"Das strittige Gebiet zwischen Wissenschaft und Kunst". Chiara Maria Buglioni

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weil Partizipation immer eine Bedeutungsaushandlung im Kontext der verschiedenen Mitgliedsformen in mehreren Gemeinschaften beinhaltet, was mit dem Hauptmerkmal der Gegenseitigkeit zusammenfällt. Die gegenseitige Anerkennung durch die Partizipation führt zur Identitätsbildung: Menschen bilden ihre eigene Identität, indem sie sich selbst in den Anderen erkennen und die Verantwortung für die Bedeutungen übernehmen, die sie stets entwickeln.

      Das Wort Verdinglichung bezeichnet indessen zum einen den Prozess, durch den die Menschen ihre Erfahrung gestalten, indem sie Gegenstände erzeugen, die eine solche Erfahrung zur Dinglichkeit werden lassen; zum anderen weist es auch auf den hierdurch erzeugten Gegenstand hin. Menschen projizieren ihre Bedeutungen in die Welt hinein und spüren dann diese Bedeutungen, als wären sie lebendig in der Welt, als hätten sie ein unabhängiges Leben. Dabei bilden Menschen Fokuspunkte, um welche die Bedeutungsaushandlung organisiert werden kann: Verdinglichung modelliert somit jede menschliche Erfahrung. Bei der Verdinglichung projiziert man sich selbst in die Welt und, da man sich selbst in solchen Projektionen nicht unbedingt wiedererkennen muss, schreibt man den eigenen Bedeutungen eine selbstständige Existenz zu. Menschliche Erfahrung und die gesamte Welt sind daher immer in festgesetzten Formen kristallisiert, d.h. als Gegenstände hervorgebracht: »Any Community of Practice produces abstractions, tools, symbols, stories, terms, and concepts that reify something of that practice in a congealed form« (59). Diese Aussage erklärt erneut, dass Verdinglichung auf Partizipation beruht, denn alles, was ausgedrückt oder dargestellt wird, setzt als Kontext für seine Interpretation eine Partizipationsgeschichte voraus. Ihrerseits formiert sich Partizipation um Verdinglichung herum, weil sie prinzipiell Gegenstände, Konzepte und Worte einbezieht, die ihren Ablauf ermöglichen (67).

      Eine praxisorientierte Gemeinschaft lässt sich dann als eine Sozialstruktur beschreiben, die aus Personen besteht, die sich in einem spezifischen Wissensbereich an einem Prozess vom kollektiven Lernen beteiligen – anders formuliert, sie häufen Wissen zusammen an und sind durch den Wert verbunden, den sie dem Zusammen-Lernen beimessen. Nicht jede Gruppe kann sich als Community of Practice bezeichnen, weil sie gleichzeitig drei Kernelemente umfassen muss: Als erstes Element benötigt sie einen begrenzten Wissensbereich, welcher die Raison d’Être der Gemeinschaft darstellt, sowie ein gemeinsames Unterfangen, was kein festes Ziel oder keine vorher bestimmte Reihe von Aufgaben ist, sondern das Ereignis eines kollektiven Aushandlungsprozesses, die Festlegung von Schwerpunkten, die Mitglieder gemeinsam erleben. Wonach CoPs generell streben ist die Erzeugung, die Pflege und der Austausch von Wissen sowie die Förderung des Lernens und der individuellen Fähigkeiten. Der spezifische Wissensbereich stellt das Wechselspiel zwischen Individuen dar, die ein gemeinsames Projekt erkennen, das dann Gestalt annimmt. Wenn eine Lerngemeinschaft daraufhin dieses Projekt bespricht, werden Verlässlichkeit und gegenseitige Verantwortlichkeit unter den Mitgliedern sichtbar, die zu wesentlichen Komponenten in der Praxis werden. Mitglieder, die die Grenzen, Stärken und Spitzen des Wissensbereichs ihrer Gemeinschaft kennen, sind in der Lage zu beschließen, was sie am besten teilen, wie sie ihre Vorschläge und Ideen darbieten oder welche Aktivitäten sie ausüben können. Erst durch die Aushandlung des spezifischen Wissensbereichs prägen Umstände, Quellen, Materialien und Anforderungen die gemeinsame Praxis. Daraus folgt, dass »[t]he most successful Communities of Practice thrive where the goals and needs of an organization intersect with the passions and aspirations of participants« (Wenger/McDermott/Snyder 2002: 32).

      Das zweite Element einer CoP ist folgerichtig der gemeinsame Einsatz für das ausgehandelte Projekt, bzw. die Gemeinschaft selbst: Die Mitgliedschaft in einer Lerngemeinschaft stützt sich auf die gegenseitige Beteiligung. Diese stellt die solide Basis für die Entwicklung einer partizipativen Identität dar. Der Zusammenhang, der die gegenseitige Beteiligung in eine organisierte Lerngemeinschaft verwandelt, verlangt eine ständige Arbeit seitens der Mitglieder: Jeder muss sich der Erhaltung der Gemeinschaft hingeben. Zusammenhang bedeutet aber nicht Homogenität, sondern Vielfalt, Unterschiedlichkeit der Mitglieder, weil jeder Einzelne einen spezifischen Platz in der CoP findet und fernerhin eine eindeutige Identität bekommt, die im Laufe der Zeit sowie durch die engagierte und kooperative Mitwirkung weiter bestimmt und integriert wird.

      Das dritte und letzte Element ist das gemeinsame Repertoire – eine andere Bezeichnung für die Praxis selbst. Diese Praxis ist demgemäß eine Reihe von Gerüsten, Ideen, Stilen und Diskursen, Instrumenten, Medien, Geschichten und Artefakten, welche die Mitglieder einer praxisbezogenen Gemeinschaft teilen. Die heterogenen Gerüste finden ihren Zusammenhalt in dem Zustand, dass sie zur Praxis einer Gemeinschaft gehören, die an einem eigenen Projekt teilnimmt. Die geteilten Wissensressourcen ermöglichen dann der Gemeinschaft, sich mit ihrem Bereich weiter zu beschäftigen und somit ihr gemeinsames Wissen zu erweitern. Das Repertoire verbindet Aspekte, die sowohl mit der Partizipation als auch mit der Verdinglichung verbunden sind, was dazu führt, dass sich die gemeinsame Praxis als den Ursprung für die Bedeutungsaushandlung konfiguriert. Das gemeinsame Repertoire von Gerüsten muss dementsprechend zur Aushandlung stehen, damit sich die legitimierten Mitglieder einer Gemeinschaft in deren Praxis beteiligen können. Das benötigt einerseits eine genügsame Kenntnis der Geschichte der gemeinsamen Praxis, um sie an den Werkzeugen ihres Repertoires zu erkennen, und andererseits die Fähigkeit und Legitimität, diese Geschichte wieder bedeutsam zu machen. Wenn die drei Bestandteile zusammenwirken, dann wird die betreffende CoP zu einer optimalen sozialen Struktur, wo das Wissen gefördert und vermittelt wird.3 Infolgedessen prägen sich Lerngemeinschaften zum einen als lebendiger Kontext für das Erlernen soziokultureller Praxis seitens der Neueingetretenen aus – »a privileged locus for the acquisition of knowledge« –, zum anderen als einen produktiven Kontext, in dem man neue Impulse ins gemeinsame Wissen verwandeln kann – »a privileged locus for the creation of knowledge« (Wenger 1998: 214).

      Die Praxis ist wie irgendein locus innerhalb einer soziokulturellen Landschaft, die Grenzen und Peripherien hat. Grenzen entsprechen logischerweise Diskontinuitäten zwischen der einzelnen CoP und ihrer Umwelt, weil die kontinuierliche Aushandlung von gemeinsamen Geschichten und Ressourcen zu Differenzen zwischen Innen und Außen bringt. Man muss allerdings bemerken, dass Grenzen in Wengers Auffassung keine Hemmung für die Weiterentwicklung von Lerngemeinschaften bedeuten; ganz im Gegenteil bilden sie neue Verflechtungen und Wechselspiele von Erfahrung und Expertise, wobei sie zur produktiven Bedeutungsaushandlung beitragen.4 Neben Diskontinuitäten existieren auch Kontinuitäten, die bestimmte Verbindungsarten unter den Grenzen herstellen: Diese werden Peripherien genannt, um ihre Zwitterstellung zu pointieren. Denn sie enthalten immer Gleichgewichtprobleme zwischen unterschiedlichen Innen- und Außenperspektiven, weil jede Grenzüberschreitung den Lernprozess sowie das Leben der CoP potenziell sowohl erleichtern als auch erschweren kann (140). Am wichtigsten wirken aber Grenzen und Peripherien als Schauplätze für die Bewirtschaftung und Übersetzung des allgemeinen Wissensgutes. Die Beziehungen, welche die gemeinsame Praxis begründen, werden folgerichtig vom Lernen bestimmt: »As a result, the landscape of practice is an emergent structure in which learning constantly creates localities that reconfig­ure the geography« (131). Es sei die Praxis selbst, die Abgrenzungen von und Vernetzungen mit der Außenwelt einer Gemeinschaft schaffe und die somit das Gewebe von Diskontinuitäten und Kontinuitäten der sozialen Landschaft bilde. Im Besonderen lassen sich drei von der Praxis ausgebaute Vernetzungstypologien erkennen: boundary practices, Überlappungen und Peripherikalitäten. Die ersten Praktiken entstehen vor allem in Organisationen, wenn grenzüberschreitende Treffen wiederholt und stabilisiert werden – dabei muss es notwendigerweise ein gemeinsames spezifisches Projekt geben. Direkte und anhaltende Überlappungen geschehen wiederum zwischen Praxen und ermöglichen eine konkrete Wissensbeschaffung. Peripherikalitäten, wie zuvor angedeutet, sind schließlich periphere Erfahrungen oder Beteiligungsformen an der Lerngemeinschaft, die als legitimiert betrachtet werden, ohne alle Voraussetzungen für eine volle Mitgliedschaft zu erfüllen. Dank des jeweils ausgehandelten Zugangs zum Praxisfeld und der spezifischen Peripherikalität erweist sich jede CoP als ein dynamischer Organismus, als »a node of mutual engagement that becomes progressively looser at the periphery, with layers going from core membership to extreme peripherality« (118). Das Wort Organismus zeigt eigentlich auf etwas Lebendiges, was bestimmte aufeinander folgende Entwicklungsstufen durchläuft. Auch wenn Lerngemeinschaften sich entwickeln und verändern, kann man nicht jede Interaktionseinheit

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