Missbrauchte Gottesdienerinnen. Walter Brendel

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Missbrauchte Gottesdienerinnen - Walter Brendel

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beinahe alle, die etwas wussten oder ahnten, haben es hingenommen anstatt Stellung zu beziehen. Während die, die zwar nichts Genaues wussten – aber es gekonnt hätten, wenn sie nur gewollt hätten – einfach stillschweigend davon ausgegangen sind, dass es so schlimm dann sicher doch nicht sein könne. Und wieder andere haben die Vorkommnisse geradeheraus bagatellisiert oder Witze darüber gemacht. Es waren ja nur absurde Gerüchte – oder etwa nicht?

      Eben diese Mischung aus Gerüchten, Verdrängung und Witzen kennen vermutlich nicht wenige katholische Gläubige in Bezug auf eine Opfergruppe, die es bisher noch kaum je geschafft hat, als solche ernst genommen zu werden: Ordensfrauen. Auch über die „sexuellen Erfahrungen“ von „Nonnen“ macht man lieber Witze. Mancher glaubt, es wäre alles doch eher harmlos, das heißt, auf wenige einvernehmliche sexuelle Handlungen beschränkt, zu der auch die eine oder andere Ordensfrau sich einmal hinreißen lässt – was für eine unterhaltsame Vorstellung, nicht? Auch Ordensfrauen sind ja nur Menschen. Andere, die diese Vorstellung weniger lustig finden mögen, gehen vielleicht davon aus, dass es da außer Gerüchten gar nichts gibt. Wie auch immer Einzelne damit umgehen: Es ist traurig. Denn wir sind über die Stufe bloßer Gerüchte längst hinaus. Die Faktenlage über den von Ordensfrauen erlittenen sexuellen Missbrauch ist schlicht und einfach bedrückend. In der Kirche vernimmt man dazu bislang allerdings nur dröhnendes Schweigen. – Dieses Schweigen kann ein Artikel allein freilich nicht beenden. Aber er kann zumindest die gesammelten, längst allen zugänglichen Fakten einmal mehr ins Licht der Öffentlichkeit stellen.

      Die Nonnen von Sant’Ambrogio – Geschichte eines Missbrauchssystems

      Vor einigen Jahren hat der Kirchenhistoriker Hubert Wolf mit seinem Buch „Die Nonnen von Sant’Ambrogio“ einen Bestseller gelandet. Die von ihm analysierten Quellen werfen Licht auf eine Geschichte, die der Feder von Dan Brown entsprungen sein könnte. Bedauerlich ist, dass sie von der kirchlichen Öffentlichkeit auch so behandelt zu werden scheint. Denn man kann und darf dieses Buch gerade nicht wie reine Fiktion zur Seite schieben, schließlich zitiert Wolf über Seiten hinweg eins zu eins historische Quellen. Er erzählt die Geschehnisse in einem römischen Frauenkloster im 19. Jahrhundert vor allem als die einer falschen Heiligen, der hochrangige Kleriker – darunter brisanterweise ein sehr prominenter Verfechter des Unfehlbarkeitsdogmas – auf den Leim gehen. Dabei ist diese Geschichte zugleich, wenn nicht vor allem, die Geschichte eines Missbrauchssystems. Über viele Seiten hinweg zitiert Wolf Aussagen, in denen Betroffene en detail schildern, wie die „Mutter Äbtissin“ kraft ihrer Machtposition und ihrer „Aura der Heiligkeit“ die ihr anvertrauten Schwestern nicht nur systematisch sexuell missbraucht, sondern diesen Missbrauch auch noch zum Gnadenerweis deklariert hat, ohne dass jemand es gewagt hätte, sich ihr zu verweigern oder gar sich ihr in den Weg zu stellen. Was Wolf hier zu Tage gefördert hat, ist ein Paradebeispiel eines Missbrauchssystems: Eine Person, die über andere praktisch absolut verfügen kann, nutzt ihre Machtfülle aus, um sich an den von ihr Abhängigen sexuell zu vergehen, und lässt die wenigen Personen, die eigentlich eine Kontrollfunktion wahrnehmen könnten, auch noch bei diesem Missbrauch assistieren.

      Umso mehr erstaunt es, dass die missbrauchten Frauen im Buch kaum als Opfer in den Blick kommen. Denn auch wenn Wolf das Geschehen ausdrücklich als sexuellen Missbrauch bezeichnet, scheint sich manchem der Einwand aufzudrängen, den der Rezensent der Neuen Zürcher Zeitung wie folgt formuliert: „Ob die Ausdrücke ‚sexueller Missbrauch’ und ‚lesbische Sexualität’ dem Fühlen und Denken von Ordensschwestern, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einfachsten ländlichen Verhältnissen aufwuchsen, gerecht werden, steht dahin.“ Nun ist es tatsächlich möglich, dass die Opfer sich selbst nicht unbedingt als Opfer gesehen haben, waren sie doch fest davon überzeugt, Gnadenerweise zu erhalten – ähnlich vielleicht wie eine junge Schauspielerin ein Treffen mit einem einflussreichen Produzenten als Gnadenerweis erleben kann. Zudem dürften bei Novizinnen im 19. Jahrhundert tatsächlich weder das Bewusstsein für ihr Recht auf persönliche und sexuelle Selbstbestimmung noch die zur Benennung des erlebten Unrechts nötigen Begriffe vorhanden gewesen sein. „Sexuellen Missbrauch“, „übergriffiges Verhalten“ oder „Grenzverletzungen“ hat es im 19. Jahrhundert als Begriffe wohl kaum gegeben. Dabei sind solche Begriffe gerade für Opfer von zentraler Bedeutung, nicht nur um das Erlebte auszudrücken, sondern zu allererst um es selbst zu begreifen. Die Nonnen von Sant’ Ambrogio hatten also kaum eine Chance, begreifen zu können, welches Unrecht ihnen angetan wurde. Aber aus diesem mangelnden Bewusstsein der Opfer zu schlussfolgern, dass das, was diese Frauen erlebt haben, kein Missbrauch gewesen wäre, hieße Machtmissbrauch für unbedenklich zu erklären, solange nur eben den Missbrauchten das Bewusstsein für das ihnen angetane Unrecht fehlt. Es hieße, den Tätern in die Hand zu spielen, zu deren Strategie es gehört, ihren Opfern einzureden, der Missbrauch wäre keiner, sondern etwas ganz Normales, wenn nicht gar eben ein besonderer Gnadenerweis. Ein allzu großes Verständnis für eine Zeit oder eine andere Kultur, in der Missbrauch vermeintlich normal erscheint, verbietet sich spätestens dann, wenn es sich um einen Missbrauch handelt, der unserer Zeit und Kultur näher ist, als wir es uns wünschen können.

      Denn auch wer geneigt sein mag, den Missbrauch der Nonnen von Sant’ Ambrogio als Vergangenheit abzutun – als etwas, das es früher gegeben haben mag, das uns heute vielleicht noch erschrecken kann, dessen Existenz es natürlich auch irgendwie anzuerkennen und das es vielleicht aufzuarbeiten gilt, das aber sonst keinen Handlungsdruck mehr nach sich zieht, weil die Täterinnen, die Täter und Opfer von damals nicht mehr unter uns sind – kann nicht wirklich davon ausgehen, dass solche Übergriffe Vergangenheit sind. Jeder, der es sehen will, weiß, dass es auch in unseren Ordensgemeinschaften heute noch Täter, Täterinnen und Opfer von sexuellem Missbrauch gibt.

      Die Berichte von M.

      Wer eine Zeit lang auf dem afrikanischen Kontinent gelebt hat oder wer in den vergangenen zwanzig Jahren in Rom Theologie studiert oder unterrichtet hat, kennt vermutlich einschlägige anzügliche Witze über afrikanische Klöster, Priester und Ordensschwestern, über ihren Kinderreichtum und ihre Verhütungsprobleme. Dass diese Witze augenzwinkernd beiseitegeschoben werden, macht es nicht besser. Im Gegenteil: Angesichts der längst bekannten Fakten erscheint es völlig unverständlich, dass das Leid der betroffenen Frauen, die sich ja in den Dienst der Kirche gestellt haben, niemanden in der Kirche ernsthaft zu interessieren scheint. Und es ist schlichtweg unbegreiflich und empörend, dass dieses Problem immer noch als ein nicht allzu ernst zu nehmendes und allenfalls rein afrikanisches wahrgenommen wird.

      Es ist ja nicht so, dass die Fälle den zuständigen kirchlichen Verantwortlichen, insbesondere der Ordenskongregation in Rom, nicht bewusst wären. Es scheint nur einfach nichts dagegen unternommen zu werden. Dieser Umstand wird besonders deutlich, wenn man sich die Diskrepanz vor Augen führt, die zwischen den Ausmaßen der bekannt gewordenen Vorfälle und der offiziellen kirchlichen Reaktion auf diese Fälle besteht. Neben M. von dem Missionaries of Our Lady of Africa und der Benediktinerin E. war es vor allem O’D. von den Medical Missionaries of Mary, die in den 1990er-Jahren auf das Problem aufmerksam machte. Die amerikanische Ordensfrau und Entwicklungshelferin arbeitete jahrelang in verschiedenen afrikanischen Ländern und wurde in dieser Zeit immer wieder mit Fällen konfrontiert, in denen Ordensfrauen von Priestern missbraucht worden waren. Die schiere Anzahl und Schwere der Fälle veranlassten sie schließlich dazu, eine umfassende Dokumentation darüber nach Rom zu schicken. Im Jahr 1995 ging ihr Bericht, zusammen mit denen anderer, an den damaligen Vorsitzenden der Religiosenkongregation, Eduardo Martínez Somalo.

      In diesen Berichten ist von weitverbreitetem Missbrauch (widespread abuses) von Ordensfrauen durch Priester die Rede. Priester fürchteten, sich bei Prostituierten und anderen sexuell aktiven Frauen mit AIDS anzustecken, und würden daher Schwestern als „sichere“ Sexualpartnerinnen betrachten. Es soll vorgekommen sein, dass „eine Oberin von Priestern aufgefordert wurde, ihnen Schwestern für sexuelle Gefälligkeiten zur Verfügung zu stellen. Als die Oberin das ablehnte, erklärten die Priester, dass sie ansonsten gezwungen wären, ins Dorf zu gehen, um dort Frauen zu finden, und dass sie so AIDS bekommen könnten“. Priester würden den sexuellen Kontakt unter anderem im Austausch für Empfehlungsschreiben erzwingen,

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