Schreiben. Niklaus Meienberg

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Schreiben - Niklaus Meienberg

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Er bittet um Versetzung in ein anderes Ressort. Man entschliesst sich, ihn als Reporter «einzusetzen», da kann er beobachten und muss nicht immer Stellung nehmen. Er beobachtet also sehr scharf die Gesichter der Polizisten, welche die Demonstration Y auflösen, und schreibt von diesen Gesichtern: «wutverzerrt». Nach genauer Befragung von 10 Demonstranten verschiedenen Alters stellt sich heraus, dass der Polizeivorstand die Keilerei geschickt provoziert hat. Der Reporter schreibt: «provoziert». Befriedigt lächelnd gibt der Polizeivorstand sogar zu, dass die Provokation gelungen ist. Der Reporter schreibt, er kann nicht anders: «Befriedigt lächelnd.» Da der Chef vom Dienst grad ein wenig schläfrig war, geht die Reportage durch. Anschliessend wird unser Reporter vom Lokalredaktor kräftig zusammengeschissen, da dieser ein Spezi des Polizeivorstands ist, und deshalb weiss der Lokalredaktor, dass der Polizeivorstand so etwas einfach nicht gemacht und gesagt haben kann, es liegt nicht in seiner Natur, er kennt ihn seit Studienzeiten. Fortan wird unser Reporter nur noch an Festakte und Einweihungen geschickt. Zwar hat er auch hier noch Lust, vom «langweiligen Gesumse einer stadtpräsidentlichen Rede» zu schreiben oder die Jahresversammlung des Rotary-Clubs ein «Symposium der regierenden Extremisten» zu nennen, aber er tut's nicht, seine Frau hat eben das zweite Kind bekommen, und seine Zeitung, die nette Firma, hat ihm einen Kredit gewährt, damit er ein Haus kaufen kann und damit er noch ein bisschen mehr von ihr abhängig ist.

      Nach einigem Vegetieren bittet er um Versetzung ins Feuilleton. Er hat nämlich beobachtet, dass im Feuilleton mit Abstand die kräftigste Sprache geführt werden kann. Nun darf er über Ausstellungen, Filme, Happenings und Bücher schreiben, darf die jungen Künstler fördern oder behindern. Er blüht auf. Er wird gedruckt. Meeresstille und glückliche Fahrt. Es wird so still um ihn, er wird für seine zuverlässige, wenn auch zupackende Art so allgemein gerühmt, sogar vom Chefredaktor, dass ihm unheimlich wird. Es kann nicht an seiner Methode liegen, denn er schreibt so, wie er es immer erträumt hat, so kritisch und unbestechlich-unbarmherzig. Also muss es am Gegenstand liegen. Langsam dämmert ihm, dass die Kultur nicht ernst genommen wird, weil sie nur von wenigen esoterischen Wesen goutiert werden kann, und ausserdem sind die Künstler keine Pressuregroup, welche so auf die Zeitung einwirken könnte wie ein Stadt- oder Bankpräsident. Auch entdeckt er ihre Ventilfunktion: die oppositionellen Energien, welche im Wirtschafts- oder politischen Teil nicht ausgetobt werden können, dürfen gefahrlos im Feuilleton verpuffen. Man lässt ihn also machen, unsern begabten Hofnarr, welchem aber die Lust am Schreiben entweicht, nachdem er seine Funktion entdeckt hat. Eines Tages hat er dann die Idee, den Begriff Kultur auch auf die Stadtplanung auszudehnen. Nach einigem Zögern, und da er nicht Grossgrundbesitzer ist und nur seine Arbeitskraft zu verkaufen hat, schlägt er sich auf die Seite der Allgemeinheit und schreibt im Namen der vorausblickenden Vernunft gegen die Partikularinteressen, welche die Stadt verstümmeln und ihre Umgebung unwirtlich machen. Nun hat er plötzlich wieder Echo, die Kollegen vom Wirtschaftsteil warnen vor gefährlichen Utopien, die Notabilitäten und Spektabilitäten schneiden bedenkliche Gesichter. Da er genau weiss, was kommt, wenn er weitermacht, und da sich auf der Redaktion nie eine Mehrheit für intelligente Stadtplanung ergeben wird und da er jetzt neben Frau und Kind auch noch eine recht teure Freundin hat, zieht er den Schwanz wieder ein und schreibt in seiner kühnen Art wieder über Filme, welche die Verhunzung der Städte zum Thema haben, oder über Bücher, die von korrupten Politikern berichten. Bücher und Filme beschreiben Zustände im Ausland. Dort ist alles viel schlimmer.

      Nun sitzt er still hinter seinem Pültchen und redigiert. Gestriegelt und geputzt. Heruntergeputzt. Brauchbar. Gereift. Ein angesehenes Mitglied der Redaktion, mit seinem launigen Stil. Er hat gemerkt, dass zwischen Denken und Schreiben ein Unterschied ist, und so abgestumpft ist er noch nicht, dass er glaubt, was er schreibt. Aber er sieht jetzt ein, dass Journalismus eine Möglichkeit ist, sein Leben zu verdienen, so wie Erdnüsschenverkaufen oder Marronirösten. An Veränderung innerhalb der angestammten Zeitung ist nicht mehr zu denken, in den Wirtschaftsteil kann er nicht, es ist ihm nicht gegeben, so unverständlich zu schreiben und so konstant an den Dingen vorbei. Für den Sport kommt er nicht in Frage, da ist er zu wenig rasant, es fehlt ihm der Dampf und die immerwährende Fröhlichkeit, auch die gewisse Trottelhaftigkeit, welche ihn an den Sport glauben liesse. Aber vielleicht ins Ausland, als Korrespondent, ein hübscher Posten in Paris oder London? Da hockt er an der Peripherie und hat noch weniger Einfluss. Vielleicht Mitarbeit bei «Roter Gallus», «Agitation», «Focus» oder «zürcher student»? Davon kann er nicht leben, und er will nicht nur für die Eingeweihten schreiben, will unter die Leute kommen mit seinen Artikeln. Bleibt noch ein Umsteigen in andere Zeitungen, Radio und/oder Fernsehen. Mit seinen Freunden, welche dort arbeiten, hat er das Problem am Stammtisch in der «Stadt Madrid» besprochen. Sie raten ihm ab: er würde genau dieselben oder noch viel ärgere Verhältnisse treffen als bei der angestammten Zeitung.

      Also bleibt er, wie schon gesagt, hinter seinem Pültchen sitzen, mit fünfunddreissig resigniert, charakterlich gefestigt und bekannt für seinen geistreichen Stil. Seine Widerborstigkeit schwindet, immer weniger geht ihm gegen den Strich. Einige Zeit noch beobachtet er bitter den Zerfall seiner Berufskultur, später nennt er diesen Zerfall: Realismus. Er gilt jetzt nicht mehr als Querulant und Psychopath, er wird normal im Sinn der journalistischen Norm. Das Leben ist kurz, er möchte noch etwas davon haben, bevor seine Genussfähigkeit abnimmt. Und überhaupt, was soll der Einzelkampf, er kann sich mit keiner Gruppe solidarisieren. Kein Journalistenverein, auch keine Fraktion, kämpft für diesen Journalismus, der ihm vorschwebte.

      An Sonn- und allgemeinen Feiertagen hat er manchmal noch eine Vision. Er träumt von einer brauchbaren Zeitung. Mit Redaktoren, die nicht immer von Lesern (die sie nicht kennen) schwatzen, denen man dies und das nicht zutrauen könne. Sondern welche gemerkt haben, dass sich auch der Leser ändern kann. Eine Zeitung, welche ihre Mitarbeiter nach den Kriterien der Intelligenz und Unbestechlichkeit und Schreibfähigkeit aussucht und nicht nach ihrer Willfährigkeit gegenüber der wirtschaftlichen und politischen Macht. Eine bewusste Zeitung, aus einem Guss und mit Konzept. Die sich von ein paar wütenden Anrufen und Abbestellungen nicht aus dem Konzept bringen lässt. Geleitet von einem demokratisch gewählten Chefredaktor oder Redaktionskollegium und im Besitz der Mitarbeiter. Eine Zeitung ungefähr wie «Le Monde», welche die Herrschenden einmal so sehr gestört hat, dass sie durch einen speziell gegründeten «Anti-Le Monde» liquidiert werden sollte. (Was dank der redaktionellen Solidarität von «Le Monde» misslang.) Oder eine Zeitung wenigstens, wo alle Mitarbeiter sofort streiken und den Betrieb besetzen, wenn der Verleger einen guten Mann entfernen will. Oder ein Organ, wo Leute wie Karl Kraus und Kurt Tucholsky ständig schreiben könnten. Oder ein Blatt, wo einer wenigstens nicht bestraft wird, wenn er gründlich recherchiert und brillant formuliert …

      Nachdem er einmal besonders schön geträumt hatte, nahm er einen Strick und, in einem letzten Aufwallen beruflichen Stolzes, hängte sich auf. Im Lokalteil kam ein Nachruf: «… und werden wir den allseits geschätzten, pflichtbewusst-treuen Mitarbeiter nicht so schnell vergessen, der, von einer Depression heimgesucht, FREIWILLIG aus dem Leben geschieden ist.» Pfarrer Vogelsanger hielt die Abdankung, der gemischte Chor Fraumünster sang: «So nimm denn meine Hände und führe mich.» Der Verschiedene wurde versenkt und verfaulte sofort.

      Leichenrede für den Journalisten Peter Frey

      oder Plädoyer für ein verschollenes Métier

      Der geht mir nicht klanglos zum Orkus hinab! Nicht der.

      «Eines Morgens Ende April 1945 sahen die Anwohner des kleinen Halensees in Berlin unzählige weisse Flecken auf der Oberfläche des schwarzen Wassers. Bei genauerem Hinsehen erkannten sie Gipsmodelle, wie sie Bildhauer anfertigen, bevor sie eine Skulptur in Metall giessen. Diese Gipsmodelle hatten die Sonderbarkeit, dass sie die Gesichtszüge von Würdenträgern des Naziregimes trugen. Dass sie jetzt wie Schwäne auf dem See herumschwammen, hatte seine Ursache in der Panik ihres Schöpfers. Beim Herannahen der sowjetischen Truppen wollte der Bildhauer Schimmelpfennig, der am Seeufer ein Atelier hatte, jede Spur seiner nazifreundlichen Tätigkeit zum Verschwinden bringen, und da die Gipsköpfe eindeutige Beweise seiner Arbeit zur künstlerischen Verherrlichung von Leuten wie Hitler, Göring, Goebbels und anderen darstellten, versuchte er,

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