PLATON - Gesammelte Werke. Platon
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Euthyphron: Gar nichts wäre ich ja nutz, o Sokrates, und um (5) nichts wäre Euthyphron besser als die Andern, wenn ich dergleichen nicht alles genau verstände.
Sokrates: So wird es demnach für mich, du bewunderungswürdiger Euthyphron, wohl das Beste sein, daß ich dein Schüler werde, und dem Melitos, noch ehe ich mich auf seine Klage einlasse, eben hierauf Vergleich anbiete, und ihm sage: Auch vorher schon hätte ich es mir sehr angelegen sein lassen das göttliche zu verstehen, nun aber er behauptete, daß ich auf meine eigne Weise grüble, und Neuerungen in göttlichen Dingen aufbringend mich schwer versündige, wäre ich eben dein Schüler geworden. Und wenn du nun, o Melitos, würde ich sagen, zugibst, daß Euthyphron weise ist in diesen Dingen und richtig darüber denkt: so glaube es von mir auch, und verklage mich nicht. Wo aber nicht so melde ihm, meinem Lehrer, die Klage eher an als mir, weil er die alten Leute verderbt, mich und seinen Vater, mich durch Lehre, jenen aber durch Verweis und Strafe. Wenn er mir nun nicht glaubt, noch auch mich von der Klage losläßt, und statt meiner dich angibt: so werde ich vor Gericht eben das sagen, was ich ihm vorher beim Versuch des Vergleiches allein gesagt.
Euthyphron: Ja beim Zeus, Sokrates, wenn er es doch wagen wollte mich anzugeben! ich würde wohl finden, glaube ich, wo er anbrüchig ist, und es sollte weit eher noch vor Gericht von ihm die Rede sein als von mir.
Sokrates: Eben weil ich dies auch weiß, lieber Freund, wünsche ich dein Schüler zu werden. Denn ich weiß ja, wie auch sonst Mancher und so auch dieser Melitos dich nicht einmal zu sehen scheint, mich aber hat er so scharf und leicht überschaut, daß er mich schon der Gottlosigkeit anklagt. So sage mir nun um Zeus willen, was du itzt eben so genau zu wissen behauptetest, worin doch deiner Behauptung nach das Gottesfürchtige und das Gottlose bestehe, sowohl in Beziehung auf Totschlag als auf alles übrige. Oder ist nicht das fromme in jeder Handlung sich selbst gleich, und das ruchlose wiederum allem frommen entgegengesetzt und sich selbst ähnlich, so daß alles was ruchlos sein soll, soviel nämlich seine Ruchlosigkeit betrifft, Eine gewisse Gestalt hat?
Euthyphron: Auf alle Weise freilich, Sokrates.
Sokrates: So sage also, was du behauptest daß das fromme sei, und was das ruchlose.
Euthyphron: Ich sage eben, daß das fromm ist, was ich itzt tue, den Übeltäter nämlich, er habe nun durch Totschlag, oder durch der Heiligtümer Beraubung, oder durch irgend etwas dergleichen gesündiget, zu verfolgen, sei er auch Vater oder Mutter, oder wer sonst immer; ihn nicht zu verfolgen aber ist ruchlos. Denn, o Sokrates, betrachte nur, welchen starken Beweis ich dir anführen werde für diese Vorschrift, daß sie richtig ist; wie ich auch Andern schon gesagt, daß dies ganz richtig wäre, dem Gottlosen nichts durchgehn zu lassen, und wäre er auch was du nur willst. Nämlich die Menschen halten ja selbst den Zeus für den trefflichsten und gerechtesten aller Götter, und von diesem gestehen sie doch, daß er seinen eignen (6) Vater gefesselt, weil der seine Söhne verschluckt ohne rechtlichen Grund; und dieser wiederum habe seinen Vater verschnitten ähnlicher Dinge wegen. Mir aber wollen sie böse sein, daß ich meinen Vater, der auch unrecht getan, vor Gericht belange; und so widersprechen sie sich selbst in dem, was sie sagen in Bezug auf die Götter und auf mich.
Sokrates: Ist etwa eben dies die Ursache, o Euthyphron, weshalb ich mit der Klage verfolgt werde, weil ich nämlich, wenn Jemand dergleichen von den Göttern sagt, es übel aufnehme? und meint man, wie es scheint, daß ich eben hierin fehle? Nun also, wenn auch du dieser Meinung bist, der in solchen Dingen so wohl unterrichtete: so müssen wie es scheint auch wir es zugeben. Denn was wollten wir auch sagen, die wir selbst eingestehen nichts von der Sache zu wissen? Aber sage mir beim Gott der Freundschaft, glaubst du wirklich, daß dieses so gewesen ist?
Euthyphron: Und noch wunderbareres als dieses, o Sokrates, wovon nur die Wenigsten etwas wissen.
Sokrates: Auch Krieg glaubst du also wirklich, daß die Götter haben gegen einander, und gewaltige Feindschaften und Schlachten, und viel dergleichen wie es von den Dichtern erzählt wird, und wie es teils an andern heiligen Orten von guten Malern abgebildet ist, teils auch der Teppich voll ist von solchen Abbildungen, der an den großen Panathenäen in die Akropolis hinaufgetragen wird? Dies alles wollen wir für wahr erklären, Euthyphron?
Euthyphron: Und zwar nicht dieses allein, o Sokrates; sondern wie ich eben sagte noch vieles Andere kann ich dir, wenn du willst, von göttlichen Dingen erzählen, welches vernehmend du, wie ich wohl weiß, erstaunen wirst.
Sokrates: Das soll mich nicht wundern. Allein dies magst du mir ein andermal bei Gelegenheit erzählen. Jetzt aber versuche das, wonach ich dich so eben fragte, mir genauer zu erklären. Denn Freund, du hast mich vorher nicht hinlänglich belehrt auf meine Frage, was wohl das fromme wäre; sondern du sagtest mir nur, dieses wäre fromm, was du jetzt tust, indem du den Vater des Totschlages wegen belangst.
Euthyphron: Und daran habe ich wahr gesprochen, o Sokrates.
Sokrates: Wahrscheinlich. Aber du gibst doch zu, Euthyphron, daß es noch viel anderes frommes gibt?
Euthyphron: Das gibt es auch.
Sokrates: Du erinnerst dich doch, daß ich dir nicht dieses aufgab, mich einerlei oder zweierlei von dem vielen frommen zu lehren, sondern jenen Begriff selbst, durch welchen alles fromme fromm ist. Denn du gabst ja zu, einer gewissen Gestalt wegen die es habe, sei alles ruchlose ruchlos und das fromme fromm. Oder besinnst du dich darauf nicht?
Euthyphron: Sehr wohl.
Sokrates: Diese Gestalt selbst also lehre mich, welche sie ist, damit ich auf sie sehend, und mich ihrer als Urbildes bedienend, was nun ein solches ist in deinen oder sonst Jemandes Handlungen für fromm erkläre, was aber nicht ein solches, davon ausschließe.
Euthyphron: Wenn du es so willst, Sokrates, kann ich es dir auch so erklären.
Sokrates: Gar sehr will ich das.
Euthyphron: Was also den Göttern lieb ist, ist fromm; was nicht lieb, ruchlos.
(7) Sokrates: Sehr schön, o Euthyphron, und so wie ich wünschte, daß du antworten möchtest, hast du itzt geantwortet. Ob indes auch richtig, das weiß ich noch nicht. Allein du wirst mir gewiß auch das noch dazu zeigen, wie es richtig ist, was du sagst.
Euthyphron: Ganz gewiß.
Sokrates: So komm denn, laß uns betrachten, was wir sagen. Was den Göttern lieb ist, und der den Göttern liebe Mensch ist fromm, und das den Göttern verhaßte und der ihnen verhaßte ist ruchlos. Und nicht etwa einerlei, sondern ganz entgegengesetzt ist das fromme dem ruchlosen. Nicht so?
Euthyphron: Allerdings so.
Sokrates: Und gut ist das wohl offenbar gesagt.
Euthyphron: Ich denke: denn es ist so erklärt worden.
Sokrates: Ferner auch, daß die Götter entzweit sind und uneins unter einander, o Euthyphron, und daß es Feindschaft unter ihnen gibt gegen einander, auch das wurde gesagt.
Euthyphron: Das wurde freilich gesagt.
Sokrates: Aus der Uneinigkeit über