Es ist kalt in Brandenburg. Niklaus Meienberg

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Es ist kalt in Brandenburg - Niklaus Meienberg

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Bild kommt. Man kann nicht so tun, als ob die Geschichte 1941 eingefroren wäre (beim Tod von Maurice), seither ist viel passiert, auf allen Gebieten, 1955 wurde zum Beispiel die Strafsache Bavaud wieder aufgerollt im sogenannten Wiedergutmachungsprozess, und dieser zweite Prozess ist vielleicht so wahnwitzig wie der erste.

      Wir haben einen Film gemacht und sind, mit der Kamera bewaffnet, Bavaud nachgereist, welcher mit der Pistole bewaffnet war und einem Diktator nachgereist ist.

      Wozu Geschichte?

      Der Diktator ist tot, seine Zeit auch, und wird in dieser Form nicht auferstehen. Maurice ist auch tot, der Film nützt ihm nichts, und ob er der Familie Bavaud, den fünf hinterbliebenen Geschwistern nützt und der greisen Mutter, ist unsicher. Statt dieses Attentat mit der Kamera nachzuvollziehen, hätten wir in all der aufgewendeten Zeit selbst ein Attentat vorbereiten können, an Diktatoren mangelt es nicht, Pinochet, Somoza, der Schah war auch noch im Saft, als wir zu filmen begannen. (Bavaud hat für seine Attentatsvorbereitungen weniger Zeit gebraucht als wir für den Film.)

      Wir haben nicht genügend Courage für ein Attentat, sind vielleicht auch nicht von seiner Nützlichkeit überzeugt; oder reden uns das nur ein, weil wir nicht genügend Courage haben.

      Beim Filmen haben wir nichts riskiert ausser Nerven und viel Zeit. Der tote Attentäter hat uns jahrelang den Lebensrhythmus diktiert. Maurice hat bei seinen Reisen in Deutschland das Leben gewagt, das gibt ein Missverhältnis zwischen ihm und uns. Man kann jetzt in den beiden Deutschländern ohne Gefahr herumreisen und forschen, nur manchmal wird man ein bisschen schikaniert, und eine historische Erinnerung läuft vielleicht den Rücken herunter, wenn man heute im einen Deutschland die schwerbewachten Gefängnisse, in denen Bavaud damals eingesperrt war, und all die Maschinenpistolen und Polizisten sieht und die gründlichen Sicherheitsmassnahmen, und im andern Deutschland die Stiefel paradieren sieht – aber davon später.

      Übrigens sind die Gefängnisse heute in Deutschland besser gesichert als damals. Auch der Bundeskanzler wird schärfer bewacht als der Reichskanzler im Jahre ’38. Das ist nötig, weil auch die Attentäter effizienter geworden sind.

      (Effizient, aber nutzlos. Seltsame Zeitverschiebung. Die Baader-Meinhof-Gruppe hat sich in der Epoche geirrt, ist zu spät gekommen. Im Jahre ’38 ein paar gut und generalstabsmässig durchgeführte Attentate: und jeder Demokrat hätte sich gefreut, nicht nur klammheimlich. Eins für Himmler, eins für Göring, eins für H.)

      Der Generalstab wagte damals kein Attentat. Nur Bavaud hatte schon den Mut.

      Der muss beschrieben werden, nachdem er gefilmt wurde. Wenn man gefilmt hat, schreibt man anders, als wenn man nur zu Schreibzwecken unterwegs gewesen ist – vier sehen mehr als einer, und die Kamera protokolliert.

      ***

      Weil wir der Geschichte von Maurice jetzt nachgegangen sind, 1978–1980, können wir von der Gegenwart nicht abstrahieren. Es spielt eine Rolle, ob man diese Biographie 1947, 1955, 1968 oder 1979 erforscht. Wir sind 1938 nicht dabeigewesen.

      Aber von den Leuten, welche Bavaud damals angetroffen hat, leben einige noch, und was sie heute meinen, ist vielleicht so erheblich wie ihre Gedanken von gestern. Die Geschichte ist nicht ein sauber abgezirkeltes Gärtchen, ein chemisch herauspräpariertes Produkt, das im Fall Bavaud von der Jahreszahl 1941 eingehagt wird. Und sie entsteht nicht unabhängig von den Geschichts-Schreibern. Weil die Mutter seiner Frau in Plötzensee enthauptet wurde wie Maurice, schreibt Hochhuth anders als Urner, der behütete NZZ-Historiker. Ein etablierter Mensch wird für die Unberechenbarkeit und das jugendliche Draufgängertum von Maurice weniger übrig haben als Nicht-Etablierte, und die Zustände in einem katholischen Internat bedeuten etwas anderes für ehemalige Internatszöglinge, als für einen akademischen Dörrkopf.

      Das sind Binsenwahrheiten, aber weil es immer noch Historiker gibt, welche im Ernst meinen, wie der Heilige Geist in völliger Abgelöstheit respektive Objektivität über der Wirklichkeit zu schweben, und ihre eigenen Arbeits- und Karrierebedingungen nicht reflektieren, muss nochmals kurz daran erinnert werden.

      Auch ist es nutzlos, sich rückwirkend zu ereifern über die Grausamkeit des Dritten Reichs und längst vergangene Zustände des langen und breiten zu schildern, damit sich der Bürger einen behaglichen Nachmittag macht mit dieser Lektüre und feststellt: Wie schlimm war es damals, wie gut ist es heute; und angenehm frösteln darf in Erinnerung an böse Zeiten – nutzlos, wenn man dabei vergisst, dass Spurenelemente von damals noch vorhanden sind und Anpassung, Feigheit, Unterwürfigkeit, Mangel an rebellischem Geist, Staats-Hörigkeit, Untertanengeist, Behördengläubigkeit, Bravheit, Bequemlichkeit, Borniertheit, Karrierismus, Verklemmtheit und Strebertum, welche das Terrorregime nicht geschaffen, aber ermöglicht haben, immer noch leben.

      Man kann ihnen nicht ausweichen, wenn man heute auf den Spuren von Maurice Bavaud unterwegs ist.

      Vielfach Nebel und Hochnebel

      Die Urteilsbegründung des Volksgerichtshofes, 2. Senat, betr. die öffentliche Sitzung vom 18. Dezember 1939, hält fest:

      Nachdem der Angeklagte auf der Nebenstelle der Dresdner Bank unter den Linden noch den gesamten Restbetrag seines Reisekreditbriefes in Höhe von 305.– RM sich hatte auszahlen lassen, begab er sich nach dem Anhalter Bahnhof und fuhr nach Berchtesgaden ab. Dort traf er im Laufe des 25. Oktober 1938 ein, nahm im dortigen Hotel «Stiftskeller» Wohnung und blieb bis zum 31. Oktober 1938 im genannten Ort.

      Der genannte Ort muss damals, wenn man dem «Berchtesgadener Anzeiger» Glauben schenken kann, eine beträchtliche Anziehung auf Touristen ausgeübt haben. Für den Monat August 1938 wurden, wie das Fachorgan «Der Fremdenverkehr» vermerkte, in Berchtesgaden und Umgebung 77 948 Übernachtungen gezählt. Man konnte hier oben Schuhplattler-Aufführungen sehen, verträumte Kapellen, eine bedeutende Stiftskirche, relativ unberührte Berge, ein Ganghofer-Denkmal und Hitler. Dieser hatte, seit er in seinem Berghof die Landschaft genoss, eine erkleckliche Vermehrung des Fremdenverkehrs bewirkt. Man hatte ihm auf einer Erhebung, der Reichskanzler-Adolf-Hitler-Höhe, einen Gedenkstein hingesetzt, das dankbare Gewerbe hatte allen Grund dazu. Die Präsenz des bekannten Politikers brachte nicht nur zusätzliche Touristen ins Gebirge, sondern auch einen Tross von Bediensteten, Polizisten, Soldaten, Ministerialbeamten. Gleich hinter Berchtesgaden, in Bischofswiesen, war eine Aussenstelle der Reichskanzlei gebaut worden.

      «Fast jeden Tag», schreibt Josef Geiss in seiner schön bebilderten Broschüre, «besuchten Hitler Hunderte von Menschen». Er hat sich ihnen gern und oft gezeigt und Tuchfühlung mit dem Volk gehabt, Hände gedrückt, Kinder gestreichelt, ein paar freundliche Worte gewechselt. Hier war er zugänglicher als in Berlin, volkstümlicher, fast unzeremoniös, die Höhenluft hat ihn halt entspannt. Man konnte gruppenweise zum Berghof pilgern, Metalldetektoren wie heute in den Flughäfen gab es nicht, eine manuelle Durchsuchung fand nur in Ausnahmefällen statt, die Besuchergruppen wurden von den Wachtposten oberflächlich gemustert.

      Er war populär.

      Im Oktober war allerdings die Führer-Sightseeing-Sason schon vorbei, es gab nur noch wenige Gruppen, denen ein unauffälliger Schweizer Tourist sich hätte anschliessen können. Aber so ganz unmöglich war das nicht. Ein PR-Film des Verkehrsvereins Berchtesgaden, der im Archiv des Verkehrsvereins Berchtesgaden liegt und heute vom Verkehrsverein Berchtesgaden nicht mehr propagandistisch eingesetzt wird, denn er ist ein Stummfilm und auch politisch nicht ganz auf dem neuesten Stand, zeigt, auf eine muntere Art, wie nahe man dem Führer auf die Haut rücken konnte. Man sieht eine Reisegesellschaft, die irgendwo im Unterland den Zug besteigt, einfache Leute, die sich an der Natur und den Monumenten freuen, erster Halt München, Frauenkirche, Feldherrnhalle, Braunes Haus. Dann zunehmend gebirgige Landschaft, Winken aus den Fenstern, Verzehr von Reiseproviant, gute Laune, Ankunft in Berchtesgaden, Schuhplattler von der

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