Die Intelligenz der Pflanzen. Stefano Mancuso
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Im Lauf der Jahrhunderte haben viele Philosophen und Wissenschaftler die Vorstellung vertreten, Pflanzen besäßen ein »Gehirn« und eine »Seele« und noch die einfachsten pflanzlichen Organismen könnten äußere Reize wahrnehmen und darauf reagieren. Einige der genialsten Köpfe ihrer Zeit, von Platon bis Demokrit und von Fechner bis Darwin, sahen in den Pflanzen intelligente Wesen. Manche glaubten an ihre Fähigkeit zu fühlen, andere stellten sie sich als Menschen vor, die kopfüber in der Erde stecken: als sensible, intelligente Lebewesen, die über alle menschlichen Fähigkeiten verfügen, mit Ausnahme derer, die ihnen durch ihre befremdliche Position verwehrt sind.
Dutzende großer Denker haben die Intelligenz der Pflanzen theoretisch untermauert und dokumentiert. Dennoch tritt in allen Kulturen der Welt wie auch in unserem täglichen Verhalten immer wieder die scheinbar unüberwindbare Überzeugung zutage, Pflanzen seien noch weniger intelligent und entwickelt als Wirbellose und ständen auf der »Evolutionsleiter« gerade einmal eine Stufe über den unbelebten Objekten. Für diese Leiter fehlt, nebenbei gesagt, jeder Beweis, und doch ist die Hypothese in unser aller Köpfen fest verankert. Es konnten sich noch so viele Stimmen erheben, die anhand wissenschaftlicher Experimente und Entdeckungen die Intelligenz der Pflanzen belegten, stets fanden sich noch mehr Stimmen, die der These widersprachen. Als gäbe es eine stille Übereinkunft, haben Religion, Literatur, Philosophie und moderne Wissenschaft in der westlichen Welt an der Verbreitung der Vorstellung mitgewirkt, Pflanzen seien niedrigere Lebewesen als andere – von Intelligenz ganz zu schweigen.
Pflanzen und die großen monotheistischen Religionen
»Von den Vögeln nach ihrer Art, von dem Vieh nach seiner Art und von allem Gewürm auf Erden nach seiner Art: von den allen soll je ein Paar zu dir hineingehen, daß sie leben bleiben« (1. Mose, 20). Mit diesen Worten erklärt Gott Noah im Alten Testament, welche Lebewesen er vor der Sintflut retten soll, damit das Leben auf der Erde weitergehen kann. Wie geboten, führt Noah Vögel, Landtiere und alles, was sich auf Erden regt, auf die Arche: »reine« und »unreine« Tiere in Paaren. Und die Pflanzen? Finden mit keinem Wort Erwähnung. In der Heiligen Schrift werden sie nicht nur geringer geschätzt als die Tiere, sondern noch nicht einmal erwähnt. Sie bleiben ihrem Schicksal überlassen: Sie ertrinken oder können sich vielleicht wie anderes Unbelebte retten. Die Geringschätzung geht so weit, dass sich nicht einmal jemand um sie Sorgen macht.
Doch die Widersprüche in der Schöpfungsgeschichte lassen nicht lange auf sich warten. Der erste findet sich im Fortgang der Erzählung. Als die Arche auf dem Berg Ararat aufgesetzt hat und einige Tage kein Regen mehr gefallen ist, lässt Noah eine Taube ausfliegen, um zu erfahren, wie es auf der Erde aussieht. Gibt es trockenes Land? Vielleicht sogar in der Nähe? Ist es bewohnbar? Die Taube kehrt mit einem Ölblatt im Schnabel zurück – das alle Fragen beantwortet. Es zeigt, dass Land trockengefallen und Leben dort möglich ist. Obwohl Noah es also nicht ausdrücklich sagt, weiß er genau, dass es ohne Pflanzen kein Leben auf der Erde gibt.
Die Nachricht der Taube sollte sich schon bald bestätigen: Noah verlässt die Arche gemeinsam mit den Tieren, dann dankt er dem Herrn. Er hat seine Pflicht erfüllt. Und was macht er als Erstes? Er pflanzt einen Weinstock. Woher kommt dieser Weinstock, der bis dahin nirgends erwähnt wurde? Noah muss ihn für so bedeutsam gehalten haben, dass er ihn auf die Arche mitnahm, obwohl er nicht zu den Lebewesen gehörte.
In die Schöpfungsgeschichte schleicht sich also, vom Leser beinahe unbemerkt, der Gedanke ein, dass Pflanzen keine Lebewesen seien. Ölbaum und Weinstock dienen zwar als Symbol für Wiedergeburt und Leben, den Pflanzen allgemein hingegen spricht die Schöpfungsgeschichte jede Belebtheit ab. Allerdings entpuppt sich nicht nur das Christentum als eine Religion, die Pflanzen den Status von Lebewesen verweigert. Auch der Islam und andere Religionen verwahren sich unausgesprochen dagegen, das Pflanzenreich als lebendig zu betrachten, und zählen es zum Unbelebten auf unserer Erde. So widmet sich beispielsweise die islamische Kunst hingebungsvoll der Darstellung von Pflanzen und Blumen, weil es ihr untersagt ist, sich ein Bildnis von Allah und allem Lebenden zu machen. Die floralen Ornamente, geradezu das Erkennungszeichen islamischer Kunst, zeugen also davon, dass Pflanzen gerade nicht als Lebewesen gelten. Andernfalls wäre ihre Darstellung nämlich verboten. Im Koran findet sich zwar kein ausdrückliches Verbot, Tiere abzubilden. Doch der Prophet Mohammed leitet dies im Hadith, der Grundlage des islamischen Rechts, aus dem islamischen Glauben ab: Es gibt keinen Gott außer Allah, er hat alles erschaffen und ist in allem. Das gilt offensichtlich jedoch nicht für Pflanzen.
Manche Religionen unterhalten allerdings auch durchaus andere Beziehungen zur Pflanzenwelt. Die Indianer in Amerika und verschiedene indigene Völker halten sie sogar für heilig.
Die Beziehung zwischen Mensch und Pflanzenwelt steckt voller Widersprüche. So verbietet es die jüdische Religion, auf deren heiligen Schriften das Alte Testament ja basiert, Bäume ohne Not zu fällen, und feiert sogar ein Neujahrsfest der Bäume (Tu BiSchwat). Hier zeigt sich bereits der tiefe Widerspruch, dass dem Menschen seine Abhängigkeit von den Pflanzen zwar sehr wohl bewusst ist, er sich aber trotz allem verweigert, anzuerkennen, welche bedeutende Rolle sie auf unserem Planeten spielen.
Während manche Religionen Pflanzen – oder besser gesagt Teile von Pflanzen – heiligsprechen, werden sie von anderen geradezu verteufelt. Zur Zeit der Inquisition war dieses Schicksal etwa Pflanzen beschieden, die die angeklagten »Hexen« angeblich in ihre Heiltränke mischten: In manchen Fällen wurde nicht nur den Hexen, sondern auch Knoblauch, Petersilie und Fenchel der Prozess gemacht! Übrigens genießen Pflanzen mit psychotroper Wirkung bis heute eine Sonderbehandlung: Sie werden verboten (Wie kann man Pflanzen verbieten? Könnte man Tiere verbieten?) oder kontrolliert – oder für heilig erklärt und von Schamanen in Stammeszeremonien verwendet.
Das Pflanzenreich, wie es Schriftsteller und Philosophen sehen
Ob gehasst oder geliebt, ignoriert oder heiliggesprochen – Pflanzen sind Teil unseres Lebens. Und folglich begegnen sie uns in Malerei, Volkskunst oder Literatur. Doch Maler und Schriftsteller sind mit ihren Werken auch Schöpfer eines Weltbilds. Kunst und Kultur verraten uns deshalb einiges über das Verhältnis von Mensch und Pflanzenwelt.
Von wenigen wichtigen Ausnahmen abgesehen, betrachten die meisten Schriftsteller Pflanzen als statischen, anorganischen Bestandteil der Landschaft und beschreiben sie als ebenso passiv wie einen Hügel oder eine Gebirgskette.
In der Philosophie wurde, wie erwähnt, jahrhundertelang über die Natur der pflanzlichen Organismen gestritten. Ob Pflanzen leben oder nicht, ob sie eine »Seele« haben, wie man damals sagte, beschäftigte bereits weit vor Christus die besten Köpfe. Lange Zeit bestanden in Griechenland, dem Mutterland der abendländischen Philosophie, zwei Meinungen einträchtig nebeneinander: Während Aristoteles (384/383–322 v. Chr.) die Pflanzen in die Nähe der anorganischen Welt rückte, achteten Demokrit (460–370 v. Chr.) und seine Anhänger sie so hoch, dass sie sie sogar mit dem Menschen gleichsetzten.
In seiner berühmten Klassifikation teilte Aristoteles die Lebewesen nach ihrem Seelenvermögen ein, danach, wie stark sie beseelt seien. Sein Konzept der Seele hatte allerdings nichts mit Religiosität zu tun, sondern vor allem mit dem Bewegungsvermögen – was bis heute an dem Wort »beseelt« deutlich wird, das auch innerlich »bewegt« bedeutet. In seinem Werk De