"Das strittige Gebiet zwischen Wissenschaft und Kunst". Chiara Maria Buglioni

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revolutionierte nicht nur die Vorstellung des Theaters als eine Kunst sui generis,8 die anders als die Literatur funktioniert, sondern auch die Rolle des Zuschauers, der zum mitschaffenden Bestandteil der Aufführung, des Kunstwerkes wurde. Georg Fuchs stellte fest, die Künstlertheaterbewegung sei ein Kampf gegen die Literatur gewesen, um »de[n] Orgiasmus, de[n] erhobene[n] Rauschzustand der schauenden Menge« als das Wesentliche anzuerkennen, woraus erst die Aufführung hervorgeht, um das Bühnenbild, die Schauspielkunst und das Drama als gleichberechtigte Elemente des Theaters zu würdigen (1909: 11). Bezüglich Georg Fuchs’ Essay Die Revolution des Theaters bemerkt Manfred Brauneck, seine moderne Theatervision habe sich in einer Art von »Massentheater, das bei den Beteiligten ein rauschhaftes Gemeinschaftserlebnis im Sinne einer „Volksgemeinschaft“ bewirken sollte« enthüllt9 (1999: 638). Fuchs war für die Entwicklung des Theaters in München besonders wichtig, weil er geistiger Urheber sowie Direktor und Dramaturg des „Münchner Künstlertheaters“ war und langjährig versuchte, ein Theater für das neue, große Publikum, bzw. für das ganze Volk, zu fördern. Wenn sich die sog. Bühnenreform – wie in den Versuchen der Shakespearebühne oder der Drehbühne – nur auf die Bühne konzentrierte, verlangte die Theaterreform Fuchs’ noch mehr: »das ganze räumliche Verhältnis, das Drama und Zuschauer umfaßt,« zu reformieren (Fuchs 1909: 109). Es muss aber hinzugefügt werden, dass Fuchs’ Idee eines reformierten Theaters schon mit Peter Behrens ihren ersten Ausdruck gefunden hatte. Auch er hatte für eine Revolution in der Theaterarchitektur plädiert, um ein Gesamtkunstwerk mystisch-symbolischer Natur zu erzeugen,10 um die »Kunst der Geisteskultur« zu verwirklichen (1900: 25).

      Angeregt von Franz von Stuck, Max von Schillings, Friedrich August von Kaulbach, Fritz von Uhde, Fritz Erler, Ferdinand von Miller, Frhr. von Speidel (Generalintendant der Königlichen Bühnen) und selbstverständlich Georg Fuchs wurde das Künstlertheater am 17. Mai 1908 mit Goethes Faust eröffnet11 (R: Albert Heine). Kurz davor hatte der Georg-Müller-Verlag eine kleine Broschüre mit drei Beiträgen veröffentlicht, welche die Mission des Münchner Künstlertheaters und seine Gründung erklärten – darunter befand sich auch Georg Fuchs Die Ziele des Münchner Künstlertheaters. Das als problematisch empfundene Hauptmerkmal des damaligen deutschen Theaters war der sog. „Barbarismus“ seiner Ausstattung, die eine künstlerische Armut erzeugte.12 Nach Ansicht der Theaterreformer war das deutsche Theater von der aus dem 16. und 17. Jahrhundert übernommenen Oper-, Ballett-, und Guckkastenbühne beherrscht. Weder die Guckkastenbühne noch die „erhabene Bühne“ des Naturalismus hätten einen direkten Kontakt zum Publikum ermöglicht. Die vorgeschlagene Theaterreform betraf daher in erster Linie die Architektur, im Sinne von Spielraum und Dekoration. Der Grund dafür war die Annahme, dass der Kunstcharakter des Theaters nicht im Drama liegt, sondern in der Aufführung. Mit anderen Worten umfasste die Bestrebung nach der „Retheatralisierung des Theaters“ nicht nur eine neue Ästhetik des Mediums, sondern auch ein innovatives, experimentelles Theaterverständnis: Man musste eine wirksame theatrale Sprache entwickeln und die konstruktive Interaktion Darsteller-Publikum fördern. Sehr bald bildete sich eine starke Interessentengruppe, die eine Reform der „dekorativen Ausstattung“, im Gegensatz zu Kulissen, Kitsch, falscher Perspektive und zauberhafter Bühnenausstattung verlangte. Das Ziel war dementsprechend, die räumliche Trennung zwischen Publikum und Darstellern zu überwinden und somit das Illusionsprinzip des naturalistischen Theaters zu vermeiden. Das Gebäude wurde von Max Littmann realisiert, der sich über den Bau des Bühnenraums und des Zuschauerraums wie folgt äußerte:

      Man braucht sich noch nicht auf den Standpunkt Gabriele d’Annunzios zu stellen, der vom Drama sagt, daß es nichts anders sein könne als ein „Gottesdienst“ oder eine „Botschaft“, die Überzeugung ist aber jetzt schon allgemein, daß wir im Drama ein nicht genug zu schätzendes ästhetisches Mittel zur Erhebung für unser Volk haben, das in möglichst vollkommener Form dargeboten werden muß. In dem Logenhaus ist aber das Verhältnis der Besucher zu einander die Hauptsache, und das Verhältnis des Zuschauers zu der Bühne, von der die erhebende Wirkung ausgeht, durch die erwähnten Mängel so gestört, daß unmöglich durch die Musik, durch das gesungene und gesprochen Wort jene ernste, weihevolle Stimmung erzielt werden kann, welche die feinsten Empfindungen der menschlichen Seele auszulösen vermag. (1908: 18f.)

      Malerische Hauptfiguren des Münchner Künstlertheaters waren Thomas Theodor Heine, Wilhelm Schultz und Hans Beatus Wieland. Die vier neuen Vorschläge waren die Verkürzung der Szene und das reliefartig ausgestaltete Bühnenbild13, die Reduzierung der szenischen Mittel durch Anwendung stilistisch vereinfachter Dekorationen und Hintergrundmalerei nach dem Muster der jugendstilischen Flächenkunst, die strengste Unterordnung unter den Gesetzen des dramatischen Stils und die ausgiebige Zuziehung der „angewandten Kunst“.14 Trotz des klaren Projekts verfehlte das Münchner Künstlertheater gerade in seinen entscheidenden Neuerungen, so dass es sich am 29. Januar 1909, infolge ökonomischer und künstlerischer Schwierigkeiten, kapitulierte. Der erste Pächter war bemerkenswerterweise Max Reinhardt: Der Regisseur brachte nach München acht eigene Inszenierungen aus Berlin mit (Sommernachtstraum, Was ihr wollt, Der Kaufmann von Venedig, Faust I, Die Räuber, Lysi­strata, Gespenster und Revolution in Krähwinkel). Er begann dagegen die Berliner Festspiele im Künstlertheater mit einer neuen Inszenierung: Hamlet. Es folgten andere Münchner Premieren: Die Braut von Messina, Judith und Hauptmanns Hanneles Himmelfahrt. Was Reinhardt in München für zwei Saisons (1909 und 1910) neu inszenierte, brachte er später nach Berlin.15 Reinhardt erschöpfte die Kunstidee des „Münchner Künstlertheaters“ völlig und übertrug sogar dessen künstlerische Prinzipien auf die Operette: Die Grundidee eines Festspieltheaters der Stilbühne, einer kritischen Öffentlichkeit für das gesamte Volk war mit dem Triumph eines dem Profit gewidmeten Geschäfts endgültig ausgelaugt. Doch Fuchs’ Forderung eines re-theatralisierten Theaters, das sich von der zerdrückenden Übermacht des Dramas befreien konnte, wirkte in der Kunst- und Theatergeschichte der Moderne weiter, wie etwa auf das von Paul Brann aufgestellte „Marionettentheater Münchner Künstler“ oder auf Wassily Kandinskys künstlerische Versuche.16 Seine auf der Bühne zu übertragende Synästhesie von Farbe, Klang und raum-zeitlicher Bewegung auf Kosten der naturalistischen Genauigkeit war nämlich mit der Suche nach einer sinnlichen, vollkommenen Wahrnehmung verbunden, die jahrelang von künstlerischen Zirkeln der Münchner Moderne betrieben wurde. Alle Maler, Architekten, Theatermenschen, Publizisten und Wissenschaftler, die an der Reform des „Münchner Künstlertheaters“ teilgenommen hatten, wollten einfach ihre Arbeit »nicht anders als einen „Versuch“ eingeschätzt wissen, ein Versuch, der seinen Zweck vollauf erfüllt, wenn er anderen Anregung gibt, auf der betretenen Bahn weiter zu arbeiten« (Littmann 1908: 39).

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