Die Intelligenz der Pflanzen. Stefano Mancuso
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Auf dem Foto von links nach rechts: D.G. Hogarth, W. Dunstan, A.G. Harcourt, S. Hartland, T. Anderson, R.T. Glazebrook, C. Hawkesley, G. Darwin, A.S. Woodward, S. Dewar, C. Foster, F. Darwin, W.A. Herdman, A.C. Haddon, A. Geikie, S. Vincent, E. Brabook, O. Lodge
Bei den Ameisen, die auf diese Weise ihre Futterquelle verteidigen, gehen die Insektenforscher von intelligentem Verhalten aus, doch die Botaniker sehen die Sache bis heute völlig anders. Nur wenige gestehen den Pflanzen ein intelligentes – oder absichtsvolles – Verhalten zu und betrachten die extraflorale Nektarabsonderung als eine bewusste Strategie, mit der sich Pflanzen ihre ungewöhnlichen Bodyguards geneigt machen.
Pflanzen: die ewigen Zweiten
Kein Wunder also, dass zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse, die wir Pflanzenversuchen verdanken, häufig erst nach Jahren – und nach analogen Tierversuchen – von der Wissenschaftswelt anerkannt werden. Selbst bedeutsame Entdeckungen über Grundvorgänge des Lebens sind nicht davor gefeit, mehr oder minder ignoriert oder völlig unterschätzt zu werden, solange sie die Pflanzenwelt betreffen. Erst wenn Tiere ins Spiel kommen, erlangen sie dann mit einem Schlag Berühmtheit.
Das gilt etwa für die Erbsenversuche von Gregor Johann Mendel (1822–1884): Sie läuteten die Geburtsstunde der Genetik ein, doch ihre Ergebnisse blieben vierzig Jahre lang völlig unbeachtet – bis die Genetik mit den ersten Tierversuchen einen Boom erlebte. Dasselbe Schicksal ereilte Barbara McClintock (1902–1992). Allerdings mit glücklicherem Ausgang: Sie erhielt für ihre Entdeckung der genomischen Instabilität 1983 schließlich den Nobelpreis.
Bis zu ihrer bahnbrechenden Entdeckung hielt man das Genom (Erbgut) für statisch und dachte, es könne sich im Laufe eines Lebens nicht verändern. Die »Konstanz des Genoms« war als wissenschaftliche Lehrmeinung quasi unantastbar. In den 1940er-Jahren entdeckte Barbara McClintock, dass dieses Prinzip jedoch nicht unter allen Bedingungen galt, und bewies dies mit mehreren Forschungsarbeiten über Mais.
Sie hat eine grundlegende Entdeckung gemacht. Doch den Nobelpreis erhielt sie erst vierzig Jahre später. Warum? Ganz einfach. Sie hat Pflanzen untersucht, und weil ihre Beobachtungen der herrschenden Lehrmeinung widersprachen, galt sie in der Wissenschaft lange als Außenseiterin. Bis analoge Forschungen an Tieren in den Achtzigern schließlich gezeigt haben, dass genomische Instabilitäten auch bei anderen Arten vorkommen. Barbara McClintock verdankt die verdiente Anerkennung durch den Nobelpreis nicht allein ihrer Forschungsleistung, sondern erst der »Wiederentdeckung« ihrer Ergebnisse anhand von Tierversuchen.
Selbstverständlich ist die genomische Instabilität kein Einzelfall. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen: von der Entdeckung der Zellen – die erstmals bei Pflanzen gelang – bis zur RNA-Interferenz, für die Andrew Fire und Craig C. Mello 2006 den Nobelpreis erhielten. Sie haben im Wesentlichen an einem Wurm (Caenorhabditis elegans) die RNA-Interferenz wiederentdeckt, die Richard Jorgensen bereits zwanzig Jahre zuvor für die Petunie nachgewiesen hatte. Fazit: Studien über Petunien nimmt kein Mensch zur Kenntnis, aber analoge Forschungen an einem gemeinen Wurm (immerhin ein Tier) sind den Nobelpreis für Physiologie und Medizin wert.
Wir könnten hier noch etliche Beispiele anführen, das Ergebnis bleibt dasselbe: Die Pflanzenwelt steht hintan, auch in der Wissenschaft. Gleichwohl werden Pflanzen in der Forschung häufig verwendet, da sie den Tieren in ihrer Physiologie ähneln, und natürlich, weil Pflanzenversuche weniger ethische Fragen aufwerfen. Doch was macht uns überhaupt so sicher, dass die ethischen Probleme bei Pflanzen geringer sind? Vielleicht gelingt es uns ja, mit diesem Buch zumindest gewisse Zweifel an dieser Vorstellung zu wecken.
Zweifellos wird der Mensch die Pflanzenwelt eines Tages genauso achten wie die Tierwelt, und Wissenschaftler werden endlich, was auch wesentlich sinnvoller ist, an Pflanzen forschen, weil sie sich von Tieren unterscheiden, und nicht, weil sie diesen ähneln. Der Forschung eröffnen sich damit völlig neue Horizonte. Allerdings muss man sich wohl fragen: Welcher brillante Forscher wird sich den Pflanzen widmen, wenn ihm die wissenschaftliche Anerkennung dann grösstenteils versagt bleibt?
Unsere Geringschätzung der Pflanzenwelt ist, wie wir gesehen haben, in unserer Kultur tief verwurzelt. Ob im Alltag oder in der Wissenschaft: Die allgemeine Wertehierarchie verbannt die Pflanzen auf die unterste Stufe der Lebewesen. Ein ganzes Reich, das Pflanzenreich, wird völlig unterschätzt, obwohl unser Überleben und unsere Zukunft auf der Erde genau davon abhängen.
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