Literaturwissenschaften in der Krise. Группа авторов

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Literaturwissenschaften in der Krise - Группа авторов Herausforderungen für die Geisteswissenschaften - Challenges for the Humanities

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mit den Möglichkeiten dramatischer Texte und Praktiken zur Ausprägung eines ökonomischen Bewusstseins im Deutschunterricht auseinander. Anhand des Begriffs der ›literarischen Ökonomik‹ (der Verzahnung von Literatur- und Wirtschaftswissenschaft) analysiert Heiderich verschiedene, vor allem zeitgenössische Theaterstücke im Hinblick auf ihre Darstellung der Finanzwelt, von Arbeit, Geld und Börsenhandel und stellt Überlegungen zur bisher eher zögerlichen didaktischen Auseinandersetzung und Aufbereitung solcher Diskurse für die Anwendung im Literaturunterricht an. Das Kapitel schließt mit einem Plädoyer für eine ›ökonomie-sensible‹ Lektüre- und Theaterpraxis im Unterricht, die Schüler*innen für die vielfältigen wirtschaftlichen Diskurse, in die sie in ihrem alltäglichen und zukünftigen Leben eingebunden sind und sein werden, sensibilisieren (und auch wappnen) könnte.

      In Kapitel zwölf setzen sich Julian Ingelmann und Christian Dinger kritisch mit der Frage auseinander, warum die Literaturwissenschaft scheinbar in einer Sinnkrise bezüglich der allgemeinkulturellen Vermittelbarkeit ihrer eigenen Relevanz zu stecken scheint, und zeigen Parallelen und Anknüpfungspunkte der Literaturwissenschaft zu den Vermittlungsformen neuer Medien – vor allem zum auf Youtube verbreiteten Format des Videoessays – auf. Der Erfolg dieser neuen Medien, gerade wenn sie sich mit literatur- und sprachwissenschaftlichen Kernthemen auseinandersetzen (wie hier am Beispiel des Videoessays How Donald Trump answers a question gezeigt wird), spricht, so Dinger und Ingelmann, für ein breites öffentliches Interesse an Themen aus dem Bereich der Sprache und Literatur, das durch eine Öffnung der Literaturwissenschaft gegenüber diesen neuen Formen der Literaturvermittlung als Argument für die Aktualität literaturwissenschaftlicher Themen und Methoden nutzbar gemacht werden könnte.

      Daniela Roth setzt sich in Kapitel dreizehn kritisch mit der Rolle der Gegenwartsliteratur als Spiegel aktueller Themen und Diskurse (hier konkret der deutschen Flüchtlingspolitik und gesellschaftlicher Reaktionen auf diese) auseinander und argumentiert, dass sich auch die Literaturwissenschaft fragen muss, wie sich ihre Begrifflichkeiten (hier das Stichwort Transnationalismus) auf den Umgang mit solchen Problemen und Fragestellungen auswirken. Am Beispiel von Jenny Erpenbecks Roman Gehen, ging, gegangen zeigt Roth, wie zeitgenössische Texte die Problematik transnationaler Mobilität in Kontexten diskutieren können, in denen selbstbestimmte grenzüberschreitende Bewegungen eben gerade nicht Teil der Erfahrungswelt der Geflüchteten sind, und argumentiert, dass in Erpenbecks kontrovers diskutiertem Text auch »bildungsbürgerliche und literatur- sowie geisteswissenschaftliche Ansätze und Denkmuster (selbst-)kritisch reflektiert werden.«

      In Kapitel vierzehn bietet Tom Reiss eine erste kritische Intervention zum Krisenbegriff, der aktuell auf so unterschiedliche Diskussionsgegenstände wie persönliche Ausnahmezustände von Geflüchteten und die kritische Auseinandersetzung der Literaturwissenschaften mit ihrem eigenen Selbstverständnis Anwendung findet. Reiss konstatiert einen problematischen Zusammenhang zwischen beiden Anwendungsbereichen, der sich über eine ernsthafte Auseinandersetzung der Literaturwissenschaften mit Fluchtnarrativen lösen ließe. »Die Öffnung der Literaturwissenschaften für Geflüchtete ist eine Frage des Selbsterhaltes«, argumentiert Reiss, und schlägt hierfür eine Reihe von Strategien vor – eine Demokratisierung von Kanon und Diskurs, die Auseinandersetzung mit den Grundbedingungen von Narration, eine kritische Hinterfragung von Nationalphilologien und Öffnung von wissenschaftlichen Perspektiven für deren durch Kolonialismus erzeugte globale Verbindungen sowie eine kritische Auseinandersetzung der Literaturwissenschaften mit dem eigenen Selbstverständnis, um die Krise weniger als Notstand und mehr als Chance zur Nutzung der eigenen Fähigkeiten zur Auseinandersetzung mit Krisen zu begreifen.

      Swen Schulte Eickholt argumentiert in Kapitel fünfzehn ebenfalls für eine kritische Auseinandersetzung mit aktuellen kulturellen und politischen Diskursen, die oft einfache Lösungen und griffige Slogans über die notwendige Auseinandersetzung mit komplexen Problemlagen stellen und so Populisten, die scheinbar einfache Lösungen anbieten, Tür und Tor öffnen. Dagegen setzt Schulte Eickholt eine Argumentation für einen dynamischen Begriff des Interkulturellen, für eine Neubewertung des Verstehensbegriffs und für eine engagierte und standortbestimmte Literaturwissenschaft, die sich »der Komplexität einer Welt aus den Fugen« stellt und sich gegen ihre Vereinfachung einsetzt.

      John Kinsellas didaktische, poetische und kulturkritische Auseinandersetzung mit Hölderlins Werk in Kapitel sechzehn zielt darauf ab, Literatur(wissenschaft) als Strategie des Widerstands zu etablieren – gegen konformistische Textlektüren, die Argumente, wie kritisch sie auch immer sein mögen, lediglich wiederholen, anstatt sie effektiv zu nutzen. Dagegen setzt Kinsella, gleichermaßen Poet und Literaturwissenschaftler, ein Plädoyer für einen neuen Umgang mit Texten, der das Umschreiben, das Rekontextualisieren und auf die eigene Situation Beziehen sowie das Öffnen von Leerstellen und Abwesenheiten aus dem Text in den Mittelpunkt literaturwissenschaftlicher und ‑didaktischer Arbeit stellt. Kinsella zeigt dies am Beispiel seiner eigenen poetischen Auseinandersetzung mit und »Verstörung« von Hölderlins Gedichten ebenso wie in der Frage nach der Möglichkeit, Bildung zu entschulen und Wissen stärker in den Dienst der Gemeinschaft, des Schutzes der Umwelt und einer erstrebenswerten Zukunft zu stellen.

      Matthias N. Lorenz prangert im siebzehnten Kapitel Missstände im deutschen Hochschulsystem – wie etwa prekäre Beschäftigungsverhältnisse sowie feudale Hierarchien bzw. Abhängigkeitsverhältnisse von Mittelbauwissenschaftler*innen – an. Er deutet solche Missstände als lokale Symptome weitreichender globaler Krisen. Nur durch eine Überwindung der Kluft zwischen den laut geäußerten linksliberalen Theorien vieler Literaturwissenschaftler*innen und der gleichzeitig oft ausbeuterischen Praxis im akademischen Alltag durch eine vielerorts bereits begonnene (jedoch leider häufig unstrukturierte und nicht zielgerichtete) Reform der hochschulinternen Strukturen können universitäre Forschung und Lehre überzeugende Antworten auf die globale Krise geben.

      Mögliche Interventionen im Sinne einer extrovertierten (d.h. nicht auf ihre eigene Krise, sondern nach außen gerichteten) Literaturwissenschaft stehen auch im Zentrum des Schlussworts dieses Bandes, mit dem wir einen Beitrag zu einer Neuinterpretation der Rolle der Literaturwissenschaften (und Geisteswissenschaften) in globalen Krisenzeiten leisten möchten.

      Literatur

      Alford, Ryan (2017). Permanent State of Emergency: Unchecked Executive Power and the Demise of the Rule of Law. Montreal: McGill Queen’s University Press.

      Amnesty (2017). Amnesty International Report 2016/2017: The State of the World’s Human Rights. London: Amnesty International.

      Avent, Ryan (2017). The Wealth of Humans: Work and its Abuses in the Twenty-First Century. London: Penguin.

      Bales, Kevin (2012). Disposable People: New Slavery in the Global Economy. 2nd ed. Berkeley: University of California Press.

      Blom, Philipp (2017). Was auf dem Spiel steht. München: Hanser.

      Cameron, Nigel M. de S. (2017). Will Robots Take Your Job? A Plea for Consensus. Cambridge: Polity.

      Colebrook, Claire (2014). Death of the PostHuman. Ann Arbor: Open Humanities Press.

      Doerry, Martin (2017). ›Germanistik-Studium: Wer war Goethe? Keine Ahnung, irgendso’n Toter.‹ Der Spiegel (6. Februar) http://www.spiegel.de/spiegel/germanistik-studium-wo-die-chancen-fuer-germanistik-studenten-liegen-a-1133069.html

      Drügh, Heinz, Susanne Komfort-Hein und Albrecht Koschorke (2017). ›Krise der Germanistik?: Wir Todgeweihten grüßen euch!‹ Frankfurter Allgemeine Zeitung Feuilleton (9. Februar). http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/krise-der-germanistik-antwort-von-heinz-druegh-susanne-komfort-hein-und-albrecht-koschorke-14868192.html

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