PLATON - Gesammelte Werke. Platon
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Werke
Tetralogie I
Euthyphron
(Über die Frömmigkeit)
Einleitung
Als Erörterung über den Begriff der Frömmigkeit, die im »Protagoras« ebenfalls unter den Teilen der Tugend aufgeführt wird, schließt sich auch der »Euthyphron« an jenes Gespräch. Allein mit dem »Laches« und »Charmides« verglichen erscheint er dennoch als eine sehr untergeordnete Arbeit, weil nicht nur seine dürftige Bekleidung gegen den Reichtum und die Pracht in jenen beiden sehr nachteilig absticht, sondern auch sein innerer Gehalt mit jenen verglichen sich nicht viel besser ausnimmt. Denn man kann im »Euthyphron« weder eine fortschreitende Berichtigung der allgemeinsten ethischen Ideen nachweisen, noch auch, wenn man bei dem einzelnen Begriff stehen bleiben will, der den unmittelbaren Gegenstand der Untersuchung ausmacht, finden sich hier solche indirekte Andeutungen, welche den aufmerksamen Leser hinreichend mit der Ansicht des Verfassers bekannt machen; sondern sowohl die Beschränktheit des Zwecks als die bloß skeptische Behandlung des Gegenstandes liegt hier ganz deutlich zu Tage. Daß nun ein so wesentliches Element der den Platonischen Gesprächen eigenen Bildung hier gänzlich fehlt, dieses könnte leicht den Verdacht erregen, ob nicht unser Gespräch hier unter diejenigen gehöre, die dem Platon abzusprechen sind; und bestärkt wird dieser Verdacht durch manche Einzelheiten in der Ausführung, welche anstatt des schon bewährten und gebildeten Meisters eher einen nicht ganz unglücklichen und deshalb selbstgefällig sich brüstenden Nachahmer verraten, der das mäßige Erwerbtum einer leichteren Dialektik und einer ziemlich oberflächlichen Ironie gern recht hoch ausbringen möchte. Indes kommt es darauf an, wieviel folgende Gründe vermögen, um diesen Verdacht zu beseitigen. Zuerst ist das dialektische Übungsstück, welches der »Euthyphron« enthält, wenn gleich nicht so umfassend als das im »Charmides« aufgestellte, doch nicht minder sowohl ein natürlicher Auswuchs des »Protagoras« als eine eigne Annäherung und Vorbereitung zum »Parmenides«. Dies gilt besonders von der Entwickelung des Unterschiedes zwischen dem, was das Wesen eines Begriffs, und dem, was nur eines seiner Verhältnisse bezeichnet, und von der Ableitung des Sprachgebrauches, den Platon in der Folge zur Bezeichnung dieses Unterschiedes durchgängig beobachtet. Ferner verschwindet in den übrigen Platonischen Werken der Begriff der Frömmigkeit aus der Reihe der Vier Haupttugenden, denen er im »Protagoras« noch beigesellt ist, auf eine solche Art, daß ein eigner Wink darüber ganz notwendig ist, und wenn er sich nicht fände, als verloren gegangen müßte vorausgesetzt werden. Zwar enthalten spätere Gespräche einzelne positive Äußerungen über das Wesen der Frömmigkeit und ihr Verhältnis zu jenen Tugenden; aber das versteckte geht ja überall bei unserm Schriftsteller dem offenen und unverhohlenen voran; und eben jene Äußerungen schließen sich unmittelbar an das bloß verneinende Resultat des »Euthyphron«. Endlich muß man hinzunehmen, daß dieses Gespräch unstreitig zwischen der Anklage und der Verurteilung des Sokrates geschrieben ist, und daß sich unter diesen Umständen fast unvermeidlich für den Platon zu dem Zweck den Begriff der Frömmigkeit dialektisch zu erörtern der andere gesellen mußte, den über eben diesen Gegenstand angeklagten Lehrer auf die ihm eigene Art zu verteidigen. Ja es konnte je dringender die Umstände waren um desto leichter diese apologetische Absicht die ursprüngliche ethisch dialektische so weit verschlingen, daß Platon darüber verabsäumte, der skeptischen Behandlung nach gewohnter Weise auslegende Winke beizumischen, ohne daß man dennoch sagen könnte, er sei sich selbst untreu geworden oder habe sich gänzlich verläugnet. So erklären sich bei dieser unläugbaren Verflechtung der Absichten aus dem Drang des Bestrebens, soviel nur irgend möglich, die gemeinen Begriffe in ihrer Blöße darzustellen, und aus der Eilfertigkeit der Abfassung, wie es scheint, die gerügten und nicht abzuläugnenden Mängel des kleinen Werkes wenigstens so weit, daß, da wir keine Spuren haben von einem Sokratiker, der so platonisch noch als dieses ist, komponiert und geschrieben hätte, und in die späteren Zeiten eigentlicher Nachahmer die Schrift wohl nicht zu setzen ist, ich noch immer nicht wage das Verdammungsurteil über sie entscheidend auszusprechen.
Fährt man also fort sie als platonisch anzunehmen, so hat sie zwar wegen des Übergewichts der Nebenabsicht auf der einen Seite sehr viel von dem Charakter einer bloßen Gelegenheitsschrift an sich, kann aber doch auf der andern nicht ohne Unbilligkeit aus dieser an den »Protagoras« sich anschließenden Reihe ausgeschlossen werden, in welcher sie zwar ohne die Verhältnisse des Sokrates ihren Platz wahrscheinlich noch würdiger ausgefüllt haben würde, ihn aber doch auch jetzt noch wenn man ihr einige Nachsicht angedeihen läßt, wohl behaupten kann.
Den Euthyphron dabei zum Unterredner zu machen war ganz in der Weise des »Laches«, wo auch Sokrates mit ausgezeichnet Sachverständigen zu tun hat. Dieser Mann war nämlich, wie aus seinen eignen Äußerungen hervorgeht, eine sehr bekannte etwas lächerliche Person, ein Wahrsager wie es scheint, und der sich besonders auf das Göttliche zu verstehen vorgab, und die rechtgläubigen aus den alten theologischen Dichtern gezogenen Begriffe tapfer verteidigte. In gleichem Charakter erscheint auch unstreitig derselbe Euthyphron im »Kratylos« des Platon. Diesen nun gerade bei der Anklage des Sokrates mit ihm in Berührung, und durch den unsittlichen Streich, den sein Eifer für die Frömmigkeit veranlaßte, in Gegensatz zu bringen, war ein des Platon gar nicht unwürdiger Gedanke. Ziemlich deutlich trägt der Rechtsstreit des Euthyphron gegen seinen Vater das Gepräge einer wahren Begebenheit, wäre sie auch von andern Zeiten oder Personen übertragen. Auch ist die Art, wie er behandelt wird, fast zu vergleichen mit der Geschichte vom Sichelspeer im »Laches«; nur daß die Klage des Euthyphron weit genauer zur Sache gehört, und daß weder die größere Ausführlichkeit noch das öftere Zurückkommen darauf bei der unverkennbaren apologetischen Absicht als etwas Fehlerhaftes kann angesehen werden.
EUTHYPHRON
EUTHYPHRON • SOKRATES
(2) Euthyphron: Was hat sich doch Neues ereignet, o Sokrates, daß du dem Aufenthalt im Lykeion entsagend dich itzt hier aufhältst bei der Halle des Basileus? Denn du hast doch wohl nicht auch einen Rechtsstreit bei dem Basileus, wie ich?
Sokrates: Wenigstens, o Euthyphron, nennen dies die Athener nicht einen Rechtsstreit, sondern eine Staatsklage.
Euthyphron: