Gesammelte Werke . Joseph von Eichendorff

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Gesammelte Werke  - Joseph von Eichendorff

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oft als König der Vögel gepriesen, weil er mit großem Getös seinen Anlauf nimmt, aber er kann nicht fliegen.

      Es ist nichts künstlicher und lustiger, als die Unterhaltung einer solchen Gesellschaft. Was das Ganze noch so leidlich zusammenhält, sind tausend feine, fast unsichtbare Fäden von Eitelkeit, Lob und Gegenlob usw., und sie nennen es denn gar zu gern ein Liebesnetz. Arbeitet dann unverhofft einmal einer, der davon nichts weiß, tüchtig darin herum, geht die ganze Spinnewebe von ewiger Freundschaft und heiligem Bunde auseinander.

      So hatte auch heute Friedrich den ganzen Tee versalzen. Keiner konnte das künstlerische Weberschiffchen, das sonst, fein im Takte, so zarte ästhetische Abende wob, wieder in Gang bringen. Die meisten wurden mißlaunisch, keiner konnte oder mochte, wie beim babylonische Baue, des andern Wortgepräng verstehen, und so beleidigte einer den andern in der gänzlichen Verwirrung. Mehrere Herren nahmen endlich unwillig Abschied, die Gesellschaft wurde kleiner und vereinzelter. Die Damen gruppierten sich hin und wieder auf den Ottomanen in malerischen und ziemlich unanständigen Stellungen. Friedrich bemerkte bald ein heimliches Verständnis zwischen der Frau vom Hause und dem Schmachtenden. Doch glaubte er zugleich an ihr ein feines Liebäugeln zu entdecken, das ihm selber zu gelten schien. Er fand sie überhaupt viel schlauer, als man anfänglich ihrer lispelnden Sanftmut hätte zutrauen mögen; sie schien ihren schmachtenden Liebhaber bei weitem zu übersehen und, sehr aufgeklärt, selber nicht so viel von ihm zu halten, als sie vorgab und er aus ganzer Seele glaubte.

      Wie ein rüstiger Jäger in frischer Morgenschönheit stand Friedrich unter diesen verwischten Lebensbildern. Nur die einzige Gräfin Romana zog ihn an. Schon das Gedicht, das sie rezitiert, hatte ihn auf sie aufmerksam gemacht und auf die eigentümliche, von allen den andern verschiedene Richtung ihres Geistes. Er glaubte schon damals eine tiefe Verachtung und ein scharfes Überschauen der ganzen Teegesellschaft in derselben zu bemerken, und seine jetzigen Gespräche mit ihr bestätigten seine Meinung. Er erstaunte über die Freiheit ihres Blicks und die Keckheit, womit sie alle Menschen aufzufassen und zu behandeln wußte. Sie hatte sich im Augenblick in alle Ideen, die Friedrich in seinen vorigen Äußerungen berührt, mit einer unbegreiflichen Lebhaftigkeit hineinverstanden und kam ihm nun in allen seinen Gedanken entgegen. Es war in ihrem Geiste, wie in ihrem schönen Körper ein zauberischer Reichtum; nichts schien zu groß in der Welt für ihr Herz; sie zeigte eine tiefe, begeisterte Einsicht ins Leben wie in alle Künste, und Friedrich unterhielt sich daher lange Zeit ausschließlich mit ihr, die übrige Gesellschaft vergessend. Die Damen fingen unterdes schon an zu flüstern und über die neue Eroberung der Gräfin die Nase zu rümpfen.

      Das Gespräch der beiden wurde endlich durch Rosa unterbrochen, die zu der Gräfin trat und verdrüßlich nach Hause zu fahren begehrte. Friedrich, der eine große Betrübnis in ihrem Gesicht bemerkte, faßte ihre Hand. Sie wandte sich aber schnell weg und eilte in ein abgelegenes Fenster. Er ging ihr nach. Sie sah mit abgewendetem Gesicht in den stillen Garten hinaus, er hörte, daß sie schluchzte. Eifersucht vielleicht und das schmerzlichste Gefühl ihres Unvermögens, in allen diesen Dingen mit der Gräfin zu wetteifern, arbeitete in ihrer Seele. Friedrich drückte das schöne, trostlose Mädchen an sich. Da fiel sie ihm schnell und heftig um den Hals und sagte aus Grund der Seele: mein lieber Mann! Es war das erstemal in seinem Leben, daß sie ihn so genannt.

      Es kamen soeben mehrere andere hinzu und alles fing an Abschied zu nehmen und auseinanderzugehen; er konnte nichts mehr mit ihr sprechen. Noch im Weggehen trat der Minister zu ihm und fragte ihn, wie es ihm hier gefallen habe? Er antwortete mit einer zweideutigen Höflichkeit. Der Minister sah ihn ernsthaft und ausforschend an und ging fort. Friedrich aber eilte durch die nächtliche Stadt seiner Wohnung zu. Er hatte sich noch nie so unbehaglich, leer und müde gefühlt.

      Dreizehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Es war ein schöner Herbstmorgen, da ritt Friedrich eine von den langen Straßenalleen hinunter, die von der Residenz ins Land hinausführten. Er hatte es schon längst der schönen Gräfin Romana versprechen müssen, sie auf ihrem Landgute, das einige Meilen von der Stadt entfernt lag, zu besuchen, und der blaue Himmel hatte ihn heute hinausgelockt. Sie war seit seiner Trennung von Leontin die einzige, zu der er von allem reden konnte, was er dachte, wußte und wollte, die Unterhaltung mit ihr war ihm fast schon zum Bedürfnis geworden.

      Der Weg war ebenso anmutig als der Morgen. Er kam bald an einen von beiden Seiten eng von Bergen eingeschlossenen Fluß, an dem die Straße hinablief. Die Wälder, welche die schönen Berge bedeckten, waren schon überall mit gelben und roten Blättern bunt geschmückt, Vögel reisten hoch über ihn weg dem Strome nach und erfüllten die Luft mit ihren abgebrochenen Abschiedstönen, die Friedrich jedesmal wunderbar an seine Kindheit erinnerten, wo er, der Natur noch nicht entwachsen, einzig von ihren Blicken und Gaben lebte.

      Einige Stunden war er so zwischen den einsamen Bergschluften hingeritten, als er am jenseitigen Ufer eine Stimme rufen hörte, die ihn immerfort zu begleiten schien und vom Echo in den grünen Windungen unaufhörlich wiederholt wurde. Je länger er nachhorchte, je mehr kam es ihm vor, als kenne er die Stimme. Plötzlich hörte das Rufen wieder auf und Friedrich fing nun an zu bemerken, daß er einen unrechten Weg eingeschlagen haben müsse, denn die grünen Bergeshänge wollten kein Ende nehmen. Er verdoppelte daher seine Eile und kam bald darauf an den Ausgang des Gebirges und an ein Dorf, das auf einmal sehr reizend im Freien vor ihm lag.

      Das erste, was ihm in die Augen fiel, war ein Wirtshaus, vor welchem sich ein schöner grüner Platz bis an den Fluß ausbreitete. Auf dem Platze sah er einen, mit ungewöhnlichem und rätselhaftem Geräte schwer bepackten Wagen stehen und mehrere sonderbare Gestalten, die wunderlich mit der Luft zu fechten schienen. Wie erstaunte er, als er näher kam und mitten unter ihnen Leontin und Faber erkannte. Leontin, der ihn schon von weitem über den Hügel kommen sah, rief ihn schon sogleich entgegen: Kommst du auch angezogen, neumodischer Don Quixote, Lamm Gottes, du sanfter Vogel, der immer voll schöner Weisen ist, haben sie dir noch nicht die Flügel gebrochen? Mir war schon lange zum Sterben bange nach dir! Friedrich sprang schnell vom Pferde und fiel ihm um den Hals. Er hielt Leontins Hand mit seinen beiden Händen und sah ihm mit grenzenloser Freude in das lebhafte Gesicht; es war, als entzünde sich sein innerstes Leben jedesmal neu an seinen schwarzen Augen.

      Er bemerkte indes, daß die Menschen ringsum, die ihm schon von weitem aufgefallen waren, auf das abenteuerlichste in lange, spanische Mäntel gehüllt waren und sich immerfort, ohne sich von ihm stören zu lassen, wie Verrückte miteinander unterhielten. Ha, verzweifelte Sonne! rief einer von ihnen, der eine Art von Turban auf dem Kopfe und ein gewisses tyrannisches Ansehn hatte, willst du mich ewig bescheinen? Die Fliegen spielen in deinem Licht, die Käfer ruhen selig in deinem Schoße, Natur! Und ich, und ich, warum bin ich nicht ein Käfer geworden, unerforschlich waltendes Schicksal? Was ist der Mensch? Ein Schaum. Was ist das Leben? Ein nichtswürdiger Wurm. Umgekehrt, gerade umgekehrt, wollen Sie wohl sagen, rief eine andere Stimme. Was ist die Welt? fuhr jener fort, ohne sich stören zu lassen, was ist die Welt? Hier hielt er inne und lachte grinsend und weltverachtend wie Abällino unter seinem Mantel hervor, wendete sich darauf schnell um und faßte unvermutet Herrn Faber, der eben neben ihm stand, bei der Brust. Ich verbitte mir das, sagte Faber ärgerlich, wie oft soll ich noch erklären, daß ich durchaus nicht mit in den Plan gehöre! Laß dich's nicht wundern, sagte endlich Leontin zu Friedrich, der aus dem allen nicht gescheit werden konnte, das ist eine Bande Schauspieler, mit denen ich auf der Straße zusammengetroffen und seit gestern reise. Wir probieren soeben eine Komödie aus dem Stegreif, zu der ich die Lineamente unterwegs entworfen habe. Sie heißt: »Bürgerlicher Seelenadel und Menschheitsgröße, oder Der tugendhafte Bösewicht, ein psychologisches Trauerspiel in fünf Verwirrungen der menschlichen Leidenschaften«, und wird heute abend in dem nächsten Städtchen gegeben werden, wo der gebildete Magistrat zum Anfang durchaus ein schillerndes Stück verlangt hat. Ich werde der Vorstellung mit beiwohnen und habe alle Folgen über mich genommen.

      Ja,

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