Schreiben. Niklaus Meienberg

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Schreiben - Niklaus Meienberg

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      Über dieses Buch

      Sie machten Furore, die Reportagen Meienbergs, erregten Aufsehen, wurden viel gelesen und diskutiert. Sie waren genau recherchiert, dramaturgisch sorgfältig gebaut und brillant geschrieben, ihr streitlustiges Engagement fuhr wie ein frischer Wind in den prätentiös-bildungsbürgerlichen Mief der Feuilletons, und bis heute haben sie ihre Frische bewahrt.

      Dieses E-Book enthält die Texte zum Thema «Schreiben» aus Band 1 der Reportagen, ausgewählt und zusammengestellt von Marianne Fehr, Erwin Künzli und Jürg Zimmerli, Limmat Verlag, Zürich 2000:

      Inhalt

      Wer will unter die Journalisten?

      Leichenrede für den Journalisten Peter Frey oder Plädoyer für ein verschollenes métier

      Von unserem Pariser Korrespondenten (statt eines Vorworts)

      Auf einem fremden Stern, 1983

      Schwirrigkeiten des Bluck mit der Wirklklichkeit

      Eine Adventsansprache, gehalten vor den Mitgliedern des Art Directors Club Zürich, der Dachorganisation für Reklamiker, am 12. Dezember ’88

      Positiv denken! Utopien schenken!

      Mut zur Feigheit. Ein offener Brief an Salman Rushdie

      Zürich–Sarajevo. Offener Brief an den Chefredakteur von «Oslobodjenje» und sein Redaktionsteam

      Gefühle beim Öffnen der täglichen Post und Hinweis auf das «Interstellar Gas Experiment»

      St.Galler Diskurs bei der Preisübergabe

      Foto Roland Gretler

      Niklaus Meienberg (1940–1993), Historiker, Schriftsteller und Journalist. Er erfand die Reportage neu und dichtete ungeniert mit dem überlieferten Material europäischer Lyrik. Mit seinen Texten zur Zeitgeschichte war er ein grosser Streiter, dessen «Sprachgewalt» auch seine Feinde bewunderten. Wie kein zweiter hat sich Niklaus Meienberg der Öffentlichkeit ausgesetzt, seine ganze Person hat er in seine Texte eingebracht, und mit seiner ganzen Person ist er für sie eingestanden.

      Niklaus Meienberg

      Schreiben

      Ausgewählt und zusammengestellt von Marianne Fehr, Erwin Künzli und Jürg Zimmerli

      Limmat Verlag

      Zürich

      Wer will unter die Journalisten?

      Eine Berufsberatung 1972

      Da ist einer jung, kann zuhören, kann das Gehörte umsetzen in Geschriebenes, kann auch formulieren, das heisst denken, und denkt also, er möchte unter die Journalisten. Er hat Mut, hängt nicht am Geld und möchte vor allem schreiben.

      Er meldet sich auf einer Redaktion. Erste Frage: Haben Sie studiert? (Nicht: Können Sie schreiben?) Unter Studieren versteht man auf den Redaktionen den Besuch einer Universität, wenn möglich mit sogenanntem Abschluss, oder doch einige Semester, welche den akademischen Jargon garantieren. Hat der Kandidat nicht «studiert», aber doch schon geschrieben, so wird ihm der abgeschlossene Akademiker vorgezogen, der noch nicht geschrieben hat. Eine normale Redaktion zieht den unbeschriebenen Akademling schon deshalb vor, weil er sich durch eigenes und eigensinniges Schreiben noch keine besondere Persönlichkeit schaffen konnte. Er ist unbeschränkt formbar und verwurstbar. Er hat auf der Uni gelernt, wie man den Mund hält und die Wut hinunterschluckt, wenn man dem Abschluss zustrebt. Er ist besser dressiert als einer, der sofort nach der Matura oder Lehre schreibt. Er hat die herrschende Kultur inhaliert, der Stempel «lic. phil.» oder «Dr.» wird ihm aufgedruckt wie dem Schlachtvieh. Er ist brauchbar. (Damit soll nicht behauptet werden, dass die Autodidakten in jedem Fall weniger integriert oder integrierbar sind. Oft schielen sie gierig nach den bürgerlichen Kulturinstrumenten und haben nichts Dringenderes zu tun, als das Bestehende zu äffen.)

      Nehmen wir an, der junge Mann hält jetzt Einzug auf einer Redaktion. In grossen Zeitungen wird er zuerst durch die einzelnen Abteilungen geschleust, damit er einen Begriff vom Betrieb hat. Bald darf er redigieren, das heisst nicht schreiben, sondern das Geschriebene verwalten. Er wird mit dem Hausgeist vertraut. Er lernt die Tabus kennen und das Alphabet der Zeitungssprache. Er sieht, dass die Bombardierung der nordvietnamischen Zivilbevölkerung nicht «verbrecherisch», sondern «bedenklich» genannt wird. Er merkt, dass der Stadtpräsident nicht eine «Hetzrede» gegen die APO* * So wurden in den sech­ziger Jah­ren die Leute genannt, welche offen demons­trierten, was andere inwendig fühlten. Die Abkürzung bedeutet: Ausser­par­lamen­tari­sche Op­po­si­tion. hielt, obwohl es eine Hetzrede war, sondern, dass er «zur Besinnung» aufrief. Er lernt, dass Arbeiter nicht «auf die Strasse gestellt wurden», sondern «im Zuge der Rationalisierung eine Kompression des Personalbestandes» vorgenommen werden muss. Auch beobachtet er, wie aus den eingegangenen Meldungen einige gedruckt werden und andere nicht. Ein ganz natürlicher Vorgang, denn alles kann ja wirklich nicht gedruckt werden.

      Der Neuling sagt sich: zuerst lernen, nicht aufmucken, jedes Handwerk hat seine Regeln usw. (Die Zensur wird ihm stets mit dem Hinweis aufs Handwerk und seine unabänderlichen Regeln erklärt.) Und er hofft auf die Zukunft, wie schon im Gymnasium und auf der Uni. Er gelobt sich auch, es später besser zu machen, wenn er zum Schreiben kommt, nicht mit den ganzen Politikern verhängt zu sein und nicht mit jedem Stadt-, National- und Bundesrat auf du zu stehen, die Dinge beim Namen zu nennen. Nach zwei, drei Jahren ist es soweit, er darf kommentieren, etwas Wichtiges.

      Es trifft sich (nehmen wir an), dass er einen Kommentar zur Wahl des neuen Bundesrats X abgeben soll, der allgemein als verklemmter Streber bekannt ist und ausser seinem Machthunger nichts anzubieten hat. Unser Redaktor geht also hin, rekonstruiert den Aufstieg des X und schält die grossen Linien heraus. Manipulation der eigenen Partei durch X, Hervorkehrung des Biedersinns in den öffentlichen Ansprachen, hinterlistiges Abmeucheln von Konkurrenten, Abwesenheit von grossen Ideen, Bereicherung in Verwaltungsräten, Opportunismus in der Kommissionsarbeit, Verhinderung demokratischer Kontrolle in der eigenen Partei. Er geht hin und schreibt: «Bundesratskandidat X, der in seinem Heimatkanton allgemein als verklemmter Streber bekannt ist und ausser seinem Machthunger nichts anzubieten hat.» Er liest den Satz noch einmal, und da fällt ihm auf, dass der Ressort-Chef so etwas nicht durchgehen lässt. Also korrigiert er sich: «Bundesratskandidat X, dem allgemein eine etwas zu grosse Eilfertigkeit bei der Erklimmung der politischen Leitersprossen nachgesagt wird und ein etwas prononcierter Machtappetit –.» Und in dem Stil schreibt er weiter, nicht ohne Erwähnung der durchaus auch vorhandenen positiven Eigenschaften des X. Das Manuskript passiert knapp die Zensur des stirnrunzelnden Ressort-Chefs. Der Artikel erscheint, X liest ihn, telefoniert sofort dem Chefredaktor, seinem alten Kegelbruder und Jassfreund, und sagt: «Das hätte ich von dir nicht gedacht.» Der Chefredaktor zitiert den Jungredaktor, putzt ihm die Kutteln, und bei der nächsten Redaktionssitzung spricht er von Berücksichtigung aller Standpunkte, von nuanciertem Schreiben und ausgewogenem Journalismus, schwärmt von Objektivität und publizistischer Grundhaltung.

      Nachdem ihm derart auf den Schwanz getrampt wurde, geht der lädierte Jungmann in sich. Zwar durfte er anlässlich des Zusammenstosses viel Teilnahme erfahren, ein Teil der jüngeren Kollegen hat ihn unterstützt, auch einige von den älteren, er hat aufmunternde Telefonanrufe und Briefe erhalten (nebst einigen andern). Aber die Spontaneität ist angeschlagen, besser gesagt der Restbestand an Spontaneität, welcher nach seinen Lehrjahren übrigblieb. Er zieht sich ins Redigieren zurück, das wenige, was er schreibt, überprüft er auf seine Gefährlichkeit. Bald langweilt ihn seine Verwaltungsarbeit,

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