Wenn Sie kein Feigling sind, Herr Pfarrer. Suzann-Viola Renninger
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Über dieses Buch
Werner Kriesi, geboren 1932, lernt zuerst Schreiner, wird zum evangelikalen Prediger ausgebildet und arbeitet nach einem Theologiestudium dreissig Jahre als reformierter Pfarrer. Kurz vor seiner Pensionierung bittet ein Gemeindemitglied: «Nächste Woche will ich sterben. Wenn Sie kein Feigling sind, Herr Pfarrer …» Werner Kriesi sagt zu, und bald wird er Freitodbegleiter bei der Sterbehilfeorganisation Exit. Seither hat Werner Kriesi hunderte Menschen beim Sterben begleitet. Unheilbar Kranke, Lebenssatte, Verzweifelte, Zufriedene. Von der jungen, an Krebs erkrankten Mutter über den Wissenschaftler mit beginnender Demenz bis zum katholischen Priester, der mit Gott im Reinen ist.
In zahlreichen Gesprächen hat Werner Kriesi der Philosophin Suzann-Viola Renninger aus seinem Leben und von seinen Freitodbegleitungen erzählt. Sie haben diskutiert über das Sterbenwollen, Sterbenkönnen, Sterbendürfen. Eingeschoben sind Passagen über die moralischen Dilemmas, über philosophische und theologische Fragen, über die Geschichte des Freitods und der Schweizer Sterbehilfe und über den gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit dem Sterbewillen kranker und verzweifelter Menschen. Herausgekommen ist ein packendes, lebensnahes Buch, das sich von jeglichen Dogmatiken ab- und dem Erleben zuwendet: dem, was Menschen dazu bewegt, die Tür zum Freitod aufzustossen.
Herausgekommen ist ein packendes, lebensnahes Buch, das sich von jeglichen Dogmatiken ab- und dem Erleben zuwendet: dem, was Menschen dazu bewegt, die Tür zum Freitod aufzustoßen.
«Die Bibel erteilte der Ungleichheit zwischen Frauen und Männern den göttlichen Segen. Inzwischen haben sich die Frauen von diesem Erbe befreit. Die herkömmlichen Bibelinterpretationenen nahmen dem Menschen auch die Freiheit, über die Stunde des eigenen Todes selbst zu bestimmen. Dieses wegweisende Buch zeigt, warum wir auch in dieser Frage autonom werden sollten. Ein mutiges Buch über einen weisen Mann!» Carel van Schaik
Foto: Giorgio von Arb
Suzann-Viola Renninger promovierte nach einem Studium der Naturwissenschaften in Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Heute arbeitet sie als Philosophin an der Universität Zürich und war bis Herbst 2021 Leiterin des Ressorts Philosophie der Volkshochschule Zürich.
Suzann-Viola Renninger
Wenn Sie kein Feigling sind, Herr Pfarrer
Werner Kriesi hilft sterben
Limmat Verlag
Zürich
Für meinen Vater
für Dinah
«Denn da ich es wollte verschweigen,
verschmachteten meine Gebeine.»
Psalm 32.3
Die Erzählungen über folgende Personen sind anonymisiert und so verändert worden, dass einerseits die Identifikation nicht möglich ist, anderseits der Kern der Situation erhalten bleibt: Andelka, Judith, Martha, Simon, C. Sanders, die Jugendliebe, R. Wyrsch, der Staatsanwalt (Spaziergang auf dem Albis), Frau Elgar, David, Marie.
Was sagen Ihre Angehörigen dazu?
Sie wissen, dass ich mich nicht von ihnen pflegen lassen will.
Und ein Pflegeheim?
Nein. Auf keinen Fall.
Weil Sie nicht gewickelt und gefüttert werden wollen?
Niemals. Ich will bis an mein Lebensende denkfähig, sprachfähig, gehfähig sein.
Ein rechter Rigorismus.
Ja, meine heilige Trinität.
Werner Kriesi
Geb. 21. September 1932
Von Rafz und Dübendorf
Persönliche Erklärung als Ergänzung zu meiner Patientenverfügung
Im Rückblick auf mein langes und insgesamt erfülltes Leben verstehe ich den Tod nicht als Tragödie, auch nicht als Strafe, sondern als natürliches Geschehen, dem alles Leben unterworfen ist.
Die Begrenzung unseres irdischen Daseins durch den Tod verleiht unserer menschlichen Existenz die inhaltsreiche Dichte und Intensität, die uns vor einer gedankenlosen und oberflächlichen Lebensführung bewahren kann, sofern wir uns bewusst sind, dass allein die Gesetze des Werdens und Vergehens eine dynamische Fortentwicklung allen Lebens ermöglichen. Ob der Tod zu einem definitiven Ende unserer Existenz führt oder ob er die Türe öffnet zu einer neuen, uns unbekannten Form eines «überirdischen» Lebens, wissen wir nicht – und brauchen es auch nicht zu wissen.
Getragen von der Gewissheit, dass der Tod einem tieferen Sinne entspricht und wir ihn deshalb nicht zu fürchten brauchen, will ich mein Leben nicht mit allen medizinischen Mitteln, die uns heute zur Verfügung stehen, künstlich in die Länge ziehen. Solange ich trotz meinem hohen Alter mein Leben noch frei und vielfältig gestalten kann, bin ich gerne noch am Leben. Dies vor allem im Hinblick auf meine nächsten Angehörigen und meinen großen Freundeskreis. Aber nicht um jeden Preis!
Ich bin nicht bereit, medizinische Behandlungen über mich ergehen zu lassen, die mich wohl am Leben erhalten, die aber zu einem Alterssiechtum führen könnten. Ich will keinen Verlust meiner geistigen Kräfte in Kauf nehmen. Ich will nur leben, solange meine Denk- und Sprachfähigkeit mir voll erhalten bleibt. Ich bin nicht bereit, in ein Alters- oder Pflegeheim einzutreten. Ich will keinerlei Art einer Pflegeabhängigkeit erdulden müssen. Ich will meinen Angehörigen niemals zur Last fallen. Ich erkenne keinen Sinn darin, während meiner letzten Lebensjahre, körperlich und geistig abgebaut, als Schatten meiner selbst dahinvegetieren zu müssen. Eher bin ich bereit, die Stunde meines Sterbens selber zu bestimmen und in würdiger Form mein Leben dann zu beenden, wenn ich dies für angemessen erachte.
Mit dieser persönlichen Erklärung fälle ich kein Werturteil über würdiges oder unwürdiges Leben im hohen Alter, das allgemeine Gültigkeit beanspruchen soll. Ich verstehe mein Denken als konsequent subjektive Wertung, die meiner eigenen Einstellung zum Leben und Sterben entspricht.
Diese Erklärung lässt einigen Spielraum der Interpretation meinen mich behandelnden Ärztinnen und Ärzte in einer Situation, in welcher ich selber nicht mehr ansprechbar sein sollte. In der beiliegenden Patientenverfügung sind die Personen aufgelistet, die befugt sind, an einer notwendigen Entscheidung mitzuwirken.
8135 Langnau am Albis, am 23. April 2020
Werner Kriesi
Glaub niemandem, der vom Schreibtisch aus philosophiert
Zu diesem Buch
Meist wissen wir ohne große Überlegungen, was wir zu tun haben, welche Entscheidungen richtig und welche Handlungen moralisch sind. Doch es gibt Situationen, in denen Gefühl und Verstand Gegensätzliches nahelegen. Wir schwanken und können der Frage nicht ausweichen: Was soll ich tun? Was soll ich tun, wenn ich nicht mehr leben mag, weil das Leiden zu groß ist? Was soll ich tun, wenn ein naher Angehöriger oder eine enge Freundin das Leben nicht mehr aushält und mich bittet, beim Sterben zu helfen?
Unsere moralische Orientierung umfängt uns. Wir wachsen in sie hinein, sie wird geformt durch das, was wir seit frühester Kindheit erleben.