Republik der Werktätigen. Anonym

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Republik der Werktätigen - Anonym

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Er schwebt in Lebensgefahr. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind innere Organe verletzt worden.« Die Schwester legte mir einen Notverband an.

      Der Meister telefonierte inzwischen mit der Fahrbereitschaft. »Der Betriebswagen holt ihn gleich ab und bringt ihn in die Klinik. Sorgen Sie dafür, dass er die Polster nicht schmutzig macht.«

      Die Zeit dehnte sich und zog sich wieder zusammen. Irgendwann saß ich in einem Wolga auf der Rückbank. Der Wagen fuhr. Dann hielt er an. Er war nicht weit gekommen. Wir befanden uns immer noch auf dem Betriebsgelände, und zwar in Sichtweite vom Werkstor.

      Der Fahrer, ein junger Bursche mit Lederjacke, schmalem Oberlippenbärtchen und Elvisfrisur, hievte mich nach draußen und setzte mich auf einen Sandhaufen. Er sagte irgendetwas und deutete auf den Hinterreifen des Wolga. Schließlich verstand ich. Der Wagen hatte einen Platten und der Chauffeur wollte ein Ersatzrad holen.

      Ich lehnte mit dem Rücken an einem Baum. Die Beine lagen weit ausgestreckt im gelben Sand. Der Verband färbte sich rot. Vom tiefblauen Himmel stach die warme Julisonne. Die Schmerzen von der aufgerissenen Bauchdecke strahlten in alle Richtungen. Mein Körper wurde zu einer einzigen, quälenden Wunde. Die Schläfen pochten, meine trockenen Lippen sprangen auf, und meine Zunge klebte am Gaumen. Ich röchelte.

      Ein Schatten fiel auf mein Gesicht. Ein Mann im blauen Dederonkittel stand vor mir. Ich blickte auf graue Sandalen und ausgeleierte gelbe Socken.

      »Was ist mit Ihnen? Sind Sie verletzt?« Ich nickte. Eine einzelne Träne lief mir über das heiße Gesicht und kühlte es angenehm.

      »Können Sie nicht sprechen?«

      Mit der allergrößten Anstrengung schüttelte ich den Kopf.

      Der Mann hüstelte: »Wissen Sie, ich bin nur ein einfacher Ingenieur. Ich würde Sie sofort mit meinem Auto ins Spital fahren, aber das ist strengstens untersagt. Keinerlei Dienstfahrten mit Privatautos, kein Verlassen des Betriebsgeländes während der Arbeitszeit ohne Genehmigung. Sicherlich wird der Krankenwagen bald hier sein.« Der Mann entfernte sich in Richtung Speisesaal.

      Ich vermochte plötzlich das Kunststück zu vollbringen, aus meiner Person her­auszutreten und über mir zu schweben. Ich sah zu meinen Füßen den leidenden, gequälten Körper, mit dem mich nicht mehr viel verband. Wenn ich wollte, konnte ich meine Schwingen ausbreiten und in den Himmel fliegen. Ich probierte es, und es gelang mir auf Anhieb.

      Ich war erneut ohnmächtig geworden und kam wieder zu mir, als mich der Ingenieur schüttelte. »Ich komme vom Mittagessen zurück, und Sie liegen immer noch hier in Ihrem Blut. Jetzt ist mir alles egal. Ich fahre Sie ins Krankenhaus. Warten Sie einen Moment. Ich bin gleich zurück. Ich hole nur meinen Wagen.«

      Wieder gab es einen Schnitt. Das Nächste, was mir im Gedächtnis haften blieb, waren sanft zugreifende Hände, die mich auf eine mit Rollen versehene Liege legten. Ich schaute auf die hellen Neonröhren über mir, als ich lange Korridore entlanggeschoben wurde. Langsam versank ich wieder in einer warmen, weichen Watteschicht. Die Schmerzen verschwanden.

      »Sie dürfen nicht einschlafen! Bleiben Sie wach!«, war das Letzte, was ich hörte, bis ich endgültig im Nichts versank.

      Aber ich sah kein gleißendes Licht. Ebenso wenig zog mein gesamtes bisheriges Leben im Zeitraffer an mir vorbei. Vielleicht erwachte ich deshalb wieder. Diesmal befand ich mich auf der Männer-Unfallstation vom St.-Georg-Krankenhaus. Auf der einen Seite standen 15 Betten in einer Reihe, auf der anderen Seite ebenso viele. Jeder Patient besaß ein eigenes Nachtschränkchen. Außerdem gab es zwei Tische und zehn Stühle. Es stank nach menschlichen Ausdünstungen und Desinfektionsmitteln.

      Links neben mir lag ein Dachdecker, der Tag und Nacht ununterbrochen stöhnte. Er war von der Leiter gefallen und hatte sich die Wirbelsäule gestaucht. Rechts von mir jammerte ein Zuhälter. Ein Konkurrent hatte ihm mit einer abgeschlagenen Flasche den Hals aufgeschlitzt. Schräg gegenüber greinte ein ungetreuer Ehemann. Seine Gattin hatte ihm eine Tranchiergabel bis zum Knauf in die Brust gerammt.

      Ein Jahr darauf – ich konnte bereits seit einigen Wochen wieder ohne Schmerzen aufrecht gehen – las ich im Seminargebäude auf einem Anschlag am Schwarzen Brett, dass für den Studentensommer 1976 zwei Studenten mit einer Elektrikerausbildung gesucht würden. Sie sollten in Dranske an der Ostsee Stromleitungen in Bungalows verlegen. Ich meldete mich sofort, obwohl sich meine Kenntnisse auf diesem Gebiet darin erschöpften, dass ich als kleiner Junge einmal meine Puppenstube unter Verwendung von Klingeldraht und einer Flachbatterie erleuchtet hatte.

      Tatsächlich wurden in den erst halbfertigen Bungalows noch gar keine Elektriker benötigt. Stattdessen verlegte ich von morgens um acht bis mittags um zwei Uhr Fußbodendielen. Anschließend ging ich an den Strand, um mich zu erholen. Meine Kommilitonen vergnügten sich unterdessen unter demselben blauen Himmel wie ich beim Kiesschippen in einer Leipziger Zementmischanlage.

      Blut, Schweiß and Tränen – Ein Sommer als Elektroköhler

      Uli Jeschke

      (BArch Bild 183-1984-0402-019 / Peter Zimmermann)

      Auch in der DDR waren Studenten ständig auf der Suche nach einer Aufbesserung der Haushaltskasse. So schob man schon mal Schichten auf dem Güterbahnhof oder saß ein paar Nächte lang am Band des VEB Narva Kombinat Berliner Glühlampenwerk. Das zusätzliche Geld wurde dann für vieles Nützliche, aber auch viel Unnützes ausgegeben, für studentischen Luxus quasi. Brauchte man etwas mehr Geld, schließlich gründeten viele Paare zu meiner Zeit fleißig Familien schon während des Studiums, gab es die sehr sinnvolle Erfindung des Studentensommers. Die Betriebe glichen damit, zumindest teilweise, die Defizite aus, die das im Sommerurlaub weilende Stammpersonal verursachte. Auch für Studenten war es lukrativ, es gab zwar nur den Lohn für Ungelernte, jedoch ohne Abgaben. So war brutto auch netto.

      Ich bewarb mich 1978 um Arbeit beim VEB Elektrokohle Lichtenberg (EKL) in Berlin. Die Organisation lief über Komitees der Freien Deutschen Jugend (FDJ), die die Arbeitsplätze akquirierten, die Rahmenverträge abschlossen und sich um sozia­le Belange, wie um eventuelle Unterkünfte, kümmerten. Von Kommilitonen hatte ich gehört, das EKL bezahle recht gut, also nichts wie hin, für vier Wochen sollte ich nun Elektroköhler sein.

      Der erste Tag begann noch zu einer »zivilen« Zeit, um acht Uhr sollte ich mich am Tor in der Herzbergstraße in Berlin-Lichtenberg einfinden, ich würde abgeholt, beschied man mir bei der Bewerbungsbestätigung. Ich hatte keine Vorstellung von der Arbeit in dem damals riesigen Betrieb mitten in Berlin. Es sollte der heißeste Sommer meines Lebens werden …

      Früh um acht stand ich also mit einigen anderen Studenten vor dem Eingang des VEB Elektrokohle Berlin. Empfangen wurden wir von einem Abgesandten der FDJ-Betriebsleitung. Dazu hatte sich ein Mensch aus der Kaderabteilung (Neudeutsch: Personalabteilung) gesellt. Der Rundgang durch den Betrieb begann hinter dem Tor mit einem Spalier von Schaukästen, in denen Fotos und Lesebeiträge hingen. Offensichtlich handelte es sich um die »Straße der Besten«, Einzelpersonen und Kollektive, die irgendetwas besonders gut gemacht hatten und nun als Vorbilder dienen sollten. So im Vorbeigehen huschten die Gesichter nur flüchtig an einem vorbei. Links befanden sich die Werkhallen, etwas weiter rechts die Verwaltungsgebäude.

      In der ersten Werkhalle schlug uns eine gewaltige Hitzewelle entgegen. Obwohl es draußen 24 oder 25 Grad warm war, kam es mir vor, als hätte sich die Temperatur

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