Die Tyrannei des Geldes. Hans Peter Treichler
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Macht er sich denn nie ernsthaft Gedanken darüber, sich ganz als Autor zu etablieren, vom Schreiben zu leben – er, den man in seinem Kreis als tiefsinnigen und gleichzeitig geistreichen Causeur rühmt? So abwegig ist der Gedanke auch für einen kleinen Genfer Professor keineswegs. Gleich zwei von Amiels nächsten Bekannten schaffen sich als Korrespondenten der grossen Pariser Gazetten einen Namen. Er erlebt in den 1860er-Jahren mit, wie sie beide in die französische Hauptstadt ziehen und sich dort behaupten. Edmond Scherer, mit dem er bei manch einer Wanderung auf den Mont Salève über Gott und die Welt diskutiert hat, schafft es in Paris zum führenden Literaturkritiker von Le temps. Victor Cherbuliez, der Sohn des ärmlichen Griechischprofessors und Bruder des Mädchens mit den meergrünen Augen, steigt auf zum gefeierten französischen Romancier, wird in die Ehrenlegion aufgenommen. Ist es ihretwegen, dass sich Amiel erstmals Gedanken über eine literarische Karriere macht, im reifen Alter von 42 Jahren? «Mit der Feder Geld verdienen – sagen wir tausend Francs im Jahr; dieser Gedanke kommt mir zum ersten Mal. Es wäre die einzige Lösung, die mir erlauben würde, ein armes Mädchen zu heiraten. Und es wäre vielleicht auch die einzige Möglichkeit, meine Scheu vor dem Sich-Produzieren zu überwinden.»
Es soll hier noch die Rede sein von Amiels fast zwanghafter Beschäftigung mit den Kosten einer Eheschliessung und der Gründung eines gutbürgerlichen Haushalts. Was uns hier interessiert, ist die Frage der beruflichen Laufbahn. Geht es dem Autor im Grunde genommen zu gut, trotz aller Klagen über die kümmerliche Besoldung durch die Académie? Hindert ihn das kärgliche, aber gesicherte Einkommen, ergänzt durch die Erträge seines kleinen Vermögens – hindert es ihn daran, ein gut verkäufliches Werk zu schaffen, das sich an ein breites Publikum richtet? Das ihn ins Gespräch bringt, vielleicht auch auf den Pariser Redaktionen? Es fehlt an Druck und Zwang von aussen, und so gesehen stellen seine Einkünfte eine Art allzu sanftes Ruhekissen dar, un oreiller de paresse. Mehr als einmal merkt er es selbst an: Statt sich auf ein durchschlagendes Werk zu konzentrieren, verzettelt er sich mit seinen Konzertkritiken, seiner Hymne à Genève und Gelegenheitsarbeiten wie einem gereimten Stadtführer für Touristen. Hat denn die Welt auf launige Verse über die Gassen der Genfer Altstadt gewartet?
Auf einer der Wanderungen zum Mont Salève hat er mit den Freunden Scherer und Heim eine Anfrage der Genfer Bildungsdirektion diskutiert. Er, Amiel, soll ab Januar 1861 eine zehnteilige öffentliche Vortragsreihe im Stadthaus halten, Thema frei wählbar. Die Freunde warten mit einem ganzen Feuerwerk möglicher Sujets auf. Amiel notiert sie getreulich. Weshalb nicht eine populär gehaltene Betrachtung über das Wunderbare: Le merveilleux, son analyse et son histoire? Und wenn er das Material ohnehin zusammentragen muss – weshalb das Ganze nicht anschliessend ausarbeiten zu einem Buch, womöglich hübsch illustriert? Was das Genfer Publikum sicher ebenso interessiert: die Kultur des Geschmacks. Eine Vortragsreihe unter dem Titel Le goût, sa valeur et sa culture würde bestimmt die Damenwelt ins Stadthaus locken. Oder eine Untersuchung des Komischen, müsste sie nicht auch die Herren interessieren? Le Comique et ses variétés hätte zudem den Vorteil, dass Amiel ungeniert Beispiele anführen dürfte, mit Witzen oder Bonmots das Publikum zum Lachen bringen würde.
Dreizehn Themen kommen so schliesslich zusammen. Amiel wählt das unauffälligste von allen, Le langage et la langue maternelle, und hält am 8. Januar im Hôtel de Ville den ersten seiner zehn Vorträge. Die Sprache und das gesprochene Wort – das tönt nach philologischen Spitzfindigkeiten, nach trockenem Kästchendenken. Entsprechend lichten sich denn auch die Sitzreihen im Stadthaus schon in der dritten Januarwoche. Währenddessen hält, an einem anderen Wochentag, Kollege Victor Cherbuliez seine Vorträge zum Artusroman und zur höfischen Liebe vor brechend vollem Saal, auch bei Folge zwei, drei und so weiter bis in den März.
Cherbuliez, der Sohn des bedrängten Griechischprofessors, wird nach Paris ziehen. Amiel nicht. Es fehlt am Zwang, am Druck von aussen; zuhause wartet das weiche Ruhekissen, l’oreiller de paresse.
Amiel verdient zu wenig für ein Leben ohne Sorgen und trotzdem zu viel, als dass sich ein energischer, zupackender, selbstbestimmter Lebensentwurf aufdrängen würde. Aber was hindert ihn daran, sein eigenes kleines Vermögen zu optimieren, solange die Ehefrage offenbleibt? So wie viele seiner Bekannten hier und dort eine Anlage zu tätigen, wie ihm dies sein Treuhänder Louis Goetz immer wieder rät? Er könnte, meint Goetz, täglich ein halbes Stündchen für diese Dinge einsetzen, gleichsam mit der linken Hand die Finanzen nachführen, während er mit der rechten an einem ernsthaften Werk arbeitet. So wie dies jeder solide Haushalt handhabt, so wie Schwester Fanny es ihm täglich vorlebt: nouer les deux bouts, sein Scherflein zusammenhalten. So wie die Schwester und ihr Mann «das Gleichgewicht finden zwischen Bedürfnissen und Möglichkeiten, zwischen Einnahmen und Ausgaben». Und dabei tüchtig nutzen, was übrig bleibt. Weshalb gelingt ihm das nicht?
Regelmässig zum Jahresende erklingt im Tagebuch das gleiche Lied: Die Finanzen sind in Unordnung, es fehlt die Übersicht. «Mit Beschämung den wirren Zustand meiner Buchhaltung und die Unordnung meiner Kontoauszüge konstatiert», heisst es beispielsweise zu Silvester 1854. «Versäumnisse jeglicher Art in meinen Geschäften und meinen finanziellen Interessen. Alles als Folge meiner fatalen Faulheit, die alles aufschiebt, und meiner Unkenntnis bei den Methoden und Vorgehensweisen.» Manchmal reisst er sich zusammen, sortiert er seine Werttitel, setzt er sich mit Goetz und seinem Bankier Lejeune zusammen, zahlt das Bargeld ein, das sich in seiner Schublade angesammelt hat – die schmalen Honorare vom Journal de Genève, das Kursgeld für die Literaturvorlesungen, die er am Töchterinstitut der Demoiselles Maunoir hält. Aber noch viel öfter tut er nur das Allernötigste mit dem Bezahlen ausstehender Rechnungen, lässt er den Rest schleifen. Ist es der Hochmut, mit dem der geistig Tätige auf die Welt der Finanzen herunterblickt? «Geld verdienen erscheint mir instinktiv als eine schäbige Sache, die allein durch die Unterwerfung unter ein moralisches Ziel veredelt wird – zum Beispiel seine Familie ernähren, das Gesetz der Arbeit erfüllen, Gutes tun und so weiter. Ich ehre die Arbeit und heisse alle Berufe gut, aber der Handel, das Geschäft, die Bank stossen mich direkt ab, als niedrigste unter den menschlichen Tätigkeiten, als gemeinste und beschämendste.»
Der Eintrag stammt vom Herbst 1856. Damals ist er 35-jährig, aber auch der 50-Jährige empfindet ähnlich, wenn nicht noch eine Spur heftiger. «Ich stelle meine wachsende Abneigung gegen alles fest, was mit Finanzen, Investitionen, Buchhaltung und so weiter zu tun hat», heisst es im Frühling 1870. «Ich liebe die Ordnung, aber ich ertrage die erniedrigende Arbeit nicht, mit der sie erstellt wird. Ich bin froh, dass jemand die tollwütigen Hunde abtut, aber ich könnte nicht Abdecker sein.» Und später, im gleichen Eintrag: «Man könnte meinen, ich sei ein Adliger des Ancien Régime, so sehr missfällt mir das bürgerliche Krämertum, so widerlich ist mir dieses Jonglieren mit Zinsen, Konti, Wechseln undsoweiter. Lieber noch werde ich von diesen Beutelschneidern mit ihrem Geldriecher ausgebeutet, als dass ich mich mit dieser unwürdigen Wissenschaft herumschlage. Ich gehöre nicht in meine Zeit und in meine Schicht.»
Je ne suis pas de mon temps ni de ma classe ... Sollen wir das hier so stehen lassen? Es wird im folgenden Kapitel die Rede sein vom Dilemma, das Amiel während eines Vierteljahrhunderts immer neu formuliert hat: Wie finde ich eine Braut, mit der ich einen gutbürgerlichen Haushalt gründen kann? Wie lässt sich die Forderung nach einer namhaften Mitgift, ohne die ein standesgemässer Lebensstil unerreichbar bleibt, vereinbaren mit dem Ideal bedingungsloser gegenseitiger Liebe? Fällt er auch damit ausserhalb seiner Zeit, seiner Klasse?
Vorerst steht als Fazit fest: Im Umgang mit Geld schwingt beim feinsinnigen Philosophen stets die Stilfrage mit, vermischt mit dem Gefühl des verletzten Stolzes. «Die Tyrannei des Mammons ist erniedrigend», heisst es so oder ähnlich immer wieder. «Es ist unwürdig, dem Reichtum nachzujagen; es ist irritierend, vom Mammon abhängig