GLOBALE PROVINZ. Georg Rainer Hofmann

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GLOBALE PROVINZ - Georg Rainer Hofmann

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und grüngestreifter 132-stelliger Listen, gedruckt auf dem sogenannten »Schlafanzugpapier« als Ausgabemedium.

      Mit dem Rechner gab es also keinen isochronen Dialogbetrieb in Echtzeit, das war damals noch nicht möglich. Der Rechner wurde im sogenannten »Batch« betrieben. Ein Batch ist auf Englisch ein »Stapel«. Und die Daten hatten ja in der Tat die Form von Lochkarten- oder Papier-Stapeln. Die Eingaben als Lochkartenstapel arbeitete der Rechner pro Auftrag vollständig und sequenziell ab. Der Begriff der »Stapelverarbeitung« wurde noch viele Jahre später generell für nicht-interaktive Systeme benutzt. Die Logistik für beide Batch-Medien, also der Weg von meinem Schreibtisch über das Werksgelände zum Rechenzentrum und zurück, wurde per PKW abgewickelt.

      Dem eigentlichen Management der IT kam ich erst gegen Ende der 1970er-Jahre näher. Der Grund dafür war meine Unzufriedenheit mit der IT. Mit der Möglichkeit der dezentralen Eingabe von Lochkarten und dezentralem Ausdruck wurden mir als Nutzer die unsagbar langen Brutto-Rechenzeiten transparent. Es war ein ziemlicher »waste of time«, an meinem Schreibtisch auf die Antwort des Zentralrechners auf einen Rechenauftrag zu warten. Zugegebenermaßen stellten meine statistischen Verfahren eine gewisse Herausforderung für die damalige IT dar. Auf jeden Fall wollte ich als Anwender wissen, warum IT so arbeitet, wie sie arbeitet.

      Ziemlich schnell lernte ich, dass der Fokus der verantwortlichen Leitung der IT – »narrow minded« – nur auf den Kosten des Großrechners lag. Mehr als ein Jahr lang wurde etwa diskutiert, ob man den Hauptspeicher des Zentralrechners von 800 KB auf 1,5 MB aufrüsten sollte. Die Wartezeiten der Nutzer spielten in diesen Überlegungen kaum eine Rolle, die Kosten von deren Leerlaufzeiten auch nicht. Man versuchte damals, um das Jahr 1980 herum, stattdessen durch ein eigenes quasi »Datenbanksystem« die Plattenumdrehungen und damit Zugriffszeiten auf den Speicher zu optimieren.

      Sogenannte »Strategische Überlegungen« zur IT-Entwicklung fanden im Gespräch mit Vertretern des Hauptlieferanten »International Business Machines« (IBM) statt – die Frage, welche neue technische Rechnergeneration wann beschafft werden sollte. Ab dieser Zeit – und noch weitere Jahrzehnte lang – vertrat ich die Position: »Wenn man die IT-Kosten ohne Rücksicht auf den Nutzen der Anwender optimieren will, dann sollte man besser gleich die gesamte IT abschaffen.« Das wäre die konsequenteste und gleichzeitig sparsamste Lösung. Denn unabhängig von der zu erbringenden Leistung nur »sparen zu wollen«, das ist ein sehr triviales Ziel.¶

      Das Paradigma »die Schüler müssen das Programmieren lernen« war einer der ersten Funken des Urknalls der Informationsgesellschaft. Denn damit begann die »Popularisierung der Informationstechnologie« außerhalb der gewerblichen Wirtschaft. Mein Gymnasium in Michelstadt hatte mithilfe von Spenden einen Computer des Fabrikats WANG beschaffen können. Freilich gab es im Lehrerkollegium Bedenken – die Ausbildung an einem solchen neumodischen, technischen Gerät hätte an einem ordentlichen Gymnasium einfach nichts verloren. Dieses ganze Computer-Zeug werde derzeit ja offenbar maßlos überbewertet und gefährde den Stellenwert der wahren, klassischen Bildung. Der Computer galt als das Zeichen einer schrecklichen, neuen Zeit. Die Computer-Befürworter unter den Lehrern argumentierten mit dem unglaublichen Nutzwert der Maschine. Sie könne sogar bei der Verwaltung der Schule helfen, so bei der leidigen und aufwändigen Aufstellung der Stunden- und Raumpläne. Der WANG-Computer galt als ein alleskönnendes »Elektronengehirn«, dessen Möglichkeiten damals aber völlig überschätzt worden sind.

      Einer der befürwortenden Lehrer hatte sogar eine elektronische Quarz-Armbanduhr am Handgelenk. Diese Uhr hatte eine rot leuchtende, digitale Vier-Ziffern-LED-Anzeige, die aber nur per Druck auf einen seitlichen Knopf am Gehäuse sichtbar wurde. In der Auslage eines Uhrengeschäfts in Michelstadt stand eine Quarz-Armbanduhr, die hatte eine damals hochmoderne, »permanent sichtbare« LCD-Anzeige mit sechs Ziffern – Stunden, Minuten, Sekunden. Diese Quarzuhr war – für einen Schüler unerschwinglich – sehr teuer, sie kostete um die 650 D-Mark. Wir Schüler standen fasziniert und quasi »ewig« vor dem Schaufenster und beobachteten das Umschalten der Sekunden in diskreten Schritten auf dem kleinen Liquid Crystal Display – im Gegensatz zu den bekannten analogen Zeigerbewegungen der normalen mechanischen Uhren. Besonders interessant sah die Uhrzeitanzeige »11:11:11« aus – auf einem analogen Ziffernblatt ist diese Uhrzeit ja nichts Besonderes. Das war vor über 40 Jahren für uns so faszinierend, weil es im normalen Alltag einfach noch gar keine digitalen Displays gab. Auf den Bahnsteigen der größeren Bahnhöfe gab es – beispielsweise – analoge Anzeigen mit mechanischen Klappbuchstaben. Auf den kleineren Bahnhöfen wurden die Zugverbindungen per Lautsprecher »live« angesagt. Ein digitales Display als Bandenwerbung in einem Stadion war technisch noch völlig undenkbar.

       Exkurs – Musik-Erleben in der Globalen Provinz zu Beginn der 1980er-Jahre

      Wenn man das liest, dann können wir uns die Entwicklung der Informationsgesellschaft nicht zuletzt daran verdeutlichen, mit welchen Medien man »Große Welt-Musik« in der südhessischen Provinz etwa im Jahr 1980 konsumiert hat. In der Nacht vom 19. auf den 20. April 1980 trat in der Grugahalle in Essen im Rahmen einer »Rockpalast«-Veranstaltung des WDR die US-amerikanische Band »ZZ Top« auf. Die Band aus Texas war in Deutschland noch relativ unbekannt und zum ersten Mal in Europa. Natürlich konnte man im südhessischen Odenwald den WDR nicht direkt per Antenne empfangen. Die Sendung wurde aber vom Hessischen Fernsehen im Rahmen der »Eurovision« übernommen und war daher regional verfügbar. Am damaligen Schwarzweiß-Fernseher gab es keinen Stereo-Ton. Deshalb wurde die Musik zur Fernsehsendung parallel per UKW-Radio in Stereo gehört. Musik zum Mit-Nachhause-Nehmen konnte man stückweise im Plattenladen auf Vinyl-LPs kaufen. Nicht unüblich war der Mitschnitt von Radiomusik per Tonband-Kassettenrekorder. Die Audio-Qualität dieser privaten »bootlegs« war allerdings lausig.

      Die Musik von ZZ Top war in der Odenwälder »Szene« allerdings doch schon ein wenig bekannt geworden. In dieser Zeit, das mag ebenfalls etwa im Jahr 1980 gewesen sein, trat im Saal des eigentlich recht biederen Odenwälder Gasthauses »Zur Spreng« eine Band »Rodgau Monotones« auf. Und diese Leute – »crazy enough« – spielten auch Stücke von ZZ Top. Nach einem ersten Auftritt der Rodgau Monotones fragten die Gasthaus-Inhaber, ob diese Musik »denn soweit OK« wäre. Nachdem dies durchweg bejaht wurde, hatten die Rodgau Monotones sogar einen zweiten Auftritt in der »Spreng«. Im April 1980 in der Grugahalle in Essen war – nach einem Kameraschwenk – im Rockpalast-Publikum ein Transparent zu sehen, auf das die Worte »RODGAU MONOTONES grüssen ZZTOP« gepinselt waren. Das war schon »more crazy«, aber »most crazy« war, dass eben diese Rodgau Monotones – »Die Hesse komme!« – im Oktober 1985 selbst auf der Bühne des Rockpalast in Essen stehen sollten. Spaßvögel im Publikum in der Grugahalle schwenkten nun ein Transparent mit »ZZ Top grüßt die Rodgau Monotones«. Diese Dialektik der »Weltklasse der Provinz« und der »Provinz der Weltklasse« ist faszinierend – und sie ist für die Besiedlung der Digitalen Welt und der »Globalen Provinz« nicht untypisch.¶

      Der WANG-Computer am Gymnasium in Michelstadt war ein Kasten von ungefähr der Größe eines Pilotenkoffers und er verfügte über vier Kilobyte Hauptspeicher. Ein ausrangierter Fernschreiber, ein Telex-Gerät, stand für die Ein- und Ausgabe von Daten am WANG zur Verfügung. Das Telex hatte eine Tastatur, einen Zylinderkopf-Drucker sowie einen Schreiber und Leser für fünf-kanalige Lochstreifen. Die Lochstreifen waren die einzige Möglichkeit, größere Datenmengen, und damit auch Programm-Quellcode, dauerhaft zu speichern. Der Schulcomputer hatte notabene noch keine Festplatte oder andere elektromagnetische oder gar optische Speichermedien. Ein altes Fernsehgerät, dessen Empfangsteil kaputt war, diente als zusätzlicher Monitor.

      Man musste sparsam sein, denn man war für den Betrieb des WANG auf Spenden angewiesen. Öffentliche Mittel gab es für einen Computer an einer Schule natürlich noch nicht. Der Computer hatte immerhin etwa 20 000 D-Mark gekostet, was im Jahr 2020 etwa 25 000 EURO entspräche. Der teure Computer erhielt einen eigenen »Computerraum«. Solche Spezialräume gab es bislang nur für den Musikunterricht, mit einem Klavier darin, oder für die Naturwissenschaften, mit Sammlungen und Geräten für diverse Experimente. In seinem »Computerraum« hatte es der Computer

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