Republik der Werktätigen. Anonym
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Ein Jurist namens Heinz Hermann Thiele, der durch spekulative Aktienkäufe kurzfristig das dominierende Stimmrecht erworben hatte, bestimmt 2020 über das Wohl und Wehe von weltweit 138 000 Beschäftigten der Lufthansa. Sein Führungsstil entspricht dem des klassischen autoritären Patriarchen, der den Konflikt mit Gewerkschaften nicht scheut und auch bis dato in seinem Konzern keinen Tarifvertrag schloss. Mit Stand von Mai 2020 steht er laut Wikipedia mit einem Vermögen 15,5 Milliarden US-Dollar auf Platz 74 der Liste der reichsten Menschen. Die in dieser »Weltrangliste« Platzierten bestimmen Politik, Wirtschaft und Arbeitswelt.
Ein sozialistischer Leiter unterschied sich grundsätzlich von derartigen Managertypen. Er hatte nicht vor von Geld strotzenden und nichtstuenden Großaktionären Rechenschaft abzulegen. Seine Arbeit wurde nicht daran gemessen, ob und wie viel Rendite er eingefahren hatte. Seine Rechenschaftslegung fand hinsichtlich der wirtschaftlichen Ergebnisse vor der übergeordneten Leitung statt, hinsichtlich der Arbeits- und Lebensbedingungen vor seinen Werktätigen. Diese Grundlagen waren in Betriebskollektivverträgen zwischen betrieblicher Leitung und Gewerkschaftsleitung vereinbart. Darin ging es nicht nur um Arbeitsbedingungen, sondern auch um Freizeit, Bildung, Kultur und Sport.
Der Betriebsdirektor des Stahl- und Walzwerkes Brandenburg, später Generaldirektor des Kombinates, Hans-Joachim Lauck – promovierter Ingenieur, erläutert seine Verantwortung gegenüber den Arbeitern so: »Um im Betrieb etwas bewegen zu können, musste ich mir den Respekt der Belegschaft erst erarbeiten. Ich suchte das offene Gespräch mit den Kollegen und fand unter ihnen alsbald Kameraden und Freunde. … Als frischgebackener Werkdirektor war für mich neben den volkswirtschaftlichen Anforderungen an ›meinen Betrieb‹ die Beantwortung folgender Fragen zentral: Welches Niveau hatten die Arbeits- und Lebensbedingungen? Wie war die Versorgung organisiert? Herrschten Ordnung und Sauberkeit am Arbeitsplatz und auf dem Betriebsgelände? Welche Qualität hatten Ferien- und Kindereinrichtungen? Wie ist die Poliklinik ausgestattet und wie leisten die Ärzte präventive Arbeit im Betrieb, vor Ort? Wie ist das kulturelle Angebot für Erwachsene, Kinder und Jugendliche organisiert?«
Der Generaldirektor des Gaskombinates Schwarze Pumpe, Herbert Richter – Doktor der Naturwissenschaften, berichtet: »Der Plan der Arbeits- und Lebensbedingungen war im Kombinat eine feste Größe. … Alljährlich wurde bei uns – wie in allen anderen DDR-Betrieben der Betriebskollektivvertrag (BKV) in Zusammenarbeit mit der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) erstellt. Hierin wurden vor allem die Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen verankert, aber auch Festlegungen getroffen, die sich motivierend auf die Leistungen der Werktätigen auswirkten.« (Beide zitiert aus: Die Kombinatsdirektoren: Jetzt reden wir. Berlin: edition berolina, 2014)
Sozialistische Leiter waren durch ihre hohe Qualifikation und durch ihr enges Verhältnis zu ihren Arbeitern geprägt. Kein Leiter konnte es wagen, gegen deren Interessen zu regieren. Auch wir im höheren Staatsapparat Tätigen »regierten« nicht lebensfremd und abgehoben über die Köpfe der Werktätigen hinweg, sondern pflegten eine ständige und freundschaftliche Verbindung. Es war mir als Staatssekretär nicht nur ein Bedürfnis, sondern vor allem eine Bereicherung, mit Arbeitern an ihrem Arbeitsplatz zu diskutieren und in Belegschaftsversammlungen aufzutreten.
Heute träumen Linke und Gewerkschaften davon, das Wirtschafts- und Arbeitssystem des Kapitals durch Mitbestimmung besser gestalten zu können. Sie wollen eine gerechte und demokratische Wirtschafts- und Arbeitsordnung, in der die Arbeitnehmer selbst über das Was, Wofür und Wie der Produktion entscheiden. Über das Wie konnten die Werktätigen in der DDR in hohem Maße mitentscheiden. Ein weltweit einmalig arbeiterfreundliches Arbeitsgesetzbuch gab ihnen dazu die umfassenden rechtlichen Möglichkeiten. Versuche durch Selbstverwaltung der Betriebskollektive über das Was und Wofür zu entscheiden, haben sich als lebensfremde Illusion erwiesen.
Bei Stahlwerkern (Privatarchiv Klaus Blessing)
Die Träume, durch Mitbestimmung eine menschenwürdige und gerechte Arbeitswelt schaffen zu können, sind ausgeträumt. Das Coronavirus hat auf brutale Weise offengelegt, unter welchen Bedingungen weltweit – auch in Deutschland – gearbeitet werden muss. Das Leben in der Welt des Kapitals zeigt: Wer besitzt, entscheidet.
Gesellschaftliche Veränderungen hin zu einer besseren und gerechteren Welt sind deshalb nur zu erreichen, wenn die Besitzverhältnisse verändert werden. Das Grundgesetz der BRD und viele Landesverfassungen verlangen, dass Eigentum dem Allgemeinwohl zu dienen habe. Bei Verstößen kann enteignet werden. Es wird wohl kein vernunftbegabter Mensch noch behaupten können, dass heute das Privateigentum (an Produktionsmitteln) noch dem Gemeinwohl dient. Aber umgesetzt oder gar eingeklagt wurde dieses Verfassungsrecht nie. In der DDR war Volkseigentum in der Verfassung verankert und wurde mit Konsequenz, in der kleinen Privatwirtschaft und dem Handel zu konsequent, durchgesetzt.
Bei Kalikumpeln unter Tage (Privatarchiv Klaus Blessing)
Nur auf Grundlage von gesellschaftlichem Eigentum kann eine sozial gerechte Gesellschaft aufbauen und auch das Recht auf den Lebensunterhalt sichernde Arbeit garantieren. Es ist erfreulich und macht Mut, dass insbesondere große Teile der Jugend immer mehr erkennen und mutig auf den Straßen artikulieren: Dieses kapitalistische System hat keine Zukunft. Aufgabe unserer Generation ist es, sie dabei nicht bevormunden zu wollen, ihnen aber unsere Lebenserfahrungen aus zwei Gesellschaftssystemen nahezubringen und Mut für Veränderung zu machen.
Arbeit und Leben
(picture alliance / ZB / ddrbildarchiv.de / Klaus Morgenstern)
»Sozialistisch arbeiten« – Von Aktivisten und Helden der Arbeit
Klaus Behling
(Bundesarchiv Plak 100-027-007)
Ja, das Bild war gestellt«, sagt Fotograf Herbert Hensky, »aber die Stimmung war echt.«
Er schuf 1948 eine Ikone, die die DDR über 40 Jahre lang begleitete. Adolf Hennecke, der Bergmann aus dem Steinkohlenwerk »Karl Liebknecht« im erzgebirgischen Lugau. Der damals 43-Jährige schlug am 13. Oktober 1948 stolze 24,4 Kubikmeter Steinkohle aus dem Flöz und erfüllte damit seine Arbeitsnorm mit 387 Prozent. Adolf Henneckes Prämie bestand aus 50 Mark, einer Flasche Bergmannsschnaps, drei Schachteln Zigaretten, anderthalb Kilo Fettzulage auf die Lebensmittelmarken und einem Stück Anzugstoff.
Das Vorbild für die Superschicht lieferte der sowjetische Bergmann Alexei Grigorjewitsch Stachanow. Er förderte am 31. August 1935 im Bergwerk Zentral-Irmino in einer Schicht gleich das 13-Fache seiner Norm. In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) musste ein eigener Held gefunden werden, man erkor Adolf Hennecke zum Ideal des »neuen Menschen«. Der Beginn der Aktivistenbewegung. Schnell rollte eine riesige Propagandawelle an. »Wir brauchen viele Henneckes!«, hieß die Parole. Für den fleißigen Bergmann folgte eine politische Karriere bis ins Zentralkomitee der SED.
Fünf Jahre später trübte sich die Aufbaustimmung. Am 17. Juni 1953 demonstrierten Arbeiter in Ostberlin und der ganzen DDR gegen höhere Normen bei gleichem Lohn. Der Kurs der Partei wurde korrigiert, sowjetische Panzer schlugen den Aufstand nieder, aber ein neues Leitbild musste her. Dieses Mal war es die »Meisterweberin« Frida