GLOBALE PROVINZ. Georg Rainer Hofmann

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GLOBALE PROVINZ - Georg Rainer Hofmann

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      Die Schüler, die das nagelneue Fach »Programmieren« belegten und damit, wie man sagte, »an den Computer durften«, trugen die zusammengewickelten Lochstreifenrollen der von ihnen erstellten Programme mit sich herum. Es war das »Statussymbol« der einschlägig Inaugurierten. Im Fach Programmieren wurde man als Schüler unterrichtet, was ein Programm ist und macht, und man lernte die Programmiersprache BASIC kennen. Algorithmen wurden als Daten-Flussdiagramme und Programm-Ablaufpläne in die Schulhefte gemalt. Wir Schüler hatten übungshalber Programmieraufgaben zu lösen. Ich realisierte damals ein Programm, das zu einer gegebenen Wertetabelle als Input feststellte, ob diese Wertetabelle, also die Elemente und ihre Verknüpfung in der Tabelle, eine sogenannte »Abelsche Gruppe« darstellte – oder eben nicht, »Ja« oder »Nein«. Der Output meines Programms war also ein einziges Bit. Aber auch so ein einziges Bit kann eine wertvolle Information darstellen.

      Als eine zusätzliche Möglichkeit der Dateneingabe verfügte der Schulcomputer noch über einen Markierungskartenleser. Einer der Physiklehrer ließ uns – von ihm sogenannte – »Computerklausuren« schreiben. Die Ergebnisse der Aufgaben wurden von uns Schülern kodiert mit Bleistift auf eine Markierungskarte übertragen und vom WANG-Schulcomputer ausgewertet. Innerhalb weniger Minuten lagen die Noten vor – ein Vorgang, der bei einer regulären Korrektur durch den Lehrer einige Tage gedauert hätte. Ich hatte mich mit den Markierungen auf meiner Karte vertan und erhielt in einer Physikklausur die – nun gar nicht so gute – Note 3. Natürlich habe ich gegen das skandalöse und offensichtliche Fehlurteil protestiert. Der Lehrer wiegelte ab, er könne da leider nichts mehr machen. Das Verfahren sei nun einmal so »programmiert«. Ich war zum Opfer eines starr programmierten und daher inhumanen Prozesses geworden. Dieser Kartenmarkierungs-Fehler ist mir unvergesslich – und nur(!) deshalb kann an dieser Stelle davon berichtet werden.

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      Ein Original-Computer WANG mit Peripherie vom Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre. Er ist ein Exponat des »technikum29 Computermuseum« in Kelkheim (Taunus). Abgebildet ist eine funktionsfähige Computer-Anlage WANG 2200B mit umfangreicher Peripherie, wie Monitor (mit einem niedlichen Bildschirm, ohne eine Tastatur, aber mit einem Kassettenlaufwerk als Speicher), separater Tastatur, Kartenlesern – das alles steht im oberen Regal. Der eigentliche Computer steht unten in der Mitte. Neben dem riesigen dreifachen 8-Zoll Diskettenlaufwerk – unten links – ist insbesondere das Plattensystem – unten rechts – bemerkenswert. Es ist gigantisch und hat eine Masse von circa 100 kg und kann – damals sehr komfortable – 5 Megabyte an Daten speichern. Am Gymnasium in Michelstadt hingegen wurde der Schulcomputer WANG fast 40 Jahre im Magazin auf dem Dachboden aufbewahrt. Dann verliert sich seine Spur. Ein banales Ende eines verdienstvollen Lebens – um es anthropomorph auszudrücken.

      Nichtsdestoweniger stellte es für die Schüler einen absoluten Glücksfall dar, dass sie schon so früh mit dem Metier »Computer« in Kontakt gekommen waren. Noch Jahre später hat man bei den diversen Abitur-Ehemaligen-Jubiläen Personen treffen können, die in diversen Bereichen der Informationstechnologie sehr erfolgreich tätig waren. Das Fach »Programmieren« in der Schule hatte schon einen Nutzen für den späteren Berufsweg. Allerdings gab es unter Absolventen auch den Geschäftsführer eines erfolgreichen IT-Unternehmens, der am Gymnasium seinerzeit in »Programmieren« die Note 5 geerntet hatte – und damit gerne kokettierte. Ein einfacher Kausalzusammenhang zwischen Programmierunterricht und beruflichem Erfolg in der IT scheint also auch nicht unbedingt gegeben zu sein.

      Der WANG-Schulcomputer hatte ausgesprochene Verehrer. Typischerweise waren das solche Mitschüler, die dem Taxon der Schlaumeier-Artigen zuzurechnen waren. Diese jungen Leute waren das, was man viele Jahre später als »Nerds« bezeichnen sollte. Sie hatten Lochstreifenrollen mit riesigem Durchmesser bei sich und erheischten, damit auftretend, schon einigen Respekt. Einer hatte sogar ein BASIC-Programm geschrieben, mit dem man das Brettspiel »Dame« spielen konnte. Nicht nur mir war völlig unverständlich, was das sollte. Einerseits war der Computer nicht in der Lage, die interessanten, menschlichen Regungen kundzutun, die mit einem Gewinnen oder Verlieren des Spiels verbunden waren. Andererseits kam mir das so vor, als wolle man in einem Hundertmeterlauf gegen ein Motorrad antreten. Das mag ja zu Gottfried Daimlers Zeiten gerade noch lustig gewesen sein. Aber eines Tages würden die Programme und Maschinen formale Spiele, wie »Dame« oder auch »Schach«, sowieso immer gewinnen. Ein Spielen mit einem Computer kann zu einem gigantischen »waste of time« werden. Und so wurde ich in Sachen Computerspiele quasi ein »Abstinenzler« – was sich im Laufe der Jahre als sehr nutzbringend erwiesen hat. Aus der Sicht der Schulleitung schildert an dieser Stelle nun Richard Knapp, was aus der Computerbenutzung an der Schule zu Beginn der 2020er-Jahre geworden ist.

       Studiendirektor Richard Knapp, Leiter des Gymnasiums Michelstadt

       Exkurs – Computer in der Schule

      Wenn man das so liest, so erinnert man sich zurück an die ersten Schulcomputer zu Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre als die damaligen Vorboten einer neuen Zeit. Es war Ende der 1970-er-, Anfang der 1980-er- Jahre, als die ersten Computer ihren Weg in die Schulen fanden. Das waren keine wirklichen Arbeitsgeräte, sondern eher Maschinen, an denen sich kleine Gruppen von mathematisch Interessierten in Sachen Logik und Programmierung ausprobierten. Diese ersten Computer verschwanden irgendwann auf den Dachböden der Schulgebäude, denn sie wurden schnell von der nächsten Generation der Informationstechnik verdrängt, die leistungsfähiger und günstiger waren, das Betriebssystem war nutzerfreundlicher. Die PCs hielten langsam Einzug in die Schulen und zwar in zwei Bereichen. In der Verwaltung ersetzte der PC zunächst die Schreibmaschine. Es folgte eine einfache Datenverarbeitung, die zur Stundenplanerstellung genutzt werden konnte. Von dort führte ein direkter, aber langsamer Weg zur weitgehenden Digitalisierung der Verwaltung. Parallel dazu nutzten immer mehr Lehrkräfte den PC zur Erstellung von Unterrichtsmaterialien. Auch hier nahmen die Möglichkeiten mit zunehmender Leistungsfähigkeit der Geräte zu, ohne dass diese jedoch wirklich den Weg in die Klassenzimmer gefunden hätten. Eine Ausnahme bildeten die sogenannten »Computerräume«, in denen den Lernenden informationstechnische Grundkompetenzen beigebracht wurden.

      Zwei Neuerungen leiteten dann – so ab dem Jahr 2010 – einen fundamentalen Wandel ein. Die erste Neuerung war die zunehmende Bedeutung des Internets für die Lernenden. Es war zunächst als Informationsquelle wichtig, aber auch als Kommunikationsmedium über soziale Plattformen, wie zunächst Schüler-VZ und später Facebook und Instagram. Letztlich kamen die Schülerinnen und Schüler damit erst so richtig »ins Boot« der Informationsgesellschaft. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch eine zweite Neuerung. Die Verbreitung von Smartphones ermöglichte die Nutzung des Internets – vor allem für diese genannten Zwecke – auch mobil, immer und überall. Die Schulen arbeiteten an Regelungen, wie mit diesen Handheld-Computern umgegangen werden soll, ob sie im Unterricht und auf dem Pausenhof erlaubt oder verboten sein sollten. Für Schülerinnen und Schüler waren und sind Computer zuallererst Geräte für die Kommunikation und Unterhaltung. Es muss ihnen – zum Teil recht mühsam – erst noch beigebracht werden, dass man damit auch arbeiten kann.

      Die Informationsgesellschaft hat in den Jahren von 2015 bis 2020 den Unterricht in der Schule gewandelt. Im Schulunterricht kamen leistungsfähige Präsentationsgeräte, wie das interaktive Whiteboard auf. Ein weiterer Wandel wurde vor allem durch die Corona-Pandemie des Jahres 2020 beschleunigt. Bessere Endgeräte und Internetanbindungen ermöglichen die Nutzung von Online-Lernplattformen, Cloud-Lösungen und Videokonferenzsystemen im schulischen Alltag. Damit ergibt sich aktuell eine Situation mit großem Potenzial, aber auch nicht zu unterschätzenden Risiken.

      Durch finanzielle Unterstützungsprojekte, wie den sogenannten »Digitalpakt«, werden Schulen nach und nach in allen Räumen mit digitaler Infrastruktur, von Computern über Anzeigegeräte bis hin zu WLAN, ausgestattet. Gleichzeitig verfügen fast alle Schülerinnen und Schüler über private und portable Endgeräte, wie Smartphones, Tablets, Laptops. Der Ausdruck »bring your own device« kennzeichnet diese Situation.

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