Drecksarbeit. Jan Stremmel

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Drecksarbeit - Jan Stremmel Knesebeck Stories

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wir die meiste Beute bekämen. Von der Uferböschung. Das Wasser hatte die Sedimente über Jahrzehnte an den Rand gedrückt. Mit der Spitzhacke hebelte sie einen Steinbrocken aus der festgebackenen Böschung und lockerte ein paar Quadratmeter Boden. Nach acht, neun Hieben wechselte sie das Werkzeug. Nun schaufelte sie die Stein-Sand-Mischung in das Schubladensieb, das auf dem Boden lag. Als sich darin ein kniehoher Haufen gebildet hatte, den sie gerade noch hochstemmen konnte, hob sie die Lade auf Brusthöhe und rüttelte sie von links nach rechts. Es rasselte, es staubte, Dita kniff die Augen zu. Als der Schleier aus Dreck verweht war, hatte sich zu ihren Füßen ein kleiner Kegel aus dunklem Sand gebildet. »Da hast du es«, sagte sie. »Das ist das, was wir verkaufen.«

      Bis Anfang der achtziger Jahre waren die Kapverden touristisch weitgehend unerschlossen. Man lebte ärmlich in Hütten aus Lavastein, der Sand am Meer interessierte niemanden. Dann begann der Massentourismus. Und mit ihm nicht nur der Aufschwung, sondern auch der Ausbau der Inseln: Straßen und Hotels entstanden, ganze Städte wurden aus dem Vulkanboden gestampft. Der Lebensstandard stieg, den meisten Menschen ging es wirtschaftlich immer besser.

      Doch der Boom forderte ein unerwartetes Opfer. Ich konnte es sehen, als wir uns später eine kurze Pause gönnten. Wir setzten uns oben am Hang auf ein paar Autoreifen im Schatten eines Baums und spülten uns mit Wasser den Staub aus der Kehle. Hinter uns stand Ditas Haus. Es war aus rohen Ziegeln gebaut, darüber ein Dach aus Wellblech, davor ein windschiefer Verschlag aus Treibholz, in dem ein paar Hühner im Staub scharrten. Ein kleiner Junge in Unterhose duschte unter einem Metallrohr, das außen aus der Wand ragte.

      Das Haus sah nicht besonders aus. Es war aber besonders; weil es nicht aus Stein gebaut war, wie die traditionellen kapverdischen Häuser, sondern aus Betonziegeln. Die Europäer kamen nicht nur als Touristen, sondern brachten den Kapverdern auch eine Art zu bauen, die es vorher nicht gab. Beton ersetzte Stein. Und weil Beton zu drei Vierteln aus Sand und Kies besteht, wurde aus den Stränden über Nacht ein Rohstoff.

      Für Arnaud Vander Velpen, einen jungen belgischen Geologen, ist genau das eine der »größten Herausforderungen des Jahrhunderts«. Weniger diplomatisch ausgedrückt: ein verdammtes Riesenproblem. Vander Velpen ist Experte für Sand beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen, kurz UNEP. »Was passiert, wenn etwas wertvoll wird, das niemandem gehört, aber überall rumliegt?«, fragte er mich, als ich ihn anrief. »Jemand sammelt es auf und verkauft es.« So war der Beruf der Sandräuber entstanden. Während die Gäste aus Europa auf der einen Insel in bequemen Neubauten ihren Strandurlaub genossen, schaufelten die ladrões de areia auf der Nachbarinsel die Strände weg, um Nachschub für die Baustellen zu liefern.

       ALLEIN CHINA HATTE IN DEN VERGANGENEN DREI JAHREN MEHR SAND UND KIES FÜR DIE BETONPRODUKTION VERBRAUCHT, ALS DIE USA IM GESAMTEN ZWANZIGSTEN JAHRHUNDERT, SO SCHÄTZTE MAN BEI DER UNEP.

      Diese Lieferkette ist überall auf der Welt zu beobachten, vom Mekongdelta bis zur arabischen Halbinsel. Sie funktioniert ungefähr wie ein Jenga-Turm: Um oben einen Stein draufzusetzen, muss man unten einen rausziehen. Das geht überraschend lange gut. Ein Jenga-Turm kann mehr als seine doppelte Ursprungshöhe erreichen – bis jemand einen Stein zu viel aus dem Fundament zieht und alles ins Kippen gerät.

      Sand wird fast überall auf der Welt knapp. Nach dem Wasser ist er die zweitmeist verbrauchte Ressource. Und wie Öl oder Kohle ist er nicht erneuerbar. Jedenfalls nicht auf absehbare Zeit. Die Natur braucht zig Jahrtausende, um ihn mit Hilfe von Wind oder Wasser aus Felsen zu mahlen.

      Den Gedanken, dass Sand knapp werden könnte, musste ich mir während der Reise erst mühsam bewusst machen. Wenn es eine Ressource auf der Erde gab, von der ich dachte, es gäbe wirklich mehr als genug von ihr, dann das knirschende weiße oder schwarze oder braune Pulver. »Wie Sand am Meer«; dieses Sprichwort war auf den Kapverden offenbar schon etwas älter.

      Arnaud Vander Velpen erklärte mir, dass der globale Sandverbrauch sich in den letzten zwanzig Jahren verdreifacht hatte. Die weltweite Bauindustrie war exponentiell hungriger geworden. Vor allem die asiatischen Volkswirtschaften wuchsen schneller als je zuvor eine Region auf der Erde. Bei der UNEP schätzte man, dass allein China in den vergangenen drei Jahren mehr Sand und Kies für die Betonproduktion verbraucht hatte, als die USA im gesamten zwanzigsten Jahrhundert.

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      Sand wird aber nicht nur für Beton verwendet, sondern auch in der Elektro- und Kosmetikindustrie, um Straßenfundamente zu befestigen und sogar um Land aufzuschütten. Etwa in Singapur, dem größten Pro-Kopf-Verbraucher des Sediments. Der Stadtstaat vergrößert sein Territorium, indem er Millionen Tonnen von importiertem Sand in die Meerenge zwischen indischem Ozean und südchinesischem Meer kippt. So hat er seine Fläche inzwischen um ein Viertel vergrößert. In Dubai hat man in den vergangenen Jahren auch noch künstliche Inselgruppen in der Form von Palmen ins Meer gesetzt. Wenigstens gab es in den Emiraten genügend Sand, dachte ich. Bis mir Arnaud erklärte, dass Wüstensand sich nicht zum Bauen eignet: Die Körner sind zu rund. »Der Sand für die künstlichen Inseln stammt teilweise von den Stränden Afrikas«, sagte er, »aber größtenteils aus Australien.« Er wird also auch noch mit Schiffsdiesel um die halbe Welt geschippert.

      Die Menschheit spielt längst überall Jenga. Beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen verortet man die Summe allen verbrauchten Sandes pro Jahr bei etwa fünfzig Milliarden Tonnen. »Angenommen, man würde allen Sand, der in einem Jahr verbraucht wird, in einer Linie um den Äquator aufschütten«, sagte Arnaud, »einmal um die Erde herum« – er machte eine bedeutungsvolle Pause –, »man hätte eine durchgehende Mauer, die siebenundzwanzig Meter hoch und siebenundzwanzig Meter breit wäre. Jahr für Jahr.« Das war deutlich mehr, als alle Flüsse der Welt in einem Jahr produzierten. In Belgien, sagte Arnaud, grabe man den benötigten Sand vor allem aus der Nordsee, weil man – genau wie in Deutschland – über die meisten Sandvorkommen an Land Städte gebaut hatte. Nur habe kürzlich eine Schätzung ergeben, wie viel Sand vor der belgischen Küste eigentlich noch übrig war: »In spätestens achtzig Jahren ist alles weg.« Die zuständigen Behörden seien erschüttert gewesen.

      Der Sandpreis ist entsprechend gestiegen. Er hat sich seit Ende der neunziger Jahre versechsfacht. Wenn die wachsenden Schwellenländer die eigenen Sandreserven erschöpft hatten, kauften sie überall dort nach, wo Regierungen zu korrupt oder Menschen zu arm waren, um sich Gedanken über die Folgen zu machen. Zum Beispiel in Afrika.

       IN INDONESIEN, EINEM DER WICHTIGSTEN SANDLIEFERANTEN FÜR DEN ASIATISCHEN RAUM, SCHAUFELT MAN DEN ROHSTOFF MIT BAGGERSCHIFFEN AUS DEM MEER. ZWISCHEN 2005 UND 2010 SIND LAUT ZEITUNGSBERICHTEN MINDESTENS VIERUNDZWANZIG UNBEWOHNTE INDONESISCHE INSELN IM MEER VERSUNKEN.

      Wusste Dita, was sie da anrichtete? Es war mir unangenehm, sie zu fragen. Sie war alleinerziehend, hatte sie mir beim Graben erzählt, während Celestino im mittlerweile durchgeschwitzten Hemd übersetzte. Sie war zweiundvierzig. Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr hatte sie nie etwas anderes gemacht. Wir hatten inzwischen das Ufer auf einer Länge von zwanzig Metern aufgehackt und gesiebt. Etwas abseits wuchs quälend langsam unser Sandhügel. Ich wischte mir den dreckigen Schweiß aus der Stirn und machte einen Versuch: »Warum, glaubst du, ist der Sandabbau verboten?« Schweigen. Dita stützte sich auf ihre Hacke und kniff die Augen zusammen. Dann erzählte sie von den Männern.

      Der Sandraub war auf den Kapverden Frauensache. Die Männer gingen fischen, erklärte Dita, frühmorgens; wobei diese Tätigkeit zuletzt kaum noch Erträge brachte. Alles hängt mit allem zusammen, und Fische finden auf dem blanken Steinboden in den Buchten kaum noch Nahrung. Ihr Vater und dessen Vater seien noch täglich mit vollen Netzen zurückgekommen. Jetzt aber müssten die Fischer Jahr für Jahr weiter raus aufs Meer, wo wiederum ausländische Trawler alles leer gefischt hätten. So hatten viele Männer aufgegeben und als Tagelöhner auf dem Bau angeheuert. Sie mischten jetzt den Sand, den ihre Frauen und Mütter abbauten, zu Beton und gossen

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