Leben nach der DDR. Klaus Behling
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Leben nach der DDR - Klaus Behling страница 17
Das erinnerte die Frauen und Männer vielleicht an einen Ausspruch des Namensgebers ihrer Grube. Bauernkriegsführer Thomas Müntzer erklärte 1524: »Die herren machen das selber, daß in [ihnen] der arme man feyndt wird. Dye ursach des auffrurß wöllen sye nit wegthun.«
Diese »Ursach« hatte tiefe Wurzeln. In den 1950er Jahren planten Ost wie West die Wiedervereinigung, jede Seite in der Annahme, ihr Gesellschaftsmodell würde das andere besiegen. Im Osten wurden an der »Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft ›Walter Ulbricht‹« in Potsdam vorsorglich künftige Bürgermeister und Schulräte für die westdeutsche Provinz ausgebildet, im Westen plante der »Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands beim Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen«, wie es wirtschaftlich zusammengehen könnte. In den »Richtlinien für Übergangsmaßnahmen im Bereich Düngemittel«, vom Forschungsbeirat am 17. Oktober 1956 verabschiedet, hieß es dazu: »Die Düngemittelindustrie in der Sowjetischen Besatzungszone weist bei Stickstoff und Kali bereits jetzt Kapazitäten auf, die im Falle der Wiedervereinigung eine Ausweitung unter den gegebenen Umständen nicht erfordern … Darüber hinaus hat der neue Fünfjahrplan auch expansive Investitionen in erheblichem Umfange vorgesehen … Hieraus würden sich nach der Wiedervereinigung Überkapazitäten für Gesamtdeutschland ergeben, falls die jetzt vorgesehenen sowjetzonalen Lieferungen an die Ostblockländer dann nicht mehr möglich sein sollten … In Westdeutschland sind die Kriegs- und Demontageverluste weitgehend aufgeholt worden. Die Stickstoff- und Phosphatkapazitäten weisen zurzeit große Reserven auf. Auch die Kapazität der Kali-Industrie ist in Westdeutschland sehr groß.«
Als es dreiunddreißig Jahre später dann tatsächlich mit der Einheit Deutschlands so weit war, verschwand deshalb die ostdeutsche Konkurrenz. Am 15. Dezember 1993 genehmigte die EU-Kommission trotz kartellrechtlicher Bedenken die Fusion. In Bischofferode verstand das niemand. Der Betriebsrat kommentierte: »Der Belegschaft aber bleibt die Frage unbeantwortet, warum in ihrem Werk, bei hoher Produktivität, soliden Marktanteilen und tragfähigen betriebswirtschaftlichen Konzepten, die Kaliproduktion eingestellt werden soll.«
Der Widerstand war jedoch gebrochen. An Protestaktionen nach der Fusionsentscheidung beteiligten sich nur noch wenige. Die Bergleute bekamen die Kündigung und eine Abfindung. Von den von der Thüringer Landesregierung versprochenen siebenhundert Ersatzarbeitsplätzen entstanden etwa hundert im eigens erschlossenen örtlichen Gewerbegebiet. Knapp zwei Dutzend Kalikumpel fanden dort eine neue Anstellung. Seit der Stilllegung der Grube verlor Bischofferode rund siebenhundert Einwohner; fünf Wohnblöcke riss die Gemeinde ab.
Die obertägigen Anlagen des Kaliwerks wurden ab 1993 bis auf wenige Ausnahmen demontiert, die untertägigen Schächte verfüllt. Aus der Kalihalde soll ein grüner Hügel entstehen.
Am 3. Februar 1994 gründete sich der »Thomas-Müntzer-Kaliverein Bischofferode e. V.«. Er kaufte das ehemalige Betriebsambulatorium, was der Erlös aus den Protest-T-Shirts ermöglichte. Seit 1996 erinnert dort nun ein kleines Museum an die zu Ende gegangene Bergbautradition.
Bischofferode, 1994: Verschlafen liegt der kleine Ort am Fuße der riesigen Kalihalde. Äußerlich erinnert nichts mehr an den ein Jahr zuvor republikweit beachteten Protest der Kalikumpel gegen die Schließung ihrer Grube. (picture alliance / ZB – Fotoreport / Heinz Hirndorf)
Was bewirkten
»alte Seilschaften«?
Im März 1991 bedrängten die CDU-Abgeordneten aus den »neuen Bundesländern« Bundeskanzler Helmut Kohl, stärker gegen »SED-Seilschaften« bei der Treuhandanstalt vorzugehen. Nach Angaben der Bundesregierung besetzten zu dieser Zeit noch etliche frühere Spitzenfunktionäre leitende Positionen. Dazu zählten zwei Ex-Staatssekretäre und fünf ehemalige stellvertretende Minister der DDR. Selbst nach der Vereinigung am 3. Oktober 1990 wurden noch fünfundvierzig hohe DDR-Funktionäre eingestellt. Sieben von ihnen verließen wenig später wieder die Treuhand.
Die DDR-Wirtschaft war für die Treuhand ein undurchsichtiger Dschungel. Deshalb versicherte sie sich der Mitarbeit früherer Funktionäre, um überhaupt erst einmal Ansätze für eine Privatisierung zu finden. Das versuchten einige clevere Ostchefs, für eigene Geschäfte zu nutzen. Oftmals wussten sie die Belegschaft hinter sich, denn die Entlassungswellen rollten schon. Im März 1990 gab es in der DDR die ersten 38.300 Arbeitslosen. Bis April stieg ihre Zahl auf 64.900, dann auf 94.800 im Mai und 142.100 vor der Einführung der DM. Nach der Währungsunion explodierte die Arbeitslosenzahl auf 272.000 im Juli 1990 und 361.300 im August. Dazu kamen noch 1,439 Millionen »Kurzarbeiter«, die keine Arbeit mehr hatten, aber so wenigstens aus der Statistik fielen.
So erklärt sich, dass manche früheren Chefs für die eigene Zukunft schalten und walten konnten, denn sie versprachen »Erhalt der Arbeitsplätze«. Ganz besondere Objekte der Begierde waren dabei international bekannte und gut funktionierende DDR-Einrichtungen, wie etwa die Leipziger Messe und die Interhotel-Kette.
Das geeinte Deutschland war gerade einen Monat alt, als Siegfried Fischer, seit 1981 Generaldirektor des Leipziger Messeamts, am 2. November 1990 mit der Mannheimer Firma Blank & Radosevic Holding KG (B & R) im Namen der Treuhand einen Generalmietvertrag für die nächsten fünfundzwanzig Jahre schloss. Er sah die Gründung einer Betriebs- und Verwaltungsgesellschaft für die lukrativen Messehäuser in der Leipziger City vor. Die elf historischen Großbauten, wie die Mädler-Passage und das Hansahaus, brachten nicht nur während der traditionellen Frühjahrs- und Herbstmessen Geld, sie beherbergten im Erdgeschoss auch einen großen Teil des innerstädtischen Einzelhandels. Das Spektrum reichte von fünf Juwelieren, dreizehn Bekleidungsgeschäften, zwei Friseuren über sieben Lebensmittelläden, fünf Restaurants, ein Kino, zwei Kaufhäuser bis zu achtundzwanzig weiteren Läden, wie Porzellan-Lorenz oder Samen-Koch. Mieteinnahmen in Millionenhöhe schienen garantiert.
Die Treuhand sollte mit 20 Prozent, die Mannheimer B & R jedoch mit 80 Prozent an der Verpachtung aller Einzelhandelsflächen der elf Messehäuser beteiligt werden. Natürlich ging es um »marktüblichen« Mietzins, den Blank und Radosevic kassieren durften, und der lag 1990 in Leipzig bereits bei 120 Mark pro Quadratmeter. Die Messe als »Generalvermieterin« gab sich mit den DDR-Preisen von maximal 10 DM pro Quadratmeter zufrieden.
Als die Treuhand von dem Deal erfuhr, lief sie dagegen Sturm und prozessierte. Drei Wochen vor Vertragsunterzeichnung hatte Birgit Breuel, damals Vizechefin der Treuhand, Fischer angewiesen, »grundsätzlich nicht langfristig zu vermieten und zu verpachten«. Der DDR-Messemanager flog aus der Anstalt. Das erwies sich in diesem Fall als geeignet, um den Deal zu verhindern.
Am 13. Januar 1991 entstand dann die Leipziger Messe GmbH. Gesellschafter waren zu je 50 Prozent der Freistaat Sachsen und die Stadt Leipzig. 1994 und 1996 gründeten sich Tochterunternehmen, unter anderem für die Organisation von Gastveranstaltungen, die gastronomische Betreuung der Messegäste, den Messetourismus und den Ausstellungs- und Veranstaltungsservice zuständig.
Derartige Manipulationen mit dem »Volkseigentum« blieben kein Einzelfall. Noch zu DDR-Zeiten fädelte Interhotel-Chef Hellmut Fröhlich, inzwischen Alleinvorstand der derweil im Besitz der Treuhand befindlichen Interhotel