eines Kleinkinds konfrontiert sind, das essen, schmusen, spielen und getröstet werden will. Ich erinnere mich noch, was für ein Stress es war, meine zweite Tochter zu stillen und gleichzeitig nach der richtigen Teletubbies-DVD für meine erstgeborene zu suchen und ihr etwas zu essen und zu trinken zu geben. Man entwickelt großes Geschick, Dinge mit einer Hand zu tun. Aber stellen wir uns einmal vor, all die Annehmlichkeiten des modernen Lebens wären auf einmal nicht mehr da – keine Geräte, die uns Arbeit abnehmen, keine Babyausstattung und keine Verhütungsmittel. Das war die Situation der weiblichen Angehörigen der prähistorischen Art Homo ergaster. Ohne die Möglichkeit, ihre Fortpflanzung ab dem Alter der Geschlechtsreife zwischen elf und 13 Jahren zu kontrollieren, waren sie entweder dauernd schwanger oder stillten und mussten sich nebenher noch um eine mehr oder weniger große Schar von abhängigen Kleinkindern kümmern. Für sie gab es die komfortablen fünfjährigen Abstände zwischen den Geburten wie bei den Schimpansen nicht.

      * * *

      Uns Menschen zeichnet unsere außerordentlich intensive Kooperation aus. Denken wir nur daran, wie oft am Tag wir mit jemand anderem zusammenarbeiten, um ein Ziel zu erreichen. Wir kooperieren, um lebenswichtige Ressourcen wie Nahrung und Wasser zu finden oder zu produzieren, um die Fertigkeiten und das Wissen zu lehren und zu erlernen, um erfolgreich zu sein, um Handel zu treiben und unsere Kinder großzuziehen. Eine der wichtigsten Formen der Kooperation ist die zwischen genetisch Verwandten oder innerhalb der Sippe. Diese Verwandten- oder Sippenselektion bedeutet, dass wir für unser eigenes Überleben davon profitieren, wenn wir anderen helfen, mit denen wir blutsverwandt sind. Der entscheidende Punkt ist nicht, dass wir, wenn wir unseren Verwandten helfen, selbst Hilfe erwarten können, sobald wir in Not sind, obwohl das häufig zutrifft. Wichtig ist vielmehr, dass wir die Gene teilen, und wie jeder gute Evolutionsbiologe weiß, kommt es letztlich auf das Überleben der Gene an. Das ist mit dem Konzept des »egoistischen Gens« gemeint, das Richard Dawkins in seinem 1976 erschienenen Buch so bezeichnet und erforscht hat: Die Erbeinheit, auf die die Evolution einwirkt, ist nicht das Individuum, sondern das Gen. Indem wir Verwandten bei der Versorgung ihrer Kinder helfen, sichern wir das Überleben der Kinder und damit zugleich das Überleben von Versionen unserer eigenen Gene. Es versteht sich von selbst, dass es umso vorteilhafter für einen Menschen ist, anderen bei der Aufzucht ihrer Kinder zu helfen, je näher die Blutsverwandtschaft ist, weil auch die Zahl der gemeinsamen Gene umso größer ist. Deshalb ist es fast universell so, dass sich nach den Eltern die Großeltern am meisten

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