Die ganze Geschichte. Yanis Varoufakis
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Alexis und Pappas reagierten enthusiastisch: Sie würden ohne Zögern so handeln. Euklid, angeblich derjenige im Team, der am weitesten links stand, stimmte zu. Stathakis nickte. Dragasakis hingegen drückte sich in einer Weise aus, die ich als typisch für ihn kennenlernte: »Machen wir auf der Grundlage des positiven Szenarios weiter. Wenn nötig, werden wir reagieren.«
Eine Woche später präsentierten Alexis und ich in dem herrlichen Garten des Athener Museums für Byzantinische und Christliche Kunst wieder vor einem großen Publikum die griechische Übersetzung des Bescheidenen Vorschlags zur Lösung der Eurokrise. Alexis’ Team war vollzählig anwesend, Dragasakis saß in der ersten Reihe – eine eindrucksvolle Demonstration, dass sie diese Strategie unterstützten.
Zwei Wochen später traf ich mich wieder mit Alexis und Pappas.
»Ist dir klar«, fragte Pappas, »dass niemand anderer als du die Umsetzung der Strategie leiten kann, die du empfohlen hast? Bist du bereit dazu?«
Ich erwiderte, dass ich bereit sei zu kämpfen, dass ich aber nicht viel davon hielte, wenn Technokraten in die Politik katapultiert würden. Tatsächlich hatte ich große Bedenken. Um im Namen eines Landes zu verhandeln, braucht man ein demokratisches Mandat. Der Bescheidene Vorschlag brachte meine persönlichen Überzeugungen zum Ausdruck, und ich hatte nicht vor, die Entpolitisierung der Wirtschaftspolitik, einer durch und durch politischen Domäne, zu legitimieren. Überdies waren es Dragasakis, Euklid und Stathakis gewesen, die Syriza über Jahrzehnte hinweg aufgebaut hatten. Dafür gebührte ihnen der Respekt der Partei. Ich hingegen könnte immer nur ein Stellvertreter für sie sein, und deshalb wäre ich nicht in der Lage, die Verhandlungen mit der erforderlichen Autorität zu führen. Schließlich waren auch meine Zweifel, ob sich die internen Prioritäten von Syriza tatsächlich mit einer glaubwürdigen Regierungsagenda vereinbaren ließen, nicht geschwunden.
Eine Woche später bestätigte Wassily Kafouros, ein Freund aus meinen Studienjahren in England, meine Befürchtungen. Er fragte mich, ob ich als Einziger nicht wisse, dass Dragasakis sehr enge Verbindungen zu den Bankern habe. Ich erwiderte, dass ich das nicht glaube. »Was für Beweise hast du, Wassily?«
»Beweise habe ich nicht«, räumte er ein, »aber es ist allgemein bekannt, dass ihm schon immer daran gelegen war, sogar schon in seinen kommunistischen Zeiten, ein enges Verhältnis zu den Bankern zu haben.«
Ich vermutete, dass der Vorwurf falsch war, und obwohl mir noch immer Zweifel im Kopf herumgingen wie ruhelose Schlangen, beschloss ich, dass es keinen Zweck hatte, wenn ich mir über Probleme Sorgen machte, die ich nicht lösen konnte. Die Wahlsieger mussten die Bogen weglegen. Ich konnte nur auf die Fallstricke hinweisen und Vorschläge machen, wie man sie vermeiden konnte.
KAPITEL 4
Wassertreten
Segler nennen sie das steinerne Schiff oder kurz Steinschiff: drei große Felsen, die im Saronischen Golf weit ins Meer ragen. Von einem Boot, das sich ihnen bis auf eine Seemeile nähert, sehen sie tatsächlich wie ein Geisterschiff aus, das langsam auf Kap Sounion mit dem zauberhaften Poseidon-Tempel zusteuert. Es hat einen ganz besonderen Reiz, unweit der Fahrrinne im Schatten des Steinschiffs in dem unglaublich blauen Wasser zu schwimmen.
Im August 2014 traten Alexis und ich etwa fünfzig Meter von dem Steinschiff entfernt Wasser, so weit weg wie möglich von neugierigen Ohren. Unser Gespräch drehte sich um Vertrauen. Vertraute Alexis seinem Team so weit, dass es sich mit Bankern wie Aris und Zorba anlegen würde? Vertraute er ihnen, dass sie ohne Furcht vor – und ohne den Wunsch nach – dem Grexit mit der Troika verhandeln würden? Würden sie es mit der Troika aufnehmen, die willens und bereit war, sie mittels der Banken zu ersticken, während Griechenlands Oligarchen Amok liefen?
Alexis wich geschickt aus und schlug konsequent einen optimistischen Ton an. Ich hielt an mich, um ihn nicht mit meinen Zweifeln zu überschütten, musste ihm aber die Frage stellen, die mir auf den Nägeln brannte, seit Wassily sie aufgeworfen hatte:
»Alexis«, begann ich so beiläufig wie möglich. »Ich habe gehört, Dragasakis stehe den Bankern sehr nahe. Und ganz allgemein, dass er nach außen unseren Rettungsplan vertritt, während er in Wahrheit daran arbeitet, den Status quo zu erhalten.«
Alexis antwortete nicht gleich. Stattdessen blickte er erst einmal in die Ferne in Richtung des Peloponnes, bevor er sich mir zuwandte. »Nein, das glaube ich nicht. Er ist okay.«
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, dass er so kurz angebunden war. Hatte er ebenfalls Zweifel, die aber vom Vertrauen in die Integrität seines älteren Gefährten aufgewogen wurden, oder wies er meine Frage ab? Bis heute weiß ich es nicht. Ich weiß nur, dass er darauf beharrte, dass ich keine Wahl hätte: Wenn der Augenblick gekommen sei, müsse ich bei den Verhandlungen eine führende Rolle übernehmen.
Weil ich keine Lust hatte, meine Bedenken noch einmal aufzuzählen, erwiderte ich spontan: »In Ordnung, Alexis, du kannst mit mir rechnen. Aber nur unter einer Bedingung.«
»Welche?«, fragte er lächelnd.
»Dass ich Syrizas Wirtschaftsprogramm für die Wahl mit formulieren kann. Es darf nicht wieder so sein wie 2012.«
Alexis versprach mir, dafür zu sorgen, dass Pappas mich auf dem Laufenden halten und sich mit mir abstimmen würde, bevor er sich zu wirtschaftspolitischen Fragen äußerte. Mittlerweile war es Zeit, dass wir zu unseren Partnerinnen Betty und Danae zurückschwammen, die in einem kleinen Schlauchboot auf uns warteten.
Blut, Schweiß und Tränen
Einen Monat später war ich wieder in Austin. Dort hörte ich in den Nachrichten, dass Alexis eine große Rede in Thessaloniki gehalten hatte, in der er Syrizas Wirtschaftsprogramm skizzierte. Ich war sprachlos und besorgte mir umgehend den Text. Eine Welle von Übelkeit und Ärger überrollte mich. Ich ging sofort an die Arbeit. Den Artikel, der innerhalb von weniger als einer halben Stunde entstand, nutzte Ministerpräsident Samaras kurz nach seiner Veröffentlichung, um Syriza im Parlament fertigzumachen: »Selbst Varoufakis, euer Guru in Wirtschaftsfragen, sagt, dass eure Versprechen nichts wert sind.« Und so war es auch.
Das Programm von Thessaloniki, wie Alexis’ Rede getauft wurde, war gut gemeint, aber konfus und hatte definitiv nichts mit der Fünf-Punkte-Strategie zu tun, die Alexis und Pappas angeblich unterstützten. Das Programm versprach Lohnerhöhungen, Subventionen, Sozialleistungen und Investitionen, das Geld dafür sollte aus Quellen kommen, die entweder nicht existierten oder illegal waren. Es enthielt auch Versprechen, die wir besser nicht erfüllen sollten. Vor allem aber war es unvereinbar mit jeder vernünftigen Verhandlungsstrategie, um Griechenland in der Eurozone zu halten, obwohl es ausdrücklich behauptete, Griechenland solle in der Eurozone bleiben. Tatsächlich war es so dilettantisch zusammengeschustert, dass ich mir nicht einmal die Mühe machte, es Punkt für Punkt zu kritisieren. Stattdessen schrieb ich:
Wie sehr hätte ich mir gewünscht, eine andere Rede von Alexis Tsipras zu hören, eine Rede, die mit der Frage begonnen hätte »Warum soll man uns wählen?«, und sie dann beantwortet hätte: »Weil wir euch nur drei Dinge versprechen, Blut, Schweiß und Tränen!«
Blut, Schweiß und Tränen, was Winston Churchill bei seiner Amtsübernahme 1940 dem britischen Volk versprach,